Aktive Reserve nach vorne
Russland stehe vor einer „erheblichen Kehrtwende“ bei der Mobilisierung von Kämpfern
14. Oktober 2025, 9:49 Uhr
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Der Kreml lockt mit hohen Belohnungen Freiwillige für die Invasion in der Ukraine an. Aber die Dynamik lässt wahrscheinlich nach. Nun werden die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, die aktive Reserve an die Front zu schicken. Das könnte Kosten sparen, birgt aber auch eine große Gefahr.
Nach Angaben des Institute for War Studies (ISW) hat eine Kommission des russischen Ministerkabinetts einem neuen Änderungsentwurf zugestimmt, der rechtliche Hindernisse für den Einsatz von Reservisten im Kampf beseitigt. „Der Kreml bereitet sich darauf vor, erstmals schrittweise Reservisten für den Kampf in der Ukraine zu mobilisieren“, sagte der US-Thinktank.
Gleichzeitig ist das ISW der Auffassung, dass die neue Regelung nicht gleichbedeutend mit einer groß angelegten Mobilisierung zur drastischen Vergrößerung des Militärs sei. Eine solche Mobilisierung sei unwahrscheinlich, heißt es. „Putin verfügt bereits über die rechtlichen Mechanismen, die er für eine groß angelegte einmalige unfreiwillige Mobilisierung jeglichen Ausmaßes benötigt, und es wären zum jetzigen Zeitpunkt keine Änderungen erforderlich, um das russische Militär dramatisch auszuweiten.“
Dennoch werden die neuen Regelungen für die Reservisten als „bedeutende Wende“ in der russischen Strategie gewertet. Bisher setzte der Kreml für den Einmarsch in die Ukraine vor allem auf die Mobilisierung von Freiwilligen durch hohe Prämien. Allerdings „melden sich nicht mehr so viele freiwillig als Vertragssoldaten, auch wenn die Zahlungen steigen. Die Verluste scheinen die Neuverpflichtungen zu übersteigen“, sagt ntv-Reporter Rainer Munz. Das sei im Moment keine wirkliche Schwierigkeit, „aber die russische Regierung bereitet sich darauf vor, dass es schwieriger werden könnte.“
So sieht die aktive Reserve Russlands aus
Das ISW gibt unter Berufung auf russische Quellen an, dass die aktive russische Reserve zwei Millionen Mitglieder hat. Dabei handelt es sich um Soldaten, die ihren Grunddienst abgeleistet haben, und um Bürger, die freiwillig einen Vertrag mit dem russischen Verteidigungsministerium abgeschlossen haben. Sie bleiben bis zu ihrer Einberufung Zivilisten und erhalten für ihre Arbeit in der Reserve eine finanzielle Entschädigung. Dazu gehört auch die Teilnahme an Übungen. Im Falle einer Mobilmachung müssen sich Reservisten bei den Wehrersatzämtern melden.
Allerdings vermeidet der Kreml seit Jahren groß angelegte Mobilisierungen, die in der Bevölkerung unpopulär sind. Zudem ist offiziell nicht von einem Krieg gegen die Ukraine die Rede, sondern lediglich von einer „Sonderoperation“. Da gesetzlich keine Reservisten ohne Mobilisierung eingezogen werden dürfen, sucht der Kreml nun nach neuen Regelungen, um sie an die Front zu bringen. „Zumindest im Moment sollen die Soldaten für bis zu zwei Monate einberufen werden können. Das kann sich auch schnell ändern“, sagt ntv-Reporter Munz.
Aktive Reservisten in den Kampf zu schicken und weniger Freiwillige mit hohen Prämien zu locken, hat laut ISW den Vorteil, hohe Kosten zu sparen. Eine große Gefahr wird jedoch in der möglichen Unzufriedenheit der russischen Bevölkerung gesehen. „Der Kreml wird die mobilisierten Reservisten wahrscheinlich fälschlicherweise als Mitglieder der Berufsreserve darstellen, die freiwillig in der Ukraine gekämpft haben, um zu verhindern, dass die russische Gesellschaft sich dem verstärkten Einsatz mobilisierter Reservisten widersetzt.“