Gewalttätigere Eltern, erhöhte psychische Belastung, weniger Selbstbeherrschung und weniger Angst vor Strafe: Dies sind laut Forschern mögliche Ursachen für die erhöhte Kinder- und Jugendkriminalität.
Wissenschaftler der Universität zu Köln unter der Leitung von Professor Clemens Kroneberg untersuchten die Ursachen und stießen auf beunruhigende Erkenntnisse.
Sie ergänzten die amtliche Kriminalstatistik um eine sogenannte Dunkelfeldstudie, für die 3.800 Schüler der siebten bis neunten Klassen an 27 Schulen in drei nordrhein-westfälischen Städten befragt wurden. Dabei konnten die Forscher auf Zahlen einer Studie aus dem Jahr 2015 zurückgreifen.
Auffällig ist, dass die psychische Belastung der Schülerinnen, insbesondere der Mädchen, deutlich zunahm und ihre Selbstbeherrschung deutlich abnahm. Fast jedes zweite Mädchen klagte über Angstzustände und Depressionen. Die Kriminalität von Mädchen hat stärker zugenommen als die von Jungen, obwohl die Wahrscheinlichkeit, Straftaten zu begehen, bei Mädchen immer noch deutlich geringer ist.
Mehr Gewalt im Elternhaus
Die Forscher vermuten auch, dass Gewalt im Elternhaus eine Ursache sein könnte: Die befragten Kinder und Jugendlichen wurden im vergangenen Jahr häufiger Opfer von Gewalt durch ihre Eltern als im Jahr 2015. Frühere Studien zeigen, dass Kinder, die Opfer von Gewalt werden, häufiger selbst gewalttätig werden.
Während die Zahl der Schwerverbrecher in der allgemeinen Kriminalität laut amtlicher Statistik zurückging, nahm die Zahl der Gewaltdelikte zu, insbesondere bei Mädchen sowie nichtdeutschen Kindern und Jugendlichen.
Die Dunkelfeldstudie ergab, dass die offiziellen Zahlen irreführend sein dürften: Die Forscher stellten fest, dass die Zahl jugendlicher Schwerstraftäter auch bei allgemeinen Straftaten wie Eigentumsdelikten deutlich höher ist als in der Kriminalstatistik ausgewiesen.
Um sich für diese Klassifizierung zu qualifizieren, müssen pro Jahr mindestens fünf Straftaten aufgedeckt und angezeigt werden. Bei der Befragung fiel die Zahl der tatsächlich begangenen Straftaten deutlich höher aus. Die Aufklärungsquote bei Gewaltverbrechen ist deutlich höher als bei anderen Straftaten.
Die Forscher fanden auch einen Zusammenhang zwischen Social-Media-Konsum, mangelnder Selbstkontrolle und Kriminalität.
Moralische Maßstäbe ändern sich
Auch die moralischen Ansprüche von Kindern und Jugendlichen sanken während der Studienzeit. Dies gilt nicht für Gewalt, die nach wie vor weitgehend als inakzeptabel gilt. Bei geringfügigen Verstößen wie der Nichterledigung von Hausaufgaben verringerte sich jedoch das Bewusstsein für ein Fehlverhalten.
Die Schule schwänzen, einen Stift stehlen, einen Klassenkameraden schlagen, aber auch Vandalismus: Die Ablehnung dieser Dinge nahm bei Kindern und Jugendlichen ab.
Während 2015 noch 32,5 Prozent der Schüler der Meinung waren, dass es nicht in Ordnung sei, ihre Hausaufgaben nicht zu machen, sank dieser Anteil im vergangenen Jahr auf 15 Prozent. Im Jahr 2015 empfanden 80 Prozent das Schulschwänzen als verwerflich; im vergangenen Jahr waren es nur knapp 60 Prozent.
Weniger Respekt, weniger Sanktionen
Im Jahr 2015 stimmten 68 Prozent der Schüler der Aussage zu, dass Lehrer Maßnahmen ergreifen, wenn es auf dem Schulgelände zu Streitigkeiten kommt; im vergangenen Jahr waren es nur 39 Prozent.
Der Aussage, dass Lehrer und Schüler einander respektieren und gut miteinander auskommen, stimmten vor zehn Jahren noch 35 Prozent zu, letztes Jahr waren es nur noch 20 Prozent. Außerdem hätten die Schüler weniger Angst vor Aufdeckung und Konsequenzen nach Straftaten.
Unterschiede zwischen Dunkel- und Hellfeld
Bei ihrer Umfrage stellten die Forscher fest, dass Schüler der 7. Klasse gewalttätiger sind als die der 9. Klasse. Die offiziellen Zahlen sind umgekehrt.
Die Forscher vermuten, dass dies daran liegen könnte, dass Gewalttaten jüngerer Schüler seltener angezeigt werden – entweder weil sie weniger intensiv sind oder weil sie nicht strafbar sind.
Die Dunkelziffererhebung ergab, dass es bei Eigentumsdelikten deutliche Zuwächse gibt, während die amtliche Kriminalstatistik einen eher konstanten oder sogar rückläufigen Trend aufweist. Dies deutet darauf hin, dass Ladendiebstahl, die häufigste Straftat, seltener aufgedeckt wird.
Die aktuelle Entwicklung gibt Anlass zur Hoffnung: Trotz des langfristigen Anstiegs der Jugendkriminalität ist sie im vergangenen Jahr erstmals seit Jahren wieder gesunken. (dpa/mg)
 
			 
					