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Steve McQueens Drama über den Zweiten Weltkrieg zeigt Rassismus in der britischen Gesellschaft

Der Film beginnt mit Flammen und einem schrecklichen Tanz. Ein Londoner Feuerwehrmann wird durch seinen Schlauch getötet, als er vom plötzlichen Wasserdruck überrascht wird. Und wie eine riesige Schlange, die Wasser spuckt, hüpft der Schlauch vor dem Schwarz der Nacht und dem Orangerot des brennenden Hauses herum. Eine ganze Straße brennt. Es ist die Zeit des London Blitz, der Nazi-Luftangriffe auf die britische Stadtbevölkerung, bei denen zwischen September 1940 und Mai 1941 Zehntausende Engländer starben. Der britische Filmemacher Steve McQueen blickt in auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück sein fünfter Film „Blitz“. Der Film ist ab dem 7. November in einigen ausgewählten Kinos in Deutschland zu sehen, ab dem 22. November auf dem Streamingdienst Apple TV+.

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Die Kinder müssen aus der Gefahrenzone raus ins Grüne, wo keine Bomben fallen. Rita Hanway (Saoirse Ronan), eine alleinstehende Arbeiterin in einer Munitionsfabrik, weiß das, und dennoch fällt es ihr schwer, sich von ihrem kleinen Sohn George (Elliott Heffernan) zu trennen. Mit wem sie so wunderbar herumalbern kann und wer alles ist, was ihr von ihrem Liebhaber Marcus (CJ Beckford) geblieben ist.

Auch George ist nicht glücklich – er hat seine Freunde hier und die Kühe auf dem Land stinken. Er will bleiben und betrachtet es als Verrat, wenn er gehen muss. „Ich hasse dich“, sind seine letzten Worte an seine Mutter, und das ist wohl einer der Gründe, warum er schon nach einer Stunde Fahrt seinen Koffer aus der Kutsche wirft und hinterherspringt. So kann es nicht bleiben. George macht sich auf den Heimweg, zurück ins Kriegsgebiet.

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Diesmal erscheint der Meister der Extreme konventionell

Der Künstler und Regisseur Steve McQueen ist der Meister des Extremen und Besonderen. Sexsucht – trotz aller Freizügigkeit ein gesellschaftliches Tabu – war 2012 das Thema seines zweiten Films „Shame“, in dem Michael Fassbender einen attraktiven Werbefachmann spielt, dessen Lust ihn nie zur Ruhe kommen lässt. Dieser Film war ebenso faszinierend, düster und fieberhaft wie McQueens mit der Goldenen Palme von Cannes ausgezeichnetes Debüt „Hunger“, in dem Fassbender 1981 den IRA-Häftling Bobby Sands während seines tödlichen Hungerstreiks spielte.

Schockierend war in „12 Years A Slave“ (2013) auch die Geschichte von Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor), der 1841 aus dem freien Amerika in den sklavenhaltenden Süden entführt wurde. Im Jahr 2014 gewann McQueen als erster schwarzer Regisseur den Preis Oscar für den besten Film – mit Fassbender als psychopathischem Plantagenbesitzer. McQueen ließ den Rassismus dem Betrachter ins Gesicht schlagen und widmete sein Werk den Millionen Sklaven, die es heute noch auf der Welt gibt.

McQueen entdeckt Rassismus in einst heroischen Zeiten

Fassbender ist dieses Mal nicht dabei, dafür aber das Thema Rassismus – nur für den Fall, dass sich nach einer Stunde jemand fragt, wo das Unerwartete in McQueen-Filmen in dieser scheinbar konventionellen Geschichte eines langen Heimwegs ist. In britischen Filmen über die sogenannte Luftschlacht um England steht immer der gesellschaftliche Zusammenhalt in einer Zeit äußerer Umwälzungen im Mittelpunkt. Der Feind von außen egalisiert die inneren Unterschiede – zumindest im Kino, wo es meist um Gut (Britannia) gegen Böse (Nazi-Deutschland) geht.

Einer beschützt den anderen, König Georg VI. steht über allem. und Winston Churchill, der bullige Kriegspremierminister, der vor den Nazis angibt und die Vereinigten Staaten auf seine Seite zieht, indem er Großbritannien Kriegsschiffe „leiht“, bevor sie selbst in den Krieg eintreten. In Filmen über diese Zeit gibt es keine alltägliche Diskriminierung, sondern nur die Gemeinschaft von Menschen, die sich gegenseitig unterstützen und durchhalten. Wenn man darüber nachdenkt, ist es eine märchenhafte Erzählung. In „Blitz“ nun mehr Wahrheit, mehr Licht.

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Schwarz ist in der Hautfarbe London schuldig

Little George ist schwarz und alles ist anders. Er ist der Sohn eines Vaters aus der Karibik, der sich nach einem Tanzabend mit Rita in einem Londoner Jazzclub gegen Schläger verteidigen muss, als „Tier“ und „Wilder“ beschimpft und zur Polizeiwache geschleift wird die Bobbys. Marcus wird zurück in die Kronkolonie Grenada deportiert, wo nicht viel Sorge getragen wird. Schwarz ist in London immer die Hautfarbe.

