Nudeln, Müsli, Seife – verpackungsfrei. Vor Jahren boomten sogenannte Unverpackt-Läden noch, mittlerweile geht ihre Zahl stark zurück. Viele Geschäfte in Hessen kämpfen um ihre Existenz oder haben bereits geschlossen. Hat das Konzept eine Zukunft?
Im Einkaufskorb von Katrin Kreis klirrt es: Darin liegen mehrere Schraubgläser, die sie von zu Hause mitgebracht hat. Jeder Einkauf im Unverpackt-Laden müsse geplant werden, erklärt Kreis. Doch der Aufwand lohnt sich aufgrund der guten Qualität und der positiven Wirkung auf die Umwelt. Sie hat ihren Hausmüll drastisch reduziert und Kaufen Sie nur das, was sie wirklich braucht.
Sie kommt regelmäßig nach Bad Nauheim (Wetterau). Inhaberin Simone Schmidt kann ihren Laden Nix Drum Rum weiterhin führen. Seit 2019 führt sie ihr Geschäft nahezu plastikfrei: Trockenwaren wie Müsli, Nudeln oder Kaffee gibt es zum Abfüllen aus großen Spendern im Retro-Look. Schmidt verkauft Waschmittel löffelweise aus Metalleimern, Süßigkeiten und Gewürze aus Schraubgläsern.
Allerdings ist unklar, wie lange das so bleiben wird: Nachfrage und Kundenkontakt gehen spürbar zurück, wie der Eigentümer berichtet. Am Ende des Monats wäre sie froh, wenn sie ganz von vorne anfangen würde.
Starker Rückgang der Branche
Damit ist Schmidt nicht allein: Nachdem 2014 der erste sogenannte Unverpackt-Laden in Deutschland eröffnet wurde, boomte die junge Branche auch in Hessen. Allerdings stecken viele Geschäfte schon seit mehreren Jahren in der Krise oder bereits geschlossen haben.
Simone Schmidt verkauft ausschließlich plastikfreie Produkte
Bild © hr/Tom Jeffers
In Nidda, Kassel und Frankfurt mussten zuletzt diverse Geschäfte schließen. In Marburg, wo es damals sogar zwei gab, gibt es heute keine mehr. Laut dem Bundesverband Unverpackt-Läden hat sich die Zahl der Unverpackt-Läden bundesweit in den vergangenen drei Jahren etwa halbiert.
Auch Supermärkte reduzieren ihr Angebot
Viele Supermärkte, die in den letzten Jahren Trockenwarenspender in ihr Sortiment aufgenommen hatten, haben dies nun zurückgefahren.
Die Tegut-Kette aus Fulda meldet inzwischen über 40 Filialen mit Unverpackt-Stationen, derzeit nur halb so viele. Ähnlich verhält es sich beim Bio-Händler Denns: Die Nachfrage sei hinter den Erwartungen zurückgeblieben, heißt es auf der Website. In 20 Filialen wurde das Konzept aufgegeben.
Branchenverband sieht verschiedene Faktoren
Sven Binner, Geschäftsführer des Bundesverbands Unverpackt-Läden Deutschlands, bezeichnet die aktuelle Lage der Branche als angespannt. Um das Jahr 2020 herum gab es ein großes Interesse an Abfallvermeidung, Das Thema Mikroplastik war in aller Munde, sagt Binner.
Vor allem die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die darauf folgende allgemeine gesellschaftliche Verunsicherung hätten der Branche stark zugesetzt. Kunden sind zu Discountern abgewandert, Umwelt und Nachhaltigkeit sind weit nach unten gerutscht.
Als zentrales Problem sieht Binner den Mangel an politischer Unterstützung. Die Politik muss klare Regeln festlegen. Bei herkömmlichen Produkten sind viele Kosten nicht sichtbar – sie werden von der gesamten Gesellschaft getragen.
Vorzeitige Neugründungen und mangelnde Erfahrung
Rückblickend sei zu vermuten, dass manche Läden vorzeitig oder mit falschen Erwartungen eröffnet wurden, teilweise von Leuten ohne vorherige Erfahrung im Einzelhandel, sagt Binner. „Wenn man es mit Start-up-Branchen vergleicht, ist es nicht untypisch, dass manche Leute schnell aufgeben.“
Binner ist überzeugt, dass die Idee noch tragfähig ist. „Die Branche lebt“, sagt er. Es gibt auch Geschäfte, denen es wirtschaftlich gut geht. Auch versucht der Verein seine Mitglieder zu unterstützen, zum Beispiel mit Workshops oder mit Konzepterweiterungen, zum Beispiel mit einem Café oder einer neuen Struktur als Mitgliedershop, in dem nur Mitglieder einkaufen dürfen.
