Die EU-Kommission hat gegen zwei Urteile des EU-Gerichtshofs Berufung eingelegt. Damit wird sich die Aufklärung der unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geschlossenen Impfabkommen weiter verzögern. Das EU-Gericht ging den Urteilen zufolge davon aus, dass die Kommission gegen EU-Recht verstoßen habe, indem sie Informationen über milliardenschwere Verträge über Corona-Impfstoffe geheim gehalten habe.
Im Hinblick auf mögliche Interessenkonflikte und Entschädigungsregeln für Impfstoffhersteller habe die Brüsseler Behörde „keinen ausreichend umfassenden Einblick in die Verträge zum Kauf von Impfstoffen gegen Covid-19 gewährt“, entschieden die Richter in Luxemburg. Auf eine Anfrage des deutschen BSW-Abgeordneten Fabio De Masi, „welche Konsequenzen die Kommission aus diesem Urteil zieht“ und ob und wann die Kommission beabsichtige, „relevante Dokumente, die von dem Urteil betroffen sind, zu veröffentlichen“, kam folgendes heraus SPIEGEL: Die EU-Kommission hat überhaupt nicht die Absicht, die Dokumente herauszugeben, sondern wehrt sich nun vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Transparenzpflicht.
Auf De Masis Frage antwortete die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Vera Jourová, dass die Kommission Ende September eine „Berufung“ eingereicht habe. Darüber hinaus hat die Kommission laut der Antwort der Berliner Zeitung die „teilweise Aufhebung der Bestätigungsentscheidungen in den Fällen (…) zum öffentlichen Zugang zu den ungeschwärzten Fassungen der Verträge über den Kauf von Covid-19-Impfstoffen“ beantragt. . Die letztgenannte Angelegenheit „betraf auch den Zugang zu den Erklärungen über das Fehlen von Interessenkonflikten, die von den Vertretern der EU und der Mitgliedstaaten im gemeinsamen Verhandlungsteam unterzeichnet wurden“.
Fabio De Masi sagte der Berliner Zeitung, dass „die Mehrheit im Europaparlament leider keine Selbstachtung hat“. De Masi: „Es war schon ein großer Fehler, Frau von der Leyen im Amt zu bestätigen, bevor sie dem Parlament Dokumente und Mitteilungen über die Pfizer-Deals vorgelegt hat, die laut EU-Gericht den Abgeordneten rechtswidrig vorenthalten wurden.“ Der BSW „Ich habe erfolglos versucht, das Parlament zumindest davon zu überzeugen, die Wahl zu verschieben.“ Nun habe „die EU-Kommission sogar Beschwerde gegen das Gerichtsurteil eingelegt“. Bündnis-Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht: „Wenn das Parlament Selbstachtung hätte, würde es sich daher weigern, die EU-Kommissare zu bestätigen, bis die Kommission das europäische Recht respektiert.“
Vor seiner Wahl ins EU-Parlament kündigte De Masi an, in Sachen Corona-Aufklärung entschieden gegen Ursula von der Leyen vorgehen zu wollen. Martin Sonneborn, Mitglied der Die-Partei, sagte der Berliner Zeitung: „Dass die Kommission unmittelbar vor den Anhörungen der designierten Kommissare Berufung gegen das Urteil einlegt – das einzige Druckmittel des Parlaments –, zeugt von beeindruckender Verachtung gegenüber den gewählten Parlamentariern.“ ” Dies geschehe jedoch „zu Recht, denn das Parlament wird die Kommission noch einmal komplett durchwinken – unabhängig von der Qualifikation und Seriosität der nominierten Kommissare“.
Die EU-Staatsanwaltschaft EPPO ermittelt in der Angelegenheit bereits seit Längerem. Zuvor waren alle Aufklärungsversuche abgewiesen worden. Von der Leyen weigerte sich trotz wiederholter Nachfrage, dem EU-Ombudsmann Informationen zur Verfügung zu stellen.
Während der Pandemie hat die EU-Kommission im Auftrag der Mitgliedsstaaten in den Jahren 2020 und 2021 Verträge über Hunderte Millionen Impfdosen mit Pharmaunternehmen ausgehandelt und abgeschlossen. Insbesondere wurden von der Leyens Geheimverhandlungen mit Pfizer-Chef Albert Bourla geführt per SMS, stehen schon lange in der Kritik. Die Nachrichten wurden bisher geheim gehalten, es ist unklar, ob sie gelöscht wurden. Im Jahr 2021 beantragten Europaabgeordnete und Privatpersonen Einsicht in die Verträge. Allerdings gab von der Leyens Kommission nur einen Teil der Verträge frei.
