![Syrer in Berlin diskutieren über mögliche Rückkehr nach Assads Sturz Syrer in Berlin diskutieren über mögliche Rückkehr nach Assads Sturz](https://i3.wp.com/berliner-zeitung.imgix.net/2022/03/17/2dfc5235-ed0d-4e61-b57d-d53580e21695.jpeg?w=1024&auto=format&w=1024&resize=1024,0&ssl=1)
Anas Modamani hofft, dass seine Albträume nun aufhören. Nach seiner Flucht nach Deutschland im Jahr 2015 befand sich der Videojournalist, der für den Sender Deutsche Welle in Berlin arbeitete, in vielen Nächten schlafend in Handschellen in Assads Syrien auf dem Weg in den Kerker. Assads Syrien ist seit dem 8. Dezember Geschichte. Bashar al-Assad ist nach Moskau geflohen. Rebellen unter der Führung der islamistischen Hai’at Tahrir ash-Sham (HTS) haben die Hauptstadt Damaskus übernommen.
Modamani wurde 2015 mit einem Selfie mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Flüchtlingsheim in Spandau weltberühmt. Er wuchs in Darayya, einem Vorort von Damaskus, auf. Dort wohnen seine Eltern. Für sie sei der Krieg noch nicht vorbei, sagt Modamani. „Meine Eltern haben den Sturz Assads zunächst auf der Straße gefeiert. Jetzt sitzen sie im Keller“, sagt er am Telefon. Israel bombardierte Ziele in Damaskus, nur wenige Stunden nachdem Assad nach Russland geflohen war. Nach Angaben des israelischen Verteidigungsministers Israel Katz sollen die Luftangriffe auf Langstreckenwaffensysteme abzielen. „Ich hörte einen Knall durch das Telefon. Es war ziemlich laut“, sagt Modamani.
Anas Modamani will bleiben
Sobald regelmäßige Flüge nach Syrien wieder möglich sind, will er seine Eltern besuchen. Eine Rückkehr nach Syrien schloss er jedoch aus. „Meine Heimat ist Deutschland. Ich liebe Berlin“, sagt er.
Einen Tag nach den Feierlichkeiten tausender Syrer in Kreuzberg und Neukölln auf der Sonnenallee herrscht Alltag. Ein ratlos wirkendes Kamerateam sucht nach Motiven. Die grün-weiß-schwarze Flagge der Syrischen Republik, die bis 1958 existierte und von Assads Gegnern verwendet wurde, ist bereits vom Straßenbild verschwunden. Die Veränderung nach dem historischen Tag liegt subtiler in der Luft. Passanten lächeln einander an. Ein Kaffeeverkäufer am Straßenrand tauscht Faustgrüße mit Kunden aus. Auf vielen Schultern scheint die Luft leichter zu lasten. Manche Menschen scheinen verzaubert zu sein.
Syrer auf der Sonnenallee träumen von der Rückkehr
Der Syrer Leen al-Refai strahlt trotz Nieselregens. Sie beschreibt, was der 8. Dezember für die Syrer in Deutschland bedeutet. „Wir haben aufgehört, Pläne für die Zukunft zu schmieden, und jetzt können wir anfangen, darüber nachzudenken, was als nächstes in unserem Leben kommt“, sagt sie. „Wir sind Deutschland unendlich dankbar. Und wir werden nie vergessen, was Deutschland für uns getan hat“, erklärt sie. Es klingt wie eine Abschiedsrede. Ihr Begleiter Omar al Khadar ist sich sicher, dass die meisten der nach Deutschland geflohenen Syrer aus eigenem Antrieb zurückkehren werden, um das zerstörte Land wieder aufzubauen. In Syrien werde alles gut, solange andere Länder sich nicht einmischen, sagt er.
![Am Montag, einen Tag nach den Feierlichkeiten, hingen auf der Sonnenallee nur noch wenige Fahnen der syrischen Opposition.](https://berliner-zeitung.imgix.net/2024/12/09/dd4f6135-d86c-4ec1-8ee8-92b55082ffc3.jpeg?auto=format&fit=max&w=1880&auto=compress&rect=289,1042,4098,2732)
Am Montag, einen Tag nach den Feierlichkeiten, hingen auf der Sonnenallee nur noch wenige Fahnen der syrischen Opposition.Markus Waechter/Berliner Zeitung
Der 21-jährige Hamdo Hamada wärmt sich vor einem Späti in der Sonnenallee die Finger an einem Pappbecher Kaffee. Er trägt einen Pullover mit der grün-weiß-schwarzen Flagge. Der junge Syrer beschreibt, wie ihn das Tempo der Ereignisse völlig überraschte. „Noch vor zwei Wochen war ich mir sicher, dass es noch 20 Jahre dauern würde, bis Assad verschwunden wäre“, sagt er. Hamada wollte in Berlin mit dem Training beginnen. Jetzt denkt er darüber nach, einen Job anzunehmen, ein oder zwei Jahre lang Geld zu verdienen und so viel wie möglich davon beiseite zu legen, um nach Syrien zurückzukehren. Nach dem Sturz Assads machte ihm die Migrationsdebatte in Deutschland keine Sorgen mehr. Wenn eine zukünftige Regierung beschließt, dass alle Syrer zurückkehren sollen, wäre sie damit einverstanden. „Es fallen keine Bomben mehr“, sagt er.
