![Syrien: Assads Foltersystem Syrien: Assads Foltersystem](https://i3.wp.com/images.tagesschau.de/image/7898fd3e-5071-4ff4-bb57-eab48905f41a/AAABk7Hl7xo/AAABkZLhkrw/16x9-1280/syrien-sednaya-gefaengnis-104.jpg?w=1024&resize=1024,0&ssl=1)
Hintergrund
Nach dem Sturz Assads hoffen die Syrer nun auf eine Aufarbeitung der Verbrechen des Regimes. Zehntausende verschwanden in Foltergefängnissen, und viele werden noch heute vermisst. Für die Folter waren mehrere Geheimdienste verantwortlich.
Der inzwischen gestürzte syrische Machthaber Baschar al-Assad soll einmal von seiner sensiblen Seite gesagt haben, er könne kein Blut sehen. Der Satz war schon immer seltsam, wenn man ihn auf Assads ursprüngliche Berufswahl anwendet – Assad wollte Augenarzt werden, bis sein älterer Bruder Bassel 1994 bei einem Autounfall starb und Bashar ausschied, um die Nachfolge seines Vaters als Präsident Syriens anzutreten.
Geradezu zynisch wird der Satz, wenn man ihn in Zusammenhang mit dem rücksichtslosen Krieg gegen die Aufständischen im Land stellt, für den Assads Name seit 2011 steht. Und noch mehr für das brutale Folterregime in Syrien – das Baschar nicht erfunden hat, übernahm aber die Nachfolge seines Vaters Hafez, der jedoch unter seiner Herrschaft über mehr als zwei Jahrzehnte ausgebaut wurde und mit immer größerer Menschenverachtung agierte.
Nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 ließ Bashar al-Assad einige Oppositionelle und Gefangene frei. Doch die Hoffnung auf ein freieres Klima unter dem damals 34-jährigen Präsidenten zerschlug sich schnell. Als 2001 zahlreiche Intellektuelle eine Mehrparteiendemokratie forderten, vertraute Bashar ebenfalls auf die berüchtigten Methoden seines Vaters und ließ Dutzende Aktivisten verhaften.
Grenzenloser Terror
Der Terror wurde nach dem Volksaufstand gegen Assad im Jahr 2011 noch brutaler, inspiriert durch den Arabischen Frühling und den Sturz anderer Diktatoren in der Region wie Hosni Mubarak in Ägypten und Zine el-Abidine Ben Ali in Tunesien.
Assad setzte die Armee und den Geheimdienst gegen die Demonstranten im Land ein. Hunderte Syrer sollen in den ersten Wochen des Aufstands vor allem durch Sicherheitskräfte getötet worden sein. In den folgenden Jahren stieg diese Zahl um ein Vielfaches.
Amnesty International schrieb in einem Bericht über Syrien aus dem Jahr 2023, dass „mehrere Hunderttausend Menschen“ „weiterhin Opfer des Verschwindenlassens“ seien. Viele sind seit mehr als zehn Jahren „verschwunden“. Der Bericht nannte mehrere Beispiele willkürlicher und rechtswidriger Tötungen von Aktivistinnen in diesem Jahr.
Die Rolle der Geheimdienste
Die Verfolgung und Folterung mutmaßlicher oder angeblicher Dissidenten erfolgte vor allem durch die Geheimdienste des Regimes. Insgesamt stützte sich Assad auf vier Geheimdienste: den Geheimdienst der Luftwaffe, den militärischen Geheimdienst, den politischen Geheimdienst und das General Intelligence Directorate.
Von diesen galt der Geheimdienst der Luftwaffe als der brutalste. Die Machtstellung dieses Dienstes geht auf Assads Vater Hafez zurück, der zunächst Pilot und später Oberbefehlshaber der Luftwaffe war und sich mit dem Ausbau des Geheimdienstes ein eigenes Machtinstrument schuf.
Laut einem Bericht des Europäischen Zentrums für Menschenrechte verfügten die Geheimdienste über einen großen Stab und betrieben zahlreiche über das ganze Land verteilte Gefängnisse.
Das vielleicht berüchtigtste Gefängnis war das Militärgefängnis Sednaya am Stadtrand von Damaskus, das zum Symbol für Assads Unterdrückung der Bevölkerung wurde. Auch dort wurden Tausende von Gefangenen ohne Gerichtsverfahren hingerichtet.
