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„Tatort“ Wien: Er ist der heißeste Rapper Wiens

„Tatort“ Wien: Er ist der heißeste Rapper Wiens

Der Sommer war nicht nur sehr groß, sondern auch sehr lang: EM, Olympische Spiele, Paralympics. Drei Wochen nach dem Saisonstart der Herren-Fußballsaison startet nun auch die neue Staffel der ARD-Sonntagsabend-Krimireihe. Und wer gut mit Analogien ist, könnte sagen: Was die Schiedsrichter-VAR-Regeldiskussionen für den Fußball sind, Tatort Und Polizeiruf die Debatten über Ausrüstungsfragen.

Denn die neue Wiener Folge Ihre Mutter
(ORF-Redaktion: Bernhard Natschläger, Kerstin Bertsch) macht mit Bühnenbild und Kostümbild (Katharina Wöppermann, Isabella Derflinger) da weiter, wo der letzte aus Österreichs Hauptstadt im Frühjahr aufgehört hat – in Petrol. Das attraktive Grünblau dominiert diesen Krimi. Die Vorteile liegen auf der Hand. Die Farbe strahlt nicht nur Kühle und Eleganz aus, Petrol bringt auch andere Akzente wie Rot und Gelb immer stärker zur Geltung. Ein Teamplayer eben.

Über diese Farbwahl lässt sich auch deshalb streiten, weil man in den bewusst und geschmackvoll arrangierten Bildern (Kamera: Sebastian Thaler) eine klare Gestaltungsidee erkennt, wie Manfred Döring, der Szenenbildner der letzten Wien-Folge, lobte.

Der Nachteil des Petrolismus ist, dass diese Form des Stylings immer auf Uniformität hinausläuft. Verschiedene Milieus, in denen ein bürgerlicher, gepflegter Basic-Chic herrscht, lassen sich schlechter voneinander abgrenzen. Ihre Mutter es geht in die Welt der Gangster Rapper, die für die auch alternden Tatort
ist kein Heimspiel.

Der Rapper Ted Candy alias Theodor Sänftner ist tot. Er hatte Beef, wie es in der Szene heißt – und was Bibi (Adele Neuhauser) und Eisner (Harald Krassnitzer) dem Publikum als Streit übersetzen – mit seinem ehemaligen Unterstützer Akman Onur (Murat Seven). Ted Candy hatte auch Ärger mit seinem Liebhaber Ferdl Fuchs (Tobias Resch), und auch eine alkoholkranke Mutter (gespielt im Til Schweiger-FilmTatort Die Staatsanwältin Edita Malovčić sitzt ihm im Nacken und ein junges Talent namens Bashir Amadi und seine Freundin Dalia sitzen ihm im Nacken.

Der Ausflug in die Welt des Rap wird von echten Musikern unterstützt. Aleksandar Simonovski alias Yugo oder Jugo Ürdens spielt Ted Candy, Kiara Hollatko alias Keke spielt die Rolle von Dalia, Francis Ayozieuwa, der auch als Frayo 47 Musik macht, spielt Bashir. Das hilft: Die Bühnenszenen und Gesangseinlagen wirken ebenso ungezwungen wie jene für Ihre Mutter
Das einzige, was Sie vielleicht stört, ist, dass dies Tatort
(Regie: Mirjam Unger) findet das und zeigt es stolz minutenlang, bis hin zu einer Traumszene von Bibi. Vielleicht soll damit das jüngere Publikum, das nicht so sehr auf Krimis steht, bei der Stange gehalten werden.

Weniger eindrucksvoll ist freilich die Geschichte des Falles (Buch: Franziska Pflaum, Samuel Deisenberger). Das wird auf dem Obduktionstisch von Kreindl (Günter Franzmeier) deutlich, als sich unter Einsatz aller Fachbegriffe unglückliche Umstände als Erklärung für den Mord herauskristallisieren: Ted Candy legte keinen großen Wert auf eine gesunde Lebensführung und hatte deshalb ein Aneurysma im Kopf; den Schlag auf den Hinterkopf, an dem er starb, hätte vermutlich auch jemand anders überlebt, vor allem wenn ärztliche Hilfe gerufen worden wäre.

Solche Konstruktionen erweitern den Kreis der Verdächtigen, schwächen aber die Motivation: Ist die Leiche nur deshalb eine Leiche, weil sie ohne Mordabsicht auf den Kopf geschlagen wurde, kommen mehr Personen in Frage als jemand mit einem klaren Grund. Die Ermittlungen ziehen sich entsprechend hin, machen gelegentlich einen Abstecher zum Superschurken Igor Slavin (Hary Prinz) als Chef von Akman. Am Ende war Dalia das letzte, schwächste und auf den ersten Blick unwahrscheinlichste Glied in der Kette, die Freundin, die, weil Ted ihren Bashir würgte, zum Feuerlöscher griff.

Für Fans, die den Täter erraten möchten, mögen solche Tricks den Spaß erhöhen, erzählerisch sind sie jedoch nicht sehr unterhaltsam. Ein System, das bis zum Ende viel offen lässt, wirkt so schematisch wie das beliebte Cluedo-Spiel, bei dem es verschiedene Namen und verschiedene Mordwaffen gibt und der Rest zufällig ist. Der Whodunit gilt als eine Form des ARD-Sonntagsabendkrimis; was daran langweilig ist, zeigt sich in der Routine, mit der Ihre Mutter durch seine Mitarbeiter und die möglichen Verstrickungen des Opfers, die zur Tat beitragen könnten.


Streiten über frauenfeindliche Rap-Texte: Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi (Adele Neuhauser) © ARD Degeto/​ORF/​Petro Domenigg

Der Durchschnitt stabilisiert sich in Wien noch immer durch Bibi und Eisner, die gut gespielt sind. Auch wenn Bibi hier für Positionen eingesetzt wird, die nicht immer stimmig erscheinen: Wenn Eisner sich in den Songtexten über Gewalt und Sexismus aufregt und als verständnisvoller Mann für emanzipatorische Diskurse auftritt, ist es Bibi, die Fürsprecherin der Gegenseite zu sein („Heutzutage muss alles politisch korrekt sein“), um später zu versuchen, ihre Kollegin am Imbiss für fleischlose Ernährung zu begeistern. Menschen sind eben unterschiedlich.

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