„System wahrscheinlich nicht unbesiegbar“
Verschafft der nukleare Marschflugkörper Burevestnik Russland einen Vorteil?
29. Oktober 2025, 13:11 Uhr
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Sie soll eine nahezu unbegrenzte Reichweite haben und nicht abfangbar sein – mit markigen Worten stellt Russland seine atomar angetriebene Marschflugkörper „Storm Bird“ vor. Doch was steckt wirklich hinter der vermeintlichen Wunderwaffe?
Russland sorgt mit der Präsentation einer neuen Atomwaffe für Schlagzeilen: Nach Angaben von Präsident Wladimir Putin sind die Tests der atomar betriebenen Marschflugkörper 9M730 Burevestnik (Sturmvogel) erfolgreich abgeschlossen. Putin hatte die Waffe bereits 2018 als Reaktion auf die Bemühungen der USA, einen Raketenabwehrschild zu schaffen, angekündigt. Bei einem Vorfall im Jahr 2019 kamen mindestens fünf Menschen ums Leben.
Der neue Marschflugkörper könne mit konventionellem Sprengstoff oder einem Atomsprengkopf bestückt werden, habe eine enorme Reichweite und sei für aktuelle und zukünftige Raketenabwehrsysteme „unbesiegbar“, behauptet Russland. Aber was genau ist das?
Als Marschflugkörper ist Burevestnik wie ein kleines Flugzeug mit Strahltriebwerk konzipiert. Lediglich der Schub wird nicht durch die Verbrennung von Treibstoff erzeugt. Vielmehr erhitzt ein kleiner Kernreaktor die Luft so stark, dass sie mit hoher Geschwindigkeit durch die Düse strömt und den Marschflugkörper antreibt.
Große Reichweite
Da Kernbrennstoff eine um ein Vielfaches höhere Energiedichte aufweist als herkömmlicher Treibstoff, ist auch die Reichweite des Marschflugkörpers deutlich höher. Der Russische Generalstabschef Waleri Gerassimow sprach von einem 15-stündigen Test, bei dem der Marschflugkörper 14.000 Kilometer zurückgelegt habe. Theoretisch könnte Russland jeden Punkt der Erde erreichen. Allerdings fliegt Burevestnik unterhalb der Schallgeschwindigkeit, was die lange Flugzeit erklärt. Eine Reise um die Welt würde also mindestens 40 Stunden dauern.
Das geht vergleichsweise langsam: Nuklear bestückte Interkontinentalraketen, von denen Russland mehrere Hundert im Einsatz hat, können innerhalb einer halben Stunde jeden Punkt der Erde erreichen. Die Frage ist also: Welchen Vorteil bietet Burevestnik Russland? „Die Idee ist, dass es im Wesentlichen unbegrenzt fliegen und daher Verteidigungsanlagen umgehen kann“, sagte der Atomwaffenexperte Jeffrey Lewis vom Middlebury Institute of International Studies gegenüber Reuters. Ziel des Systems ist es, Raketenabwehrsysteme wie den von den USA geplanten Golden Dome zu besiegen.
Interkontinentalraketen fliegen hoch in den Weltraum und landen dann in einer langen ballistischen Kurve wie ein Projektil viele tausend Kilometer weiter auf der Erde. Ein Marschflugkörper hingegen fliegt dicht über dem Boden und wird daher von landgestützten Radarsystemen theoretisch erst spät erkannt.
Zweifel am Vorteil
Allerdings bezweifeln Experten, ob der Marschflugkörper tatsächlich einen Vorteil bietet. Der Ukraine-Krieg zeigt, dass mit Unterschallgeschwindigkeit fliegende Marschflugkörper durch moderne Flugabwehrsysteme relativ leicht abgeschossen werden können. „Technisch ist es möglich“, kommentierte William Alberque, ein ehemaliger Rüstungskontrolloffizier der NATO, gegenüber dem Wall Street Journal das Burevestnik-System. Aber jetzt sind Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit wichtigere Faktoren.
Allerdings wäre es denkbar, dass Burevestnik seine große Reichweite nutzen könnte, um potenzielle Gegner wie die USA aus bisher weniger genau überwachten Richtungen anzugreifen – etwa durch eine einmalige Umrundung der Welt, um aus dem Süden anzureisen. Als Reaktion könnten jedoch mehr Verteidigungsanlagen gebaut und Flugzeuge eingesetzt werden, sagt Atomwaffenexperte Lewis. „Ich glaube also nicht, dass das System unbesiegbar ist, aber es ist Teil des sich verschärfenden Wettrüstens, in dem wir uns befinden.“
Die USA haben ihr eigenes Programm verabschiedet
Bisher ist nicht bekannt, dass ein anderes Land an einer nuklearen Marschflugrakete arbeitet. Auch die Vereinigten Staaten experimentierten in den 1950er und 1960er Jahren mit Atomantrieben. Nach erfolgreichen Tests wurde jedoch das Pluto-Projekt, das eine nuklearfähige Marschflugkörper mit großer Reichweite vorsah, eingestellt. Grund waren Bedenken, dass die radioaktiven Emissionen der Anlage Menschen auf den Flugrouten verstrahlen könnten. Vor allem aber verfügten die USA bereits Anfang der 1960er Jahre über Interkontinentalraketen, die als besser zur nuklearen Abschreckung geeignet galten.
In der Vergangenheit diskutierten Experten die Frage, ob Burevestnik radioaktive Gase ausstößt. Dies wäre der Fall, wenn es sich um ein offenes System handeln würde, bei dem Luft durch den Reaktorkern strömt. Im Westen war von einem „fliegenden Tschernobyl“ die Rede. Denkbar ist aber auch ein geschlossenes System, bei dem der Reaktorkern nicht mit der Luft in Berührung kommt. Es bleibt unklar, welches Konzept bei Burewestnik umgesetzt wurde. Der im Exil lebende russische Nuklearexperte Pavel Podvig glaubt jedoch, dass, wenn die Marschflugkörper einen radioaktiven Auslass hätten, dieser bereits entdeckt worden wäre, wie er der Deutschen Welle sagte.
