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Über welche Punkte streiten die Ampeln?

Mitte Oktober beschloss die SPD ein Konzept, das über die im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben hinausgeht. Die Grünen und nun auch die FDP sind diesem Beispiel gefolgt, was Spekulationen über ein Abschalten der Ampel befeuert. Darum geht es im Inhalt.

Warum legen die Koalitionspartner mitten in der Legislaturperiode neue Programme vor?

Der Grund für die programmatischen Papiere ist die wirtschaftliche Schwäche Deutschlands. Die Wirtschaftsleistung dürfte in diesem Jahr zum zweiten Mal in Folge stagnieren. Als Grund für ihren Schritt nennt die SPD drohende Arbeitsplatzverluste in der Industrie. In dem Papier des Bundeswirtschaftsministeriums, das die Unterschrift von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) trägt, ist von strukturellen Problemen die Rede, auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) spricht von einer „strukturellen Wachstumsschwäche“. Über diesen Anlass hinaus macht der Forderungskatalog den Willen der Parteien deutlich, mit ihren Kernanliegen an die Öffentlichkeit zu gehen, ohne dabei inhaltliche Kompromisse einzugehen und Rücksicht auf die Koalitionspartner zu nehmen.

Was sind die Kernforderungen von Finanzminister Lindner?

Der FDP-Chef hat drei Hauptforderungen, die der Wirtschaft Schwung verleihen sollen: weniger Steuern und Regulierungen, eine andere Klimapolitik und mehr Arbeitsanreize. Ein „sofortiges Moratorium“ für neue Regelungen soll unter anderem das von der SPD vorangetriebene Tariftreuegesetz und das Lieferkettengesetz betreffen, das derzeit ohnehin in der Ampel steht. Der Solidaritätszuschlag, den die obersten zehn Prozent der Steuerzahler, viele Unternehmen und Selbstständige zahlen müssen, soll 2025 fallen und 2027 ganz abgeschafft werden. In der Klimapolitik will Lindner das deutsche Ziel der Klimaneutralität verschieben von 2045 bis 2050 und senken die Vergütung für erneuerbare Energien „in den nächsten Jahren“ auf Null. Lindner will den Klima- und Transformationsfonds abschaffen, aus dem viele Klimaschutzmaßnahmen subventioniert werden. Der europäische Emissionshandel, der CO reduziert2-Emissionen sind teurer, dürften aber eine größere Rolle spielen. Bei den Bürgerleistungen soll die „Grandfathering-Regel“, die einen Leistungsrückgang in wirtschaftlich schlechteren Zeiten verhindert, abgeschafft werden. „Individuelle Benachteiligungen“ seien „unvermeidlich“, um mehr Menschen zur Arbeitsaufnahme zu bewegen.

Wie will Wirtschaftsminister Habeck die Wirtschaft ankurbeln?

Habecks Kernforderung ist ein „Deutschlandfonds für Investitionen“. Um die schwächelnden Investitionen der Unternehmen anzukurbeln, will der Wirtschaftsminister im Gegensatz zu Lindner nicht die Steuern senken, sondern die Einkäufe der Unternehmen mit zehn Prozent subventionieren. Wer also eine Maschine für 100.000 Euro kauft, erhält 10.000 Euro vom Staat. Neben dieser markanten Forderung ist in der Debatte jedoch untergegangen, dass das Habeck-Papier viele weitere Punkte enthält: neue, schlankere Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten unter anderem, niedrigere Netzentgelte und Energiesteuern für Stromkunden, ein Fonds für Infrastruktur, Bildung und Digitalisierung. Im Kontext der Koalition ist bemerkenswert: Habeck will den Deutschlandfonds über die Schuldenbremse hinaus mit Schulden füllen, was die FDP strikt ablehnt.

Wie die Grünen wollen auch die Sozialdemokraten mehr Geld in Straßen, Kitas und Energienetze investieren. Sie wollen dafür nicht nur einen Deutschlandfonds schaffen, sondern auch eine „Reform der Schuldenregeln“, was die Liberalen kategorisch ausschließen. Die SPD will Industrieunternehmen durch einen subventionierten Strompreis entlasten, auch die Netzentgelte für Endkunden sollen sinken. Um deutschen Autoherstellern aus ihrer Absatzkrise zu helfen, will die SPD „Kaufanreize“ für Elektroautos prüfen. Die SPD will in sozialen Fragen keine Kompromisse zulassen: Das Rentenpaket II, das mittelfristig ein bestimmtes Leistungsniveau garantiert, aber die Beitragssätze erhöht, soll noch in diesem Jahr vom Bundestag verabschiedet werden. Die FDP-Bundestagsfraktion hat Nachbesserungsbedarf beim Rentenpaket gemeldet. Die SPD will den Mindestlohn, über den eigentlich die Mindestlohnkommission entscheiden muss, auf 15 Euro erhöhen.

Welche Unterschiede zeigen die Beiträge über einzelne Inhalte hinaus?

Die Konzepte der drei Parteien offenbaren gegensätzliche wirtschaftspolitische Ansätze; Lindner spricht von verschiedenen „Denkschulen“. Während die FDP ordnungspolitisch argumentiert, also vor allem den Unternehmen günstige Rahmenbedingungen und wenige Regulierungen bieten will, setzen SPD und Grüne auf eine stärkere Rolle des Staates. Um bestimmte gesellschafts- und klimapolitische Ziele zu erreichen, setzen sie zudem auf Subventionen, staatliche Forderungen und industriepolitische Leuchtturmprojekte, wie etwa den Aufbau mehrerer großer Chipfabriken.

Welche programmatischen Gemeinsamkeiten gibt es?

Trotz aller Unterschiede gibt es durchaus Raum für gemeinsame Reformen. Neben der gemeinsamen Problembeschreibung sind sich die drei Parteien darüber einig, dass der Bürokratieabbau vorangetrieben werden muss. Ein mögliches Beispiel ist das Ende des deutschen Lieferkettengesetzes, das die Kanzlerin den Unternehmen in diesem Jahr versprochen hat. Auch eine Entlastung der Stromkunden liegt im Interesse aller Beteiligten. Allerdings gehen die Vorschläge zur Umsetzung hier noch auseinander. Gleiches gilt für das allen Beteiligten gemeinsame Anliegen, die Infrastruktur – insbesondere Straßen und Schienennetz – zu modernisieren. Diese Ähnlichkeiten sind in Koalitionskreisen durchaus zu beobachten. Die große Frage ist jedoch: Gibt es noch einen gemeinsamen Willen zu inhaltlichen Kompromissen und gemeinsamen Reformen?

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ueber-welche-punkte-streitet-die-ampel-110087433.html

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