Ursula von der Leyen stellte am Dienstag ihre neue Kommission vor. Diese basiere auf den politischen Leitlinien, die ihrer Wahl im Juli zugrunde lagen, sagte von der Leyen in Straßburg. Als übergreifende Prioritäten nannte sie Wohlstand, Sicherheit und Demokratie. Fünf Exekutiv-Vizepräsidenten sollen ihrem Vorschlag zufolge neben der bereits vom Europäischen Rat nominierten Vizepräsidentin und Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik Kaja Kallas künftig die Arbeit der Kommissare koordinieren.
Stellvertreterin von der Leyens soll die spanische Sozialdemokratin Teresa Ribera werden, die für den „sauberen, fairen und wettbewerbsfähigen Übergang“, also klimabezogene Gesetzgebung und insbesondere Wettbewerb, zuständig sein soll. Auf dieser Ebene soll erwartungsgemäß auch Raffaele Fitto vertreten sein, ein Parteikollege der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, der für Kohäsionspolitik und -reformen zuständig sein soll.
Der Personaltisch hält allerdings auch einige Überraschungen bereit. So wird die Europäische Volkspartei (EVP) auf der Ebene der Exekutiv-Vizepräsidenten künftig nicht mehr mit dem Letten Valdis Dombrovskis vertreten sein, sondern mit der Finnin Henna Virkkunen. Sie wird für die technologische Souveränität und alle sicherheitsrelevanten Fragen zuständig sein.
Von der Leyen schafft neue Verantwortlichkeiten
Zudem hat von der Leyen vielen Staaten andere Ressorts zugewiesen, als sie gewollt hatten. Sie begründete dies damit, dass mehr als zwanzig Staaten eine starke wirtschaftliche Verantwortung gewollt hätten, es aber nicht so viele Ressorts gebe. Zu diesen Überraschungen zählen der Österreicher Magnus Brunner als neuer Innenkommissar, zuständig für Migration, und der Ire Michael McGrath für Justiz. Beide waren in ihren Ländern zuvor Finanzminister.
Wie von der Leyen bereits zuvor angekündigt hatte, werden einige Ressorts neu geschaffen. Der frühere litauische Ministerpräsident Andrius Kubilus soll für die Rüstungsindustrie und die Raumfahrt zuständig sein. Die Kroatin Dubravka Šuica wird für den Mittelmeerraum und die Beziehungen zu den südlichen Nachbarn zuständig sein. Der Däne Dan Jørgensen wird erster Kommissar für Wohnungsbau, sein Hauptdossier soll die Energiepolitik sein. Weitere einflussreiche Ressorts gehen an den Polen Piotr Serafin (Haushalt), den Luxemburger Christophe Hansen (Landwirtschaft) und die Slowenin Marta Kos (Erweiterung).
Von der Leyen betonte, dass der neuen Kommission elf Frauen und sechzehn Männer angehören, was einem Frauenanteil von 40 Prozent entspreche. Zu Beginn des Prozesses hätten die Staaten allerdings nur 22 Prozent Frauen nominiert. „Da ist noch viel zu tun“, fügte sie hinzu und verwies auf die von ihr eigentlich angestrebte Geschlechterparität.
Parteien etwa gleich stark vertreten
Auf Vizepräsidentenebene besetzte von der Leyen vier Positionen mit Frauen und zwei mit Männern. Die Parteien sind dagegen mehr oder weniger paritätisch vertreten: zwei Christdemokraten (mit von der Leyen), Sozialdemokraten und Liberale. Die Interessen der Liberalen koordiniert künftig der Franzose Stéphane Séjourné, den Präsident Macron durch den bisherigen Kommissar Thierry Breton ersetzt hat.
Insgesamt gehören der neuen Kommission 14 Vertreter der Europäischen Volkspartei (EVP) an, was ihre Stärke in den nationalen Regierungen widerspiegelt, die das Vorschlagsrecht für neue Kommissare haben. Die Sozialdemokraten stellen dagegen nur fünf Kommissare, die Liberalen von Renew Europe stellen vier. Die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) werden von Fitto vertreten. Die Grünen, die im Juli im Parlament mehrheitlich für von der Leyen gestimmt hatten, stellen keinen Kommissar. Sie versuchten bei den Verhandlungen vor allem sicherzustellen, dass ihre politischen Prioritäten in den „Missionsbriefen“, die jeder Kommissar vom Präsidenten erhielt und in denen sein Ressort umrissen wird, ausreichend zum Ausdruck kamen.
Die Fitto-Frage hatte bereits im Vorfeld zu politischen Auseinandersetzungen geführt. Der Italiener steht nun auf einer Stufe mit den Koordinatoren der drei Fraktionen, die von der Leyen politisch unterstützen, obwohl weder Giorgia Meloni noch ihre Europaparlamentarier die Kommissionspräsidentin politisch unterstützt hatten. Wahrscheinlich werden auch Sozialdemokraten, Liberale und Grüne in den Anhörungen ihre Opposition zu Fitto deutlich machen, während der EVP-Vorsitzende Manfred Weber (CSU) bereits klarstellte, dass die Christdemokraten ihn unterstützen werden. In den Ausschüssen ist zunächst eine Zweidrittelmehrheit der politischen Koordinatoren der Fraktionen erforderlich, nach einem zweiten Durchgang genügt eine einfache Mehrheit der Ausschussmitglieder.
Voraussichtlich beginnen die Anhörungen im Parlament frühestens Mitte Oktober und werden dann bis in den November hinein andauern. Bisher lehnte das Parlament immer einen oder mehrere Kandidaten ab, was zu Nachnominierungen und weiteren Anhörungen führte. Die neue Kommission dürfte ihre Arbeit daher frühestens am 1. Dezember aufnehmen.