Nach dem Sieg der Islamisten in Syrien könnte er der neue starke Mann werden: Muhammad al-Jolani, Chef der islamistischen Miliz HTS. Wie radikal ist er? Und welche Pläne hat er für Syrien?
Der Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad war Abu Mohammed al-Jolanis Hauptziel. Nun sind al-Jolanis islamistische Kämpfer in die Hauptstadt Damaskus eingedrungen und haben die Stadt für befreit erklärt – 13 Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs gegen Assad.
Ein „pragmatischer Radikaler“
Al-Jolani ist der Anführer der Miliz Hajat Tahrir al-Sham (HTS), einem ehemaligen Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida in Syrien. Al-Jolani hatte jahrelang im Geheimen operiert. Heute steht er im Rampenlicht, gibt Statements ab und spricht vor internationalen Medien.
Den dschihadistischen Turban, den er zu Beginn des Syrienkrieges 2011 trug, legte er nach und nach ab – zugunsten einer Militäruniform. Seit seinem Bruch mit al-Qaida im Jahr 2016 versucht al-Jolani, sein Image zu glätten und gemäßigter zu wirken.
Dies überzeugt jedoch weder Experten noch westliche Regierungen. Sie stufen die HTS als Terrorgruppe ein. Der Wissenschaftler Thomas Pierret vom französischen Forschungsinstitut CNRS nennt ihn einen „pragmatischen Radikalen“. Im Jahr 2014 sei al-Jolani auf dem Höhepunkt seiner Radikalität gewesen, sagt der Experte und weist darauf hin, dass er sich gegen die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) durchsetzen wollte. Seitdem habe er „seine Rhetorik abgemildert“.
Vater war ein Gegner von Assad
Ahmed al-Sharaa, so heißt al-Jolani mit bürgerlichem Namen, wurde in Saudi-Arabien geboren. Seine Familie stammte ursprünglich aus den Golanhöhen. Aber er wuchs in Masseh auf, einem wohlhabenden Stadtteil von Damaskus. Sein Vater war ein säkularer Gegner des Assad-Regimes und verbrachte viele Jahre in syrischen Gefängnissen, bevor er ins Exil ging.
Als Dschihadist nahm sein Sohn den Kampfnamen Abu Muhammad al-Jolani an. Vieles deutet darauf hin, dass er nun diesen Spitznamen und seinen Ruf als gewalttätiger Islamist ablegen will.
Schlacht im Irak
Seine Radikalisierung erfolgte lange vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Nach der US-geführten Invasion im Irak im Jahr 2003 verließ er sein Heimatland, um im Nachbarland zu kämpfen. Im Irak schloss er sich Al-Qaida an und wurde anschließend für fünf Jahre inhaftiert.
Im März 2011, als in Syrien der Aufstand gegen Assads Regierung begann, kehrte er in seine Heimat zurück und gründete die Al-Nusra-Front – den syrischen Ableger von al-Qaida, aus dem später die HTS wurde. Im Jahr 2013 weigerte er sich, Abu Bakr-Baghdadi, dem künftigen Emir des IS, die Treue zu schwören.
Im Mai 2015 erklärte al-Jolani, dass er im Gegensatz zum IS nicht die Absicht habe, Anschläge gegen den Westen zu verüben. Er erklärte auch, dass es im Falle einer Niederlage Assads keine Racheangriffe auf die Alawiten-Minderheit geben werde, aus der Assads Familie stammt.
Brechen Sie mit Al-Qaida
Al-Jolani hat vor Jahren auch öffentlich mit Al-Kaida gebrochen. Er tat dies, wie er erklärte, um dem Westen keinen Anlass zu geben, seine Organisation anzugreifen. Laut Pierret habe er seitdem versucht, sich auf den Weg zu einem „aufstrebenden Staatsmann“ zu machen.
Auch der ägyptische Militärexperte Mohamed Abdel Wahed beobachtet diesen Imagewandel: „Die Aufständischen haben ihre bisherige dschihadistische Taktik aufgegeben. Al-Jaholani hat den islamischen Mantel abgelegt und präsentiert sich der Welt durch seine Interviews. Er spricht leiser und versucht es.“ Verwenden Sie das Vokabular eines Staatsmannes.
Während der De-facto-Herrschaft in der nördlichen Provinz Idlib errichtete HTS in den von ihm kontrollierten Gebieten eine Zivilregierung und errichtete eine Art Staat in der Provinz Idlib, während es gleichzeitig seine Rivalen vernichtete. In dieser Zeit warfen Anwohner und Menschenrechtsgruppen HTS auch brutales Vorgehen gegen Dissidenten vor – die Vereinten Nationen stufen diese als Kriegsverbrechen ein.
Mann der Stunde
Ein Dschihadist als Staatsmann? Al-Jolani ist derzeit der Mann der Stunde in Syrien. Viele säkulare Assad-Gegner feiern den Vormarsch der Aufständischen derzeit als Befreiung.
Doch die Skepsis bleibt bestehen. Al-Jolani hatte enge Verbindungen zur Terrororganisation Islamischer Staat und war Teil der Nusra-Front, einem syrischen Ableger von Al-Kaida. Die Vereinigten Staaten setzten ein Kopfgeld von 10 Millionen US-Dollar auf ihn aus. Ob es ihm gelingt, sich in Syrien durchzusetzen und was er danach vorhat – etwa mit den kurdisch dominierten SDF-Aufständischen im Nordosten des Landes – bleibt abzuwarten.
Mit Informationen von Moritz Behrendt, ARD Studio Kairo