Nach dem Sturz Assads berichteten freigelassene Häftlinge, wie in Sednaya täglich gefoltert wurde, manchmal bis Menschen den Verstand verloren oder starben. Amnesty International bezeichnete es 2017 als „Menschenschlachthaus“.
Ein Überläufer liefert Zehntausende Beweise
Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatte in zahlreichen Berichten die schweren Menschenrechtsverletzungen in Syrien dokumentiert. Bereits 2012 zeigte sie in einem Bericht, wie Assads Handlanger in zahlreichen Städten insgesamt 27 Folterstätten errichtet hatten. Zehn solcher Standorte befanden sich bereits in der Hauptstadt Damaskus, jeweils vier in Homs, Latakia und Idlib, drei in Daraa und zwei in Aleppo.
Im Jahr 2015 veröffentlichte Human Rights Watch einen weiteren Bericht, der Aussagen eines Überläufers mit dem Codenamen „Caesar“ enthielt. „Caesar“ hatte als forensischer Fotograf für die Militärpolizei gearbeitet und bei seiner Flucht mehr als 50.000 Fotos mitgenommen, von denen viele verstorbene und zuvor misshandelte Gefangene zeigen sollen. Die Bilder zeigten auch, mit welcher Akribie die syrischen Sicherheitsorgane ihre mörderischen Taten dokumentierten.
Der syrische Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni, der selbst lange Zeit in einem syrischen Gefängnis verbrachte, sagte in einem Interview mit dem Schweizer Tagesanzeiger und der Süddeutschen Zeitung, der Geheimdienst wisse von „über 80 Arten von Folter“.
Zudem herrschten „in den überfüllten Zellen unsagbar hygienische Zustände“. Gefangene seien „systematisch gebrochen“ worden. Das sei das „eigentliche Ziel der Gewalt“ gewesen – nicht die Informationsbeschaffung. Auch in vielen Berichten von Opfern wird sexuelle Gewalt immer wieder als Foltermethode erwähnt.
Die Möglichkeiten von international Rechts
International werden seit mehreren Jahren Menschenrechtsverletzungen durch das syrische Regime untersucht und strafrechtlich verfolgt.
Im Juni 2023 hat die UN-Generalversammlung eine neue Institution geschaffen, die sich mit dem Verbleib Tausender Vermisster aus dem Bürgerkrieg in Syrien befasst. Es geht darum, Überlebende aufzuspüren und das Schicksal der Opfer aufzuklären. Die UN reagierten auf die Forderungen von Familien und Menschenrechtsgruppen.
Im September 2023 reichten Kanada und die Niederlande beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag (IGH) eine Klage gegen Syrien ein. Das Land habe „zahllose Verstöße gegen das Völkerrecht begangen“, heißt es in der Klage. Im November verfügte das Gericht – zunächst ohne Konsequenzen –, dass Syrien unverzüglich alle notwendigen Maßnahmen ergreifen muss, um systematische staatliche Folter, willkürliche Verhaftungen und schwere Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Darüber hinaus darf Syrien keine Beweise für diese Taten vernichten.
Anordnungen des IGH sind grundsätzlich für die betroffenen Staaten bindend. Allerdings kann der IGH dies nicht durchsetzen und muss sich stattdessen an den UN-Sicherheitsrat wenden. Dort konnte sich Assad bis zu seinem Sturz auf die Unterstützung der Vetomacht Russland verlassen.
Auch Frankreich erließ 2023 einen internationalen Haftbefehl gegen Assad. Die Justiz des Landes begründete ihn mit dem Verdacht einer angeblichen Mittäterschaft Assads an Kriegsverbrechen. Überlebende eines Giftgasangriffs im Bürgerkrieg 2013 hatten zuvor Strafanzeige gegen Assad gestellt. Bei dem Angriff kamen rund 1.400 Menschen ums Leben.
Der juristische Prozess der Aufarbeitung der Assad-Jahre dürfte nun zusätzlich an Dynamik gewinnen. Wenn man bedenkt, dass im Bürgerkrieg schätzungsweise rund 600.000 Menschen starben und 130.000 vermisst werden, ist das eine gewaltige Aufgabe. Ob es gelingt, wird auch davon abhängen, wie interessiert die neuen Machthaber im Land sind. Und ob das Land die Stabilität erfahren wird, die es braucht.