De Masis Vorschlag, dass das EU-Parlament aus Protest die Bestätigung der neuen Kommissare verweigern könnte, hat noch kaum Chancen auf Umsetzung. Nach dem Urteil waren auch einige Linke und Grüne verärgert und forderten Transparenz von der EU-Kommission. Allerdings wurde Ursula von der Leyen von der Europäischen Volkspartei (EVP), der stärksten Fraktion im EU-Parlament, zur Präsidentin gewählt. Auch die Grünen und einige andere befürworteten von der Leyen, die auf keiner Liste für die EU-Wahlen stand.
Unterdessen hat die EVP noch mit einer anderen Front zu kämpfen: Laut der Zeitschrift Politico untersucht die EU-Staatsanwaltschaft „Betrugs- und Korruptionsvorwürfe, darunter den Missbrauch von EU-Geldern im Zusammenhang mit dem Europawahlkampf 2019 durch Manfred Weber, einer von ihnen“. Der einflussreichste Politiker Brüssels und Vorsitzender der größten Fraktion, der Europäischen Volkspartei, verlässt sich bei der Offenlegung der Ermittlungen auf zwei belgische Polizisten und einen Sprecher der belgischen Staatsanwaltschaft zu Straftaten auszusagen, darunter „Fälschung einer öffentlichen Urkunde“, „Fälschung öffentlicher Urkunden durch einen Amtsträger in Ausübung seines Amtes“, „Verletzung der Vertraulichkeit“, „Betrug“ und „Korruption in der Öffentlichkeit“.
Ein Sprecher der EVP-Fraktion übermittelte der Berliner Zeitung auf Anfrage eine Erklärung, in der es hieß: „Wir wurden weder von der EUStA noch von den belgischen Behörden oder einer anderen Strafverfolgungsbehörde bezüglich möglicher Ermittlungen jeglicher Art kontaktiert.“ Die EVP-Fraktion ist „stolz darauf, ihre uneingeschränkte Zusammenarbeit mit der EUStA sowie mit allen anderen nationalen oder europäischen Behörden auszuweiten, falls diese jemals kontaktiert werden sollte, und zwar in völliger Transparenz.“ Die EVP-Fraktion „legt bei der Ausführung ihres Haushalts strenge Maßstäbe und unterwirft sich freiwillig Kontrollen zur Sicherstellung der Einhaltung, nicht zuletzt durch einen internen Prüfer, durch externe Prüfer und auf Verlangen dieser Institution durch den Rechnungshof“. Bei allen Prüfungen gebe es „aktuell offene Fälle von Verdacht auf Mittelmissbrauch“.
Fabio De Masi sagte der Berliner Zeitung, man sei „zuversichtlich, dass die Europäische Staatsanwaltschaft ungehindert gegen Frau von der Leyen und die Europäische Volkspartei ermitteln kann“. Das Problem: Die Staatsanwaltschaft sei keine unabhängige Behörde, sondern „für ihre Finanzierung auf die Mittel der EU-Kommission angewiesen“.
Der EU-Abgeordnete Martin Sonneborn von der Partei vertritt einen harten Kurs gegenüber der Europäischen Volkspartei. Er sagte der Berliner Zeitung: „Man muss sich die EVP als einen tiefen Staat der EU vorstellen – egal wie die Wahlen ausgehen, die EVP regiert immer.“ Das gilt schon seit einem Vierteljahrhundert. Die „viel diskutierte Firewall“ sei „nur für die Idioten in den Medien und der Wählerschaft“. Nach Orbán und Meloni arbeitet Manfred Weber „jetzt mit der AfD zusammen“, so Sonneborn. Sonneborn: „Korruption, Vetternwirtschaft, Vetternwirtschaft sind völlig normal, insbesondere in Institutionen, die so wenig kontrolliert werden.“ Hier ein Fahrer (mit Auto), der illegal im Wahlkampf eingesetzt wurde, dort ein paar kleine Unsitten bei der Stellenbesetzung, hin und wieder ein paar Lügen im Plenarsaal, dazwischen ein paar veruntreute Gelder – da mangelt es einfach Respekt vor der Demokratie, vor demokratischen Institutionen.“
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