Der Gewerkschaftsvorsitzende Oliver Hilburger dürfte an diesem Samstag im Herbst 2023 guter Dinge sein. Sein Plan, Gleichgesinnte in deutschen Unternehmen zu vermitteln, scheint auf dem Weg zu sein. Nach Informationen von ZEIT und Deutschlandfunk soll er bei einem internen Treffen gesagt haben, man wachse.
Was wächst da? Offenbar die Mitgliederzahlen des Vereins Zentrum, der eng mit der rechtsextremen Szene verbunden ist und sich selbst als „Opposition zu den aufgekauften Einheitsgewerkschaften“ bezeichnet. An diesem Wochenende wollen die Mitglieder dieser „alternativen Gewerkschaft“ zusammenkommen, um die nächsten Schritte ihrer Organisation zu besprechen. Du bist unter dir.
Aus Dokumenten geht jedoch hervor, worum es bei dem Treffen genau ging. Sie zeigen: Was hier diskutiert wurde, ist der Versuch, den deutschen Mittelstand mit einer neuen Strategie zu unterwandern. Das Ganze wirkt so, als ob das Rückgrat der deutschen Wirtschaft gerade deshalb gewählt wurde, weil es relativ einfach zu beeinflussen ist.
Das Zentrum ist in rechtsextremen Kreisen gut vernetzt. 2017 sitzt Vorsitzender Hilburger mit Björn Höcke, Rechtsaußen, zusammen AfD und Fraktionsvorsitzender der Thüringer Partei, auf einer Bühne der Rechtsextremisten KompaktMagazin. Nach seiner Rede lobte ihn Moderator Jürgen Elsässer, Chefredakteur der Zeitschrift: „Wir wollen eine neue Front im Widerstandskampf für Deutschland eröffnen, und das ist die Front in den Unternehmen.“ Elsässer sieht in dieser Front ein zentrales Schlachtfeld für ein großes politisches Ziel: „Wir verbinden Patriotismus und Engagement für die Arbeiter und Schwachen in diesem Land. Nationale und soziale Befreiung des deutschen Volkes.“ Selbst die AfD stand lange Zeit zu weit rechts. Das Zentrum stand bis 2022 auf der Unvereinbarkeitsliste der Partei – bis sich Höcke auf dem Bundesparteitag im sächsischen Riesa erfolgreich für die Zulassung einer Doppelmitgliedschaft von AfD und Zentrum einsetzte.
Nun versucht Center, Einfluss auf die kleineren Unternehmen zu gewinnen, nachdem Versuche, bei den größeren Fuß zu fassen, wenig erfolgreich waren. Unter dem Namen Zentrum Automobil war der Verein bereits 2009 in einem Daimler-Werk aktiv. Angesichts der zehntausenden Betriebsräte, die es in Deutschland gibt, waren die 20 Betriebsratsmandate, die sie inzwischen in Mercedes-Benz-, aber auch Porsche- und VW-Werken innehaben, kaum der Rede wert. Versuche, in andere Sektoren zu expandieren, waren ebenfalls nur begrenzt erfolgreich. Der Weg durch den Mittelstand soll das ändern.
Oliver Hilburger ist nicht nur Vorsitzender, sondern auch Gründer und zentrale Figur des Zentrums. Nachdem seine Rolle als Musiker in einer der bedeutendsten Neonazi-Bands der 2000er Jahre bekannt wurde, warf ihn die Christian Union Metal raus. Seine Idee war es, eine alternative, extrem rechte Gewerkschaft aufzubauen, um die sozialdemokratischen DGB-Gewerkschaften zu untergraben, die die wichtigste Quelle der Mitbestimmung in Deutschland darstellen. Der Kampf um die Unternehmen ist auch Teil eines größeren politischen Projekts.
Auf der Konferenz im Oktober 2023 sagte Hilburger, dass überall, wo er hinkäme – ob Parlament, Kongresse oder Demos – in der Arena nur Ton von draußen zu hören sei. Er möchte das offensichtlich ändern und den Unternehmen Klang von innen verleihen. Als Betriebsrat mittendrin sein.
Es gibt viele rechte Arbeiter. Eine Studie von Linus Westheuser und Thomas Lux im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung ergab kürzlich, dass es nur eine Berufsgruppe gibt, in der die AfD besser abschneidet als alle anderen Parteien: die der Arbeiter in Industrie und Handwerk. Jeder Dritte von ihnen stimmt bei seiner Wahl für die AfD.
Gemessen an den bekannten Betriebsratsmandaten der Center-Mitglieder konnte der Verein dieses Potenzial bislang nicht ausschöpfen. Bei der internen Sitzung sprach Hilburger jedoch von mindestens 100 Betriebsratsmitgliedern, zu denen sie direkten Zugang hätten. Das wäre deutlich mehr, als derzeit bekannt ist.
Das Zentrum weigert sich, mit der ZEIT zu sprechen. Die Organisation gibt schriftlich an, dass sie über Betriebs- und Personalräte „im guten dreistelligen Bereich“ verfüge, die fast alle Mitglieder des Zentrums seien. Einige dieser Kollegen sind aus persönlichen oder strategischen Gründen noch in anderen Gewerkschaften oder Arbeitnehmerverbänden organisiert.
Konkreter äußert sich Hilburger in einem Veranstaltungsmitschnitt des AfD-Kreisverbandes Würzburg vom August 2022, der auf YouTube einige hundert Klicks hat. Dort beschreibt er etwas, das wie eine Inkognito-Strategie klingt: „Natürlich sind wir nicht so dumm und konkurrieren überall als Zentrum.“