
Seit 2014 sind Syrer jedes Jahr die größte Gruppe von Asylbewerbern hierzulande. Nach dem Sturz Assads stellte das Bundesamt für Migration sofort 46.000 Fälle auf Eis. Österreich macht dasselbe. Was sagen Faeser und Baerbocks Außenministerium zu dem Szenario, dass Flüchtlinge nach Syrien zurückkehren könnten?
Islamisten haben am Wochenende das Assad-Regime in Syrien ohne großen Widerstand gestürzt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) reagierte umgehend und setzte am Montag alle Entscheidungen über Asylanträge von Syrern mit sofortiger Wirkung aus. Die Lage im Krisenstaat ist inzwischen zu unklar, als dass man die angegebenen Fluchtgründe beurteilen könnte.
Bis auf Weiteres wird die Vergabe von Schutztiteln an Syrer – in den vergangenen Monaten waren es mehr als 6.000 – eingestellt. Derzeit sind 46.000 Verfahren von bereits eingereisten syrischen Erstantragstellern, über die noch nicht entschieden wurde, auf Eis gelegt. Für alle bereits anerkannten Flüchtlinge wird es zunächst keine Konsequenzen geben.
Seit 2014 stellen Syrer jedes Jahr die größte Gruppe von Asylbewerbern in Deutschland. Abgesehen von einigen Dublin-Überstellungen, also Abschiebungen in andere EU-Länder, werden ihre Asylanträge seitdem in Deutschland nahezu ausnahmslos anerkannt. Das BAMF kann derzeit nicht auswerten, wie viele der anerkannten Syrer von Verfolgung durch das Regime des früheren Machthabers Bashar al-Assad berichteten. Ein grober Hinweis könnte sein, dass diejenigen Syrer, die nach der Genfer Konvention Flüchtlingsschutz für politisch Verfolgte erhielten, in erster Linie vor dem Assad-Regime geflohen seien und diejenigen, die subsidiären Schutz erhielten, andere Gründe hätten, sagte ein Sprecher.
In den letzten Jahren wurde Syrern überwiegend subsidiärer Schutz gewährt, etwa wegen allgemeiner Gefahren durch Kampfeinsätze oder wegen menschenunwürdiger Behandlung. Nur einem kleinen Teil der Syrer wird Flüchtlingsschutz für politisch Verfolgte gewährt. In diesem Jahr erhielt nur etwa jeder zehnte Syrer diesen Titel. In den Jahren nach 2015 war das anders. Von den insgesamt rund 974.000 Syrern, die laut Ausländerzentralregister derzeit in Deutschland leben, haben 321.444 den Flüchtlingsstatus und 329.242 subsidiären Schutz. Rund 5.000 haben Anspruch auf Asyl nach dem Grundgesetz, die übrigen Syrer verfügen über andere Aufenthaltstitel, etwa aufgrund der Familienzusammenführung oder sind in eine Aufenthaltserlaubnis zu Beschäftigungs- oder Studienzwecken gewechselt.
Viele der nach Deutschland gekommenen Syrer sind inzwischen eingebürgert, haben also keinen Schutztitel mehr und sind nicht mehr im Ausländerzentralregister eingetragen, obwohl sie weiterhin ihre syrische Staatsbürgerschaft besitzen. Noch bevor die Ampelregierung die Beibehaltung der alten Staatsangehörigkeit bei der Einbürgerung generell erlaubte, war dies für Flüchtlinge bereits möglich.
Besonders viele der rund eine Million Syrer in Deutschland kamen auf dem Höhepunkt des Krieges zwischen dem Assad-Regime und islamistischen Milizen in den Jahren 2015 und 2016. Aber auch im vergangenen Jahr (103.000 Erstanträge) und in diesem Jahr (72.000 Erstanträge) waren es deutlich mehr Ende November). 2017 (49.000 Erstanträge), 2018 (44.000), 2019 (39.000), 2020 (36.000), 2021 (55.000) und 2022 (71.000). Obwohl die Menschen aus dem Krisenland vor der Einreise fast ausnahmslos bereits in einem sicheren Nachbarland Deutschlands Schutz gefunden hatten, erhielten sie bis auf wenige Ausnahmen auch in diesem Land einen Schutztitel.
Auch Österreich setzt Asylverfahren für Syrer aus
Obwohl Deutschland das mit Abstand wichtigste Aufnahmeland für Syrer in der EU ist, verzeichnen auch andere Länder eine starke Zuwanderung von dort, wie beispielsweise Österreich. Nach Informationen von WELT hat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Montag Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) beauftragt, alle laufenden syrischen Asylverfahren auszusetzen und auch die bereits erfolgten Asylbewilligungen zu überprüfen.
„In diesem Zusammenhang habe ich das Ministerium beauftragt, ein geordnetes Rückführungs- und Abschiebeprogramm nach Syrien vorzubereiten“, sagte Karner gegenüber WELT. Betroffen sind 7.300 laufende Verfahren der ersten Instanz. Zu Jahresbeginn lebten rund 95.000 Syrer in Österreich. Zwischen Januar und November wurden fast 13.000 Asylanträge gestellt.
Die Bundesregierung ist derzeit noch vorsichtig, was die Rückkehr vieler Syrer angeht. „Viele Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz gefunden haben, haben nun endlich Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre syrische Heimat und den Wiederaufbau ihres Landes. „Die Lage in Syrien ist derzeit sehr unübersichtlich“, sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD). „Konkrete Renditeoptionen können daher noch nicht vorhergesagt werden und es wäre zweifelhaft, in einer so volatilen Situation darüber zu spekulieren.“ Ebenso hängt die weitere Beurteilung des Schutzstatus der in Deutschland lebenden anerkannten syrischen Flüchtlinge von der weiteren Entwicklung in Syrien ab.“
Angesichts dieser unklaren Lage ist es richtig, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Entscheidungsstopp für laufende Asylverfahren bis zur Klärung der Lage verhängt hat. „Das BAMF wird dann seine Entscheidungspraxis an die neue Situation anpassen.“
Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes um Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) fügte hinzu, dass die Lage in Syrien derzeit „viel zu dynamisch“ sei, um jetzt Entscheidungen zu treffen. Allerdings werde das Amt den Asyllagebericht zu Syrien angesichts der jüngsten Entwicklungen aktualisieren, „sobald sich der Staub etwas gelegt hat“. Ein Datum wollte er nicht nennen.
„Ob diese neue Situation letztendlich zu neuen Flüchtlingsbewegungen führt oder im Gegenteil, wenn sich die Situation stabilisiert, den Vertriebenen und Flüchtlingen langfristig die Möglichkeit gibt, in ihre Heimat zurückzukehren, bleibt abzuwarten.“ Das Auswärtige Amt erstellt für die wichtigsten Herkunftsländer regelmäßig Lageberichte von Schutzsuchenden. Die Entscheidung über Anträge von Asylbewerbern liegt jedoch beim BAMF.
Marcel Leubecher ist politischer Redakteur. Seit 2015 berichtet er vor allem über Migrationspolitik.
Mitarbeit: Christoph B. Schiltz