Und auch beim Spielen auf der Straße ist George der „Schwarze Bastard“ und wird im Zug aufs Land von mitreisenden weißen Jungs gemobbt. „Alles Maul, keine Hose – großes Maul, nichts dahinter“, verteidigt er sich und folgt damit dem Rat seines Großvaters (Rockmusiker Paul Weller in seiner ersten Filmrolle). Und springt ab.

Gebrochenes Herz auf dem Bahnsteig: Rita (Saoirse Ronan) brachte ihren Sohn zum Zug. Auf dem Land ist er vor den deutschen Bombenangriffen auf London sicher. Doch George betrachtet die Landübertragung als Verrat.

Gebrochenes Herz auf dem Bahnsteig: Rita (Saoirse Ronan) brachte ihren Sohn zum Zug. Auf dem Land ist er vor den deutschen Bombenangriffen auf London sicher. Doch George betrachtet die Landübertragung als Verrat.

McQueen, der auch das Drehbuch geschrieben hat, zeigt Georges Selbstbild. Es ist die eines Kindes, das sich nicht als von der Norm abweichend sieht, dessen abenteuerliche Odyssee aber auch zu einem seiner eigenen Heimat wird. Sein „Ich bin schwarz!“ In der Mitte des Films geht es um Selbstermächtigung. Die grotesken Darstellungen schwarzer Menschen hatte er bereits in den Schaufenstern Londons gesehen.

Behandeln Sie einander mit Mitgefühl und Respekt … oder suchen Sie woanders Schutz.

Der aus Nigeria stammende Luftschutzhelfer Ife

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Dort trifft er auch auf den von der afrikanischen Goldküste stammenden Luftschutzhelfer Ife (charismatisch: Benjamin Clémentine), der die klassen- und rassenbewussten Weißen, die sich in einem Londoner Bunker von Schwarzen abschotten wollen, zur Vernunft ruft und punktet heraus, dass dies der Fall ist, aber Hitlers Spiel bestand darin, Rasse gegen Rasse aufzustacheln. „Behandeln Sie einander mit Mitgefühl und Respekt … oder suchen Sie woanders Schutz.“

Die Sirenen heulen durch den flirrenden Jazz

Hin und wieder weicht McQueen von seinem Protagonisten ab. Er lässt die Kamera in die Munitionsfabrik blicken, wo im Radio ein Lied von Rita zur Aufmunterung der Menschen über den Äther läuft, mit dem ihre Kollegen zum Ärger der Schicht ihre Forderung nach mehr Unterkünften ins Mikrofon rufen Manager. Und er strahlt sein Licht in eine Tanzveranstaltung im Café de Paris, wo die Reichen Londons noch Champagner schlürfen, bis die Sirenen durch den flirrenden Jazz heulen und alle in Erwartung des Todes erstarren. Später kommt George in die ausgebombte Halle, wo die Räuber Albert und Beryl (Stephen Graham, Kathy Burke) die Kinder gezwungen haben, den Toten in den Ruinen Schmuck und Geld abzunehmen. Es ist nicht das erste Mal, dass Charles Dickens‘ „Oliver Twist“ Grüße sendet.

„Blitz“ lässt Menschen aufblitzen und überlässt sie dann schnell ihrem Schicksal, was überraschend anregend anzusehen ist. Aus McQueens George-Epos gehen unzählige Kurzgeschichten hervor, von denen die meisten nach dem Erzählen im Dunkeln verschwinden. Was ist mit Archie und Ian passiert, die ein Stück mit George im Güterzug mitgefahren sind, und was ist mit dem winkenden rothaarigen Mädchen mit ihrem Hund passiert? Angesichts des Krieges denkt man über das Leben nach. Und unweigerlich lässt das Bild einer von einem Flugzeug abgeworfenen Bombe einen Bezug zu heutigen Kriegen herstellen.

Die Rückkehr zur Gefahr – um „Ich liebe dich“ zu sagen.

Und doch ist „Blitz“ eine hoffnungsvolle Geschichte über die Rückkehr zum wahren „Ich liebe dich“. Es ist mit historischer Genauigkeit inszeniert und mit großen Bildern versehen, die ein üppiges Budget vermuten lassen. McQueen führt die Schauspieler so tief in ihre Rollen hinein, dass keine der oft nur skizzierten Figuren auf dem Papier zu sein scheint.

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Besonders berührend ist in diesem Liebesfilm in einem Kriegsfilm der Newcomer Elliott Heffernan, und es ist sein George, den McQueen am Ende zum Helden macht. Polizeibeamte sind nicht in der Lage, die Geflüchteten in die U-Bahn-Station London Bridge zu vertreiben und schließen die Nachttore oben an den Eingängen ab, was die Station zu einer Todesfalle macht, wenn die Themse nachts zusammenbricht. Ein wässriges Grab – wenn George nicht gewesen wäre.

„Blitz“, Film, 121 Minuten, Regie: Steve McQueen, mit Elliott Heffernan, Saoirse Ronan, Benjamin Clémentine, Stephen Graham, Paul Weller, Harris Dickinson, John Mackay, Kathy Burke (veröffentlicht am 7. November in ausgewählten Kinos und am 22. November auf Apple TV+)

https://www.op-marburg.de/medien/blitz-steve-mcqueens-weltkriegsdrama-zeigt-rassismus-in-britischer-gesellschaft-DFSNOCQLEJC5PI6VRCPUMP324Q.html

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