Ukraine-Krieg: Selenskyj setzt viel aufs Spiel – und könnte alles verlieren

Ukraine-Krieg: Selenskyj setzt viel aufs Spiel – und könnte alles verlieren

Wolodimir Selenskyj, Friedenstaube

Bild Wolodimir Selenskyj: Juergen Nowak / Shutterstock.com / Grafik: TP

Wolodimir Selenskyj stellte einen Fünf-Punkte-Plan vor. Bis Ende 2025 will der ukrainische Präsident den Krieg gewinnen. Doch sein riskanter Kurs könnte nach hinten losgehen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj stellte Mitte des Monats den Mitgliedern des ukrainischen Parlaments seinen bisher geheimen Siegesplan vor. In seiner Rede betonte er, dass er den Krieg in der Ukraine mit der Strategie „Frieden vor Stärke“ bis spätestens Ende 2025 beenden wolle.

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Er legte einen Fünf-Punkte-Plan mit drei weiteren Geheimdokumenten vor. Ende September hatte er bereits Präsident Joe Biden und die beiden Präsidentschaftskandidaten in den USA informiert. Folgende Schwerpunktthemen finden sich im Plan wieder:

1. Punkt: Bedingungslose Einladung zur NATO

Russland habe über Jahrzehnte die geopolitische Unsicherheit in Europa und die Tatsache, dass die Ukraine kein NATO-Mitglied ist, ausgenutzt, sagte Präsident Selenskyj im Parlament in Kiew. Dies veranlasste Russland, die Ukraine anzugreifen.

Russland muss den Krieg verlieren. Dies bedeutet weder ein Einfrieren noch eine Aufgabe der Souveränität seines Landes. Verhandlungen über ukrainisches Territorium stünden nicht zur Debatte.




Rolf Bader


Das Fazit daraus ist die Einladung an die NATO. Diese Forderung wird in Selenskyjs Plan als oberste Priorität aufgeführt. Die Einladung ist ein Angebot an die Ukraine, später der NATO beizutreten, und ein starkes Signal an Russland, den Krieg zu beenden. Die NATO-Satzung verlangt Einstimmigkeit bei der Aufnahme neuer Bündnismitglieder.

Beim diesjährigen Nato-Gipfel in Washington sprachen sich mehrere Mitgliedsstaaten gegen eine Aufnahme der Ukraine aus. Derzeit unterstützen nur Polen und die baltischen Staaten die ukrainische Sache.

Auf dem NATO-Gipfel wurden auch Bedingungen genannt, die die Ukraine erfüllen muss: darunter Reformen in den Bereichen Demokratie, Wirtschaft und Korruptionsbekämpfung. Eine Erfüllung der Forderung Selenskyjs nach einer NATO-Mitgliedschaft während des Krieges kann derzeit ausgeschlossen werden.

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2. Punkt: Stärkung der Verteidigung

Die Stärkung der Verteidigung ist notwendig, um die Positionen auf dem Schlachtfeld zu behaupten. Gleichzeitig soll die ukrainische Armee den begonnenen Angriff auf russisches Territorium ausweiten und in die Lage versetzt werden, Kriegsziele im russischen Hinterland erfolgreich zu bekämpfen.

Die Russen sollten spüren, was Krieg bedeutet. Ziel ist es, den Hass der russischen Bevölkerung auf den Kreml zu lenken. Der laufende Einsatz der ukrainischen Armee in der Region Kursk werde fortgesetzt, sagte Präsident Selenskyj.

Von entscheidender Bedeutung ist die Freigabe der Reichweite der NATO-Waffensysteme, die derzeit auf maximal 300 km begrenzt ist. Bisher verweigerten die USA, ebenso wie Bundeskanzler Olaf Scholz, die Zustimmung zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern mit einer Reichweite von rund 700 km.

Aus militärischer Sicht ist die Räumung sinnvoll: Um Zentren der russischen Rüstungsindustrie, Munitionsdepots und Treibstofflager zerstören zu können, müssen Langstreckenwaffensysteme eingesetzt werden.

Die meisten russischen Erfolge wurden durch Gleitbombenangriffe erzielt. Der Einsatz der Luftwaffe erfolgt von frontnahen Flugplätzen aus. Diese könnten durch US-amerikanische Marschflugkörper oder andere Raketensysteme bekämpft werden.

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Sicherheitspolitisch wäre eine Genehmigung mit Eskalationsrisiken verbunden. Russland könnte taktische Atomwaffen nahe der Grenze stationieren und mit dem Ersteinsatz drohen.1

Für Bundeskanzler Olaf Scholz würde eine Zustimmung die Gefahr eines Nato-Russland-Krieges mit sich bringen. Darüber hinaus ist für ihn aufgrund des deutschen Angriffskrieges gegen die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg der Einsatz deutscher Waffen auf russischem Territorium tabu. Sicherheitspolitisch ist es wichtig, dass Olaf Scholz in seinem Amt bleibt.

3. Punkt: Abschreckung stärken

Die ukrainische Verteidigungsindustrie soll mit westlicher Hilfe gestärkt und die Produktionskapazitäten im konventionellen Bereich ausgebaut werden. Westliche Rüstungsunternehmen werden aufgefordert, in der Ukraine zu produzieren. Diese Unterstützung ist notwendig, um vor Ort Panzer bauen und Munitionsengpässe ausgleichen zu können.