Der Bio-Markt erholte sich insgesamt
Insgesamt hat sich der Markt für Bio-Lebensmittel nach Angaben des Branchenportals oekolandbau.de mittlerweile von den Krisen der vergangenen Jahre erholt. Im Jahr 2024 werde der Bio-Markt deutlich stärker gewachsen sein als der allgemeine Lebensmittelmarkt, heißt es.
Jonathan Penner baut sein Unternehmen „Your Organic Shop“ ständig aus.
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Das kann auch Jonathan Penner bestätigen: Der Jungunternehmer aus Wetzlar (Lahn-Dill) hat seinen Bioladen in den letzten Jahren stetig erweitert. Penner hat kürzlich einen begehbaren Kühlbereich für Gemüse installiert. Allerdings hat er seine große Unverpackt-Ecke schon wieder aufgegeben: zu wenig Nachfrage, zu viel Aufwand, sagt Penner.
Praktische Hürden im Alltag
Penner sagt: „Jeden Einkauf planen zu müssen und Kisten mit Gläsern mitzubringen, am besten vorher geleert und gewaschen – das war vielen Kunden bei allem Umweltbewusstsein einfach zu kompliziert.“ „Vor allem diejenigen, die viel einkaufen. Und auf die bin ich besonders angewiesen.“
Auch der Store musste hohe Hürden überwinden. Lieferanten zu finden ist eine Sache. Eine andere Sache ist es, die über 100 Automaten sauber und die Ware darin frisch zu halten. Mehrfach haben sich Motten eingenistet und zuckerhaltiges Müsli kann unverpackt steinhart werden. „Dann mussten wir große Mengen wegwerfen, worum es überhaupt nicht geht.“
Außerdem hatte er immer das Ziel, unverpackte Produkte günstiger anzubieten als verpackte Produkte. In vielen Fällen war dies wirtschaftlich nicht möglich. Letztlich muss man als Unternehmer damit rechnen.
„Das Konzept hat Zukunft“
Penner sagt: Er verkauft weiterhin unverpackte Ware, aber lose Trockenware wie Nudeln, Reis und Mehl gibt es mittlerweile nur noch in Plastik- oder Papierverpackungen.
Er glaubt nach wie vor daran, dass das Unpackaged-Konzept funktionieren kann. „Aber dann wohl in dicht besiedelten Gebieten mit entsprechenden Kunden oder in Kombination mit anderen Angeboten.“
Plastik darf in Bad Nauheim nicht ins Haus
Bei Simone Schmidt in Bad Nauheim gilt die Devise: nur unverpackt. Das wissen Ihre Stammkunden zu schätzen, auch wenn sie hier mehr ausgeben als im Supermarkt. Eine Kundin sagt: Sie ist hier 40 Kilometer mit dem E-Bike geradelt.
100 Gramm Bio-Nudeln kosten in Bad Nauheim 59 Cent und mehr
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Simone Schmidt sagt: Sie könnte ihre Waren nicht günstiger machen, sie verdient schon jetzt kaum noch Geld damit. Abgesehen von den Spendern kommt Plastik nicht in ihr Haus – sie läuft Gefahr, den Laden aufgeben zu müssen.
Sie hofft natürlich, dass es nicht so weit kommt und denkt über eine Ausweitung des Konzepts nach. Es gibt bereits ein kleines Café-Unternehmen, und sie möchte es vielleicht erweitern.
Mehr als ein Lebensmittelgeschäft
Für Kundin Katrin Kreis ist der Unverpackt-Laden in den letzten Jahren zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden, wie sie sagt. Hier trifft sie Gleichgesinnte, tauscht Sauerteig aus und besucht Kurse zum Thema Nachhaltigkeit.
Ohne den Laden würde etwas fehlen, sagt Kreis. „Das wäre ein echter Verlust für Bad Nauheim, aber auch für mich persönlich.“ Dabei geht es für sie um mehr als nur Einkaufen.
Kundin Kathrin Kreis: Mehr als ein Lebensmittelladen
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