Synapsen, Neuronen, Blutgefäße
Erstmals werden alle Gehirnstrukturen als 3D-Modell dargestellt
10. Mai 2024, 10:10 Uhr
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Das menschliche Gehirn ist hochkomplex. Dennoch gelingt es Forschern mittlerweile, die Strukturen darin abzubilden. Dazu wird mithilfe von Computertechnik lediglich ein winziges Stück der Großhirnrinde einer Frau nachgebildet. Das aufwendige 3D-Modell kann im Internet eingesehen werden.
Basierend auf einem echten menschlichen Gehirnfragment haben US-Forscher ein äußerst detailliertes 3D-Computermodell von Teilen der Großhirnrinde erstellt. Das rekonstruierte Gebiet ist nur einen Kubikmillimeter groß, wie das Team um Alexander Shapson-Coe vom Center for Brain Science der Harvard University im Fachmagazin „Science“ schreibt. Aufgrund der enormen Komplexität unseres Gehirns finden sich selbst in diesem winzigen Abschnitt zig Millionen Einzelstrukturen.
Das Modell enthält 57.000 Zellen, darunter rund 16.000 Neuronen, 23 Zentimeter Blutgefäße und 150 Millionen Synapsen, wie Shapson-Coe und sein Team berichten. Zu sehen sind auch sogenannte Gliazellen, die unter anderem Stütz- und Versorgungsaufgaben im Nervengewebe übernehmen. Zu sehen ist auch Myelin, die isolierende Schicht um die Fortsätze der Nervenzellen.
Gehirngewebe hat eine komplizierte Struktur
Solche detaillierten Bilder des Gehirns – einschließlich Neuronen und ihrer Verbindungen – sind wichtig für das Verständnis der Funktionsweise des Gehirns. „Das menschliche Gehirn ist ein äußerst komplexes Gewebe. Über seine zelluläre Mikrostruktur, etwa die synaptischen Schaltkreise, ist jedoch bisher wenig bekannt“, schreibt das Team. Störungen in diesen Schaltkreisen stehen wahrscheinlich im Zusammenhang mit verschiedenen Erkrankungen des Gehirns.
Als Vorlage für das Modell diente ein winziges Stück des sogenannten Schläfenlappens der Großhirnrinde eines lebenden Menschen. Gehirnchirurgen entfernten das Fragment einer 45-jährigen Frau, um während einer chirurgischen Behandlung ihrer Epilepsie Zugang zu einem bestimmten Bereich im Hippocampus zu erhalten. Rein rechnerisch würde das entnommene Fragment 1.000 Mal in einen Würfel mit einer Seitenlänge von einem Zentimeter passen.
Für jeden zugänglich
Mittels Elektronenmikroskopie untersuchte Shapson-Coes Team das Gehirnfragment Schicht für Schicht. Dabei entstanden 1.400 Terabyte Daten. Daraus konstruierte die Forschungsgruppe dann das dreidimensionale Computermodell. Es ist im Internet frei zugänglich, sodass auch interessierte Laien mit etwas Übung durch ihr Gehirn scrollen können.
Die Forscher von Shapson-Coe haben mit ihrem 3D-Modell bereits erste Erkenntnisse gewonnen. Sie zählten in dem dargestellten Bereich doppelt so viele Gliazellen wie Nervenzellen. Der häufigste Zelltyp sind die sogenannten Oligodendrozyten. Diese Zellen gehören zu den Gliazellen und umgeben die sogenannten Axone von Nervenzellen – also die Fortsätze der Neuronen, die für die Übertragung elektrischer Signale verantwortlich sind – und bilden dort die isolierende Myelinschicht.
Die Forscher hoffen, dass auch andere Wissenschaftler das neue Gehirnmodell nutzen werden. „Weitere Studien mit dieser Anwendung könnten wertvolle Einblicke in die Geheimnisse des menschlichen Gehirns liefern.“ Die Bemühungen, Daten über die Konnektivität neuronaler Schaltkreise zu verstehen, stecken noch in den Kinderschuhen. „Aber dieser Petabyte-Datensatz ist ein Anfang.“