taz | Die Autoindustrie schlägt wegen der Unruhen beim niederländischen Chiphersteller Nexperia Alarm. Am Donnerstagabend warnte die US-Lobbygruppe Alliance for Automotive Innovation, die Ford, General Motors, Toyota und Volkswagen vertritt, dass Chips bereits im nächsten Monat in US-Werken knapp werden könnten. Nexperia teilte Autoherstellern und Zulieferern am 10. Oktober mit, dass sie ihre Lieferungen nicht mehr garantieren könne, so der europäische Autoverband ACEA.
Der Chipkonzern steckt mitten in einem internationalen Handelsstreit. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Nijmegen im Osten der Niederlande und betreibt außerdem Werke in Großbritannien und Deutschland. Nexperia gehört zum teilweise staatlichen chinesischen Unternehmen Wingtech. Der Hersteller ist von Exportbeschränkungen sowohl auf US-amerikanischer als auch auf chinesischer Seite betroffen.
Die niederländische Regierung griff zu einem außergewöhnlichen Mittel, um die Angelegenheit unter Kontrolle zu bringen. Ende September stellte Wirtschaftsminister Vincent Karremans Nexperia für bis zu ein Jahr unter die Aufsicht seines Ministeriums, teilte er diese Woche dem Parlament mit. Es gilt seine rechtsliberale Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) ansonsten nicht gerade ein Freund staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft.
Ohne Zustimmung des Unternehmens von Karremans dürfen keine Unternehmensteile ins Ausland verlagert oder neue Führungspositionen besetzt werden. Auch Nexperia kann vorerst keine wichtigen Entscheidungen außerhalb von Den Haag treffen. Wingtech-Gründer Zhang Xuezheng wurde von einem Amsterdamer Gericht wegen schlechter Führung als Nexperia-Chef suspendiert. Interimsweise übernimmt der bisherige Finanzvorstand Stefan Tilger die Führung.
Nach Angaben der Niederlande wird die Produktion nicht behindert
Laut einem Brief von Karremans an das Parlament werden die Schritte der niederländischen Regierung den regulären Produktionsprozess nicht behindern. Mit seinem Ansatz will das Ministerium den „Erhalt einer für Europa zentralen Wertschöpfungskette“ sicherstellen. Rechtsgrundlage ist das Warenverfügbarkeitsgesetz, das 1952 für Notfälle eingeführt, aber nie angewendet wurde.
China reagierte mit einem Verbot für Nexperia, in China hergestellte Chips zu exportieren. Die Landeszeitung Globale Zeitendass das Verfahren Den Haag nannte es „außerordentlich skandalös“ und riet den Niederlanden, „nicht zu unterschätzen, welche Gegenmaßnahmen China ergreifen kann“. Der frühere Nexperia-Manager Frans Scheper äußerte am Donnerstag gegenüber dem Wirtschaftssender RTL Z die Befürchtung, dass die Verlagerung der Chipproduktion nach China nun sogar beschleunigt werden könnte.
Chips für Autos, Kühlschränke – und Waffen
Nexperia produziert vor allem Standardprodukte, die in Alltagsgegenständen wie Autos, Kühlschränken, Lampen und Mobiltelefonen zu finden sind. Auch im Rüstungsbereich werden die Chips eingesetzt.
Die besondere Brisanz des Falles Nexperia wird auch dadurch deutlich, dass in den Niederlanden hergestellte Mikrochips in großen Mengen nach Russland gelangen und dort in Waffen eingesetzt werden. Bereits Anfang 2023 berichteten niederländische Medien, dass die Sanktionen in vielen Fällen umgangen würden.
Wladyslaw Wlassiuk, Sanktionsberater des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, sagte bei einem Besuch in der ukrainischen Botschaft in Den Haag im Jahr 2024: „Jede russische Rakete enthält Teile, die im Westen hergestellt werden. Wenn Russland diese nicht mehr erhält, kann die Rakete nicht mehr fliegen und Menschen in der Ukraine töten.“
Das Fernsehmagazin Nieuwsuur veröffentlichte letztes Jahr US-Handelsdaten, aus denen hervorgeht, dass Russland die Chips über Länder wie China, die Türkei und Thailand importiert. Damals forderte Wasiuk die Hersteller selbst auf, „mehr zu tun, um zu verhindern, dass ihre Produkte nach Russland gelangen.“
Die niederländische Tageszeitung Volkskrant sieht im Vorgehen der Regierung gegen Nexperia den „Chipkrieg zwischen den Niederlanden und geopolitischen Gegnern, der in eine neue Phase eintritt“.