Die vergangenen Jahre waren eine unerbittliche Lektion für Europa. Ein Kontinent, der glaubte, Verteidigung spiele keine Rolle mehr, wurde von Putin eines Besseren belehrt. Ein Kontinent, der den Klimaschutz über alles andere stellte, fand nur wenige Partner mit ähnlichen Ambitionen. Ein Kontinent, der sich für Freihandel einsetzte, wurde mit Trumps Zöllen konfrontiert. Ein Kontinent, der an die Globalisierung glaubte, wurde Opfer zusammenbrechender Lieferketten. Ein Kontinent, der eine weltpolitische Rolle beanspruchte, wäre ohne die USA kaum in der Lage, in der Ukraine zu agieren; Im Nahen Osten wurde er nicht einmal gefragt. Ein Kontinent, der das Völkerrecht zu seinem Leitprinzip erklärte, musste den Niedergang der Vereinten Nationen mit ansehen.
Die Liste ließe sich fortsetzen, aber es ist schon beängstigend genug. Im Wesentlichen sind die wichtigsten Eckpfeiler der europäischen Außenpolitik und Weltanschauung innerhalb kurzer Zeit untergraben worden und teilweise sogar völlig zusammengebrochen.
Italien ist jetzt der Anker der Stabilität
Früher glaubte man, die Europäer würden stärker werden, wenn sie gemeinsam handeln würden. Nun ziehen sie sich gegenseitig nach unten: Länder wie Frankreich durch Schulden, der einstige Wachstumsmotor Deutschland durch wirtschaftliche Schwäche, viele Mitgliedstaaten durch soziale Konflikte und alle zusammen durch Verteidigungsdefizite, die nicht in kurzer Zeit ausgeglichen werden können. Die Misere lässt sich vielleicht am besten daran erkennen, dass der ungarische Ministerpräsident derzeit in Washington mehr Aufmerksamkeit erhält als der Präsident der EU-Kommission. Europa wird weltweit nicht ernst genommen, weil es nicht ernst genommen werden muss.
Das Erstaunliche ist, dass diese Entwicklung lange beklagt wird, die Politiker aber weiterhin die Schlachten der Vergangenheit ausfechten. Dies gilt insbesondere für die beiden großen Mitgliedsstaaten, ohne die Europa nicht viel bewegen kann. In Frankreich dreht sich alles um die Rücknahme der Rentenreform; In Deutschland gibt es immer noch eine Debatte über Migration. Dass eine rechtspopulistisch geführte Regierung in Italien zu einem der letzten Stabilitätsanker geworden ist, sagt viel über die tiefe Krise der etablierten Parteien aus, macht Europa aber nicht zur Weltmacht.
Nötig ist, wie in der innenpolitischen Debatte, mehr Ehrlichkeit. Der Niedergang Europas war in mancher Hinsicht unvermeidlich; Historisch gesehen dauert es viele Jahrzehnte. Nach den Weltkriegen verloren die Europäer die westliche Führung an die Vereinigten Staaten. Der industrielle Aufstieg Asiens und der enorme Geldtransfer in die Rohstoffländer im Nahen Osten, aber auch nach Russland, schufen später neue Machtzentren.
In dieser multipolaren Welt, die von Großmachtkonkurrenz geprägt ist, kann ein multiethnischer Kontinent wie Europa nicht die erste Geige spielen. Die einst als Ziel präsentierten „Vereinigten Staaten von Europa“ sind nicht nur politisch unrealistisch, sondern auch der falsche Maßstab: Die EU wird nicht die zweite USA werden. Wenn es gut läuft, bleiben wir auf dem dritten Platz, hinter Amerika und China. Wenn es schlecht läuft, wird die EU zusammenbrechen und Europa wird erneut in Einflusszonen ausländischer Mächte aufgeteilt.
Auslandsdienst ohne großen Mehrwert
Die Ohnmacht Europas ist aber auch eine Folge einer weltfremden Mentalität, die viel zu lange unser Denken und Handeln bestimmt hat. Es hatte immer etwas Neokoloniales, dass die EU eine „normative Macht“ war, die ihre Werte in den Rest der Welt exportieren konnte, aber vor allem ging es oft nach hinten los. Der Versuch, Kinder- oder Klimaschutz global durchzusetzen, schadete der europäischen Wirtschaft. Der Versuch, das Recht auf Asyl aufrechtzuerhalten, brachte viele europäische Gesellschaften an die Grenzen ihrer materiellen und kulturellen Möglichkeiten. Der Versuch, Sicherheit „umfassend“ zu definieren, führte zur Wehrlosigkeit.
Die Lösung liegt nicht in einer Stärkung der EU, wie es von den Verantwortlichen dieser Entwicklung reflexartig gefordert wird. Der Europäische Auswärtige Dienst hat sich als Institution ohne großen Mehrwert erwiesen; Auch der derzeitige Auslandsvertreter bringt kein politisches Gewicht auf die Waage.
In erster Linie braucht die EU starke Mitgliedstaaten, sowohl wirtschaftlich als auch militärisch. Dies dürfte eher durch gesetzgeberische Zurückhaltung in Brüssel gelingen, wie die Debatte um bürokratische Belastungen zeigt. Und es erfordert ein realistisches Verständnis der Welt, in der wir leben. Trump, Xi Jinping oder Putin sind keine Flecken in der Geschichte. Sie repräsentieren, womit sich Europa zunehmend auseinandersetzen muss: Länder, die rücksichtslos ihre nationalen Interessen verfolgen.
