Der Gründer des Heidelberger KI-Unternehmens Aleph Alpha, Jonas Andrulis, legt mit sofortiger Wirkung sein Amt als Geschäftsführer nieder. Zu diesem Zweck wird er den Vorsitz im Beirat des Unternehmens übernehmen und dort künftig beratend tätig sein. Auch Carsten Dirks, der das operative Geschäft verantwortet, verlässt das Unternehmen „im gegenseitigen Einvernehmen“, wie es in der Sanierungsmitteilung heißt.
Das neue Führungsteam besteht aus Reto Spörri und Ilhan Scheer. Dabei handelt es sich nicht um unbekannte Persönlichkeiten. Spörri war zuvor Bereichsleiter bei der Schwarz-Gruppe und verantwortete laut Wirtschaftswoche die E-Commerce-Sparte von Lidl. Im Juli wurde er neben Andrulis als Co-Direktor von Aleph Alpha eingesetzt. Gleichzeitig rückte Scheer, der von der Strategieberatung Accenture kam, als Wachstumsverantwortlicher in die Geschäftsführung ein. Scheer wird voraussichtlich ab Januar 2026 gemeinsam mit Spörri die Geschäftsführung übernehmen.
Ilhan Scheer (links) und Reto Spörri (rechts) bilden das neue Führungsteam von Aleph Alpha.
(Bild: Aleph Alpha)
Die Art und Weise, wie Aleph Alpha den Führungswechsel kommunizierte, gilt in der Branche als ungewöhnlich. Die Ankündigung enthält kein Zitat, in dem Andrulis selbst seinen Rückzug erklärt. Auch auf Nachfrage des Handelsblatts gab die Pressestelle keine Stellungnahme ab. Die kurze Formulierung, dass Andrulis als Vorsitzender des Beirats „das Unternehmen weiterhin tatkräftig und mit voller Energie unterstützen wird“, lässt viel Raum für Interpretationen. Laut Handelsblatt verstärkt dies den Eindruck, dass der Gründer ins Abseits gedrängt wurde.
Zunehmender Einfluss der Schwarz-Gruppe
Nach Ansicht von Branchenexperten deutet die Umstrukturierung auf einen zunehmenden Einfluss der Schwarz-Gruppe hin. Zur Handelsgruppe gehören unter anderem Lidl und Kaufland. Mit der 2023 gegründeten Sparte „Schwarz Digits“ will sich das Unternehmen auch zu einer ernsthaften Konkurrenz für Amazon Web Services (AWS) von Amazon oder Azure von Microsoft entwickeln.
Der Handelskonzern ist einer der größten Anteilseigner von Aleph Alpha und hat laut Handelsblatt durch Schwarz Digits erheblichen Einfluss auf die strategische Ausrichtung von Aleph Alpha gewonnen. Die Unternehmen kooperierten bereits bei KI- und Cloud-Angeboten für die öffentliche Verwaltung. In Branchenkreisen wird seit Monaten über eine mögliche vollständige Übernahme des Start-ups durch den Handelskonzern spekuliert.
Nach Informationen des Handelsblatts erhält Spörri neben seinem Gehalt bei Aleph Alpha weiterhin eine Vergütung von der Schwarz-Gruppe. Dafür wurde ihm eine Nebentätigkeitserlaubnis erteilt. Aleph Alpha reagierte nicht auf eine Anfrage der Zeitung.
Deutsche Antwort auf OpenAI
Aleph Alpha galt als Deutschlands Antwort auf OpenAI und andere US-amerikanische KI-Giganten. Andrulis gründete das Unternehmen 2019 mit der Mission, Europa in der KI-Entwicklung unabhängig zu machen. Doch die hohen Erwartungen wurden nur teilweise erfüllt. Während Konkurrenten wie das französische Unternehmen Mistral mittlerweile mit fast zwölf Milliarden Euro bewertet werden, liegt die jüngste Bewertung von Aleph Alpha laut Handelsblatt bei rund einer halben Milliarde Euro.
Das Unternehmen musste seine Strategie grundlegend ändern und spezialisierte sich auf Anwendungen für Behörden und einzelne Industriezweige. Auch Andrulis erklärte in einem Interview mit heise online im November 2024: „Wir können nicht mit OpenAI konkurrieren, um Geld auszugeben. Deshalb jagen wir ChatGPT nicht als B2C-Produkt.“
Mit der PhariaAI-Plattform, die auch andere Sprachmodelle integrieren kann, möchte sich Aleph Alpha als Technologieanbieter für Unternehmen positionieren, die ihre Daten nicht an US-Anbieter weitergeben möchten.
Die Umstrukturierung wirft die Frage auf, ob Aleph Alpha seine ursprüngliche Vision einer europäischen KI-Souveränität unter der neuen Führung weiterverfolgen kann und will – oder ob sie zunehmend zu einem Baustein in der Technologiestrategie der Schwarz-Gruppe wird.
(ssi)