Der Sprecher von Pro Asyl mahnt zur Vorsicht
Der in Syrien geborene Migrationsaktivist und Sprecher der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, Tareq Alaows, ist besorgt über die Dynamik in der Diskussion um eine mögliche Rückkehr von Syrern nach dem Sturz Assads. 40 Prozent der seit 2015 nach Deutschland geflohenen Syrer haben inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft erworben oder den Einbürgerungsprozess begonnen. Der Rest ist derzeit ungeklärt.
![Tareq Alaows ist flüchtlingspolitischer Sprecher der Organisation Pro Asyl. Abschiebungen nach Syrien lehnt er auch nach dem Sturz Assads ab.](https://berliner-zeitung.imgix.net/2023/11/21/278bcc74-5aa3-409a-940d-49261b28d385.jpeg?auto=format&fit=max&w=1880&auto=compress&rect=55,0,5016,3344)
Tareq Alaows ist flüchtlingspolitischer Sprecher der Organisation Pro Asyl. Abschiebungen nach Syrien lehnt er auch nach dem Sturz Assads ab.Sabine Gudath
Pro Asyl setzt sich für die Rechte von Flüchtlingen ein. Im Sommer lehnte die Organisation die von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) versprochene Abschiebung von Kriminellen und islamistischen Gefährdern nach Syrien ab. Alaows glaubt, dass die Lage in Syrien auch nach dem Sturz Assads zu instabil sei, als dass Kriminelle zurückgeschickt werden könnten. Die Frage der Aufhebung des subsidiären Schutzes für alle Kriegsflüchtlinge aus Syrien stellt sich erst, wenn dauerhafter Frieden hergestellt ist und eine neue Führung die Menschen nicht erneut unterdrückt. Die Zukunft Syriens ist immer noch ein ziemlich unbeschriebenes Blatt.
Der neue starke Mann ist ein Islamist
Alaows verweist auf den neuen starken Mann in Damaskus, den Anführer der Islamistenmiliz HTS, Abu Muhammad al-Jolani. Die USA haben ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar auf den ehemaligen Al-Qaida-Kämpfer ausgesetzt. „Deutschland wollte bis zum 8. Dezember mit Assad über Abschiebungen nach Syrien verhandeln. Wollen wir jetzt mit jemandem wie al-Jolani reden?“
Die US-Regierung erwägt nun, HTS von der Terroristenliste zu streichen. Die Islamisten hatten sich 2016 von al-Kaida losgesagt. Abu Muhammad al-Jolani zeigte sich seit Beginn der Kämpfe versöhnlich. Unter anderem wandte er sich an die religiösen Minderheiten Syriens und versprach in einem Interview mit CNN, ihre Rechte zu respektieren.
Religiöse Minderheiten fürchten Racheakte
Tareq Alaows selbst gehört der drusischen Religionsgemeinschaft an und steht in Kontakt mit Syrern unterschiedlichen Glaubens. „Ich höre von einzelnen Angriffen. Und es besteht Sorge vor Racheakten“, sagt er. Bashar al-Assad gehörte zur alawitischen Minderheit. Nach Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 rekrutierte sich die bewaffnete Opposition aus der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit.
Alaows fordert, dass Kriegsverbrechen verschiedener Seiten und der Diktatur unter internationaler Beteiligung aufgearbeitet werden. Gerechtigkeit sei die Voraussetzung für dauerhaften Frieden, sagt er. Die Beschreibungen freigelassener Häftlinge aus syrischen Gefängnissen berührten ihn zutiefst. „Ein Mann in Einzelhaft wusste nicht einmal, dass Bashar Präsident wurde, nachdem sein Vater Hafez im Jahr 2000 starb“, sagt Alaows. Trotz aller Sorgen empfindet er im Moment vor allem Freude.