In der von Friedrich Merz entfachten „Stadtbild“-Debatte wurde die Bundeskanzlerin heftig kritisiert. Der Linken-Politiker Reichinnek wirft ihm vor, die Union zu einer „Front-Rechts-Organisation“ zu machen. Unterstützung erhält der CDU-Vorsitzende von Jens Spahn.
Die Emotionen kochen weiterhin hoch. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) lobte am Dienstag bei einem Treffen in Brandenburg die schwarz-roten Erfolge im Umgang mit Migration und Asylanträgen und fügte hinzu: „Natürlich haben wir dieses Problem im Stadtbild immer noch und deshalb ist der Bundesinnenminister jetzt dabei, Rückführungen in sehr großem Umfang zu ermöglichen und durchzuführen.“
Vor allem Grünen