4. Punkt: Zugang zu ukrainischen Rohstoffen

Die Ukraine verfügt über wertvolle Rohstoffe, die nicht unter russische Kontrolle geraten dürfen. Als Ressourcen werden Graphit, Lithium, Titan und Uran genannt. Diese müssen in der demokratischen Welt erhalten bleiben und genutzt werden, sagte Präsident Selenskyj.

Für den Westen ist es eine industriepolitische Notwendigkeit, die Verfügbarkeit sicherzustellen. Mit den USA und der EU soll ein Abkommen zur Sicherung ukrainischer Ressourcen geschlossen werden.

5. Punkt: Die Ukraine im westlichen Bündnis

Nach dem Ende des russischen Angriffskrieges sollte die Ukraine ihre militärischen Erfahrungen in das westliche Bündnis einbringen. Dem Plan zufolge könnte es mit seinen kriegserfahrenen Soldaten auch in Europa US-Truppen entlasten oder sogar ersetzen.

Präsident Selenskyj macht diesen Vorschlag wahrscheinlich wegen der bevorstehenden Präsidentschaftswahl in den USA. Das Angebot an die NATO, das Bündnis und die Verteidigungsfähigkeit zu stärken, soll die Forderung der Ukraine nach einer NATO-Mitgliedschaft unterstreichen.

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Zur aktuellen Kriegssituation

Den Menschen in der Ukraine steht der dritte Kriegswinter bevor. Große Teile der lebenswichtigen Energieversorgung sind zerstört oder ständigen russischen Angriffen ausgesetzt. Der Zivilbevölkerung droht erneut eine schwierige Zeit mit Kälte und Nässe in teilweise zerstörten Wohngebäuden.

Die Strom- und Wasserversorgung ist stellenweise unterbrochen. Es werden mühevolle Versuche unternommen, Reparaturen durchzuführen und die Funktionsfähigkeit wiederherzustellen. Menschliches Leid ist schwer in Worte zu fassen.

Die russischen Truppen sind in wichtigen Frontabschnitten auf dem Vormarsch, die Umstellung auf Kriegswirtschaft gelang in relativ kurzer Zeit, die Rüstungstechnik wurde beschleunigt und deutlich verbessert, die Produktion läuft auf Hochtouren.

Es stehen weiterhin ausreichend Soldaten und ausgebildete Reserven zur Verfügung und können ohne logistische Probleme wieder aufgefüllt werden. Die logistische Unterstützung mit militärischer Ausrüstung aus Iran und Nordkorea funktioniert und ist eine wesentliche Verstärkung.

Es ist fraglich, ob die Ukraine angesichts dieser militärstrategischen Situation mit dem Siegesplan ihres Präsidenten den russischen Angriffskrieg stoppen kann.

Präsident Selenskyj plant die Einberufung einer weiteren Friedenskonferenz, zu der er auch Russland einladen will.

Als Reaktion auf den ukrainischen Siegesplan fordert Russland unmissverständlich einen neutralen Status für die Ukraine und die Anerkennung der russischen Annexion der besetzten Gebiete in der Süd- und Ostukraine. Dazu gehören die Oblaste Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja. Dies sind die Bedingungen Russlands für eine mögliche Teilnahme an einer Friedenskonferenz.

Für die Ukraine sind Gebietsverluste jedoch keine Option. Gemäß der UN-Charta beruft es sich auf das Recht auf Souveränität und die territoriale Integrität seines Territoriums. Ein Blockfreiheitsstatus der Ukraine oder ein „Kriegsstopp“ wird kategorisch abgelehnt.

Gibt es unter diesen Umständen Kompromisslinien, die helfen könnten, den Krieg einzudämmen?

Kiew muss die Frage beantworten, ob und inwieweit es zu politischen und territorialen Kompromissen bereit ist, um den Krieg zu beenden und ukrainische Leben zu retten. Kiew kann dies nur dann positiv beantworten, wenn Moskau zu Kompromissen bei maximalen Kriegszielen bereit ist und die Unabhängigkeit und Souveränität der Ukraine garantiert.

Wolfgang Richter, „Europa und der Ukraine-Krieg“

Trotz der schwierigen Ausgangslage ist eine Verhandlungsstrategie, die auf Win-Win-Lösungen basiert und die legitimen Sicherheitsinteressen beider Kriegsparteien berücksichtigt, die einzig realistische Option für Friedensgespräche, um einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg zu erreichen.

Die übergreifende strategische Stabilität zwischen der NATO und Russland muss wiederhergestellt werden. Als oberstes Ziel wird die Verhinderung eines Atomkrieges angesehen.

Das kann die Ukraine in diesem Krieg natürlich nicht leisten. Dies muss durch die NATO und insbesondere durch die Führungsmacht USA gewährleistet werden. Dafür wären Rüstungskontrollgespräche nötig, die mit einem Angebot an Russland, erstmals auf den Einsatz von Atomwaffen zu verzichten, eingeleitet werden könnten.

Rolf BaderJahrgang 1950, Diplom-Pädagoge, ehemaliger Offizier der Bundeswehr, ehemaliger Geschäftsführer der Deutschen Sektion Internationaler Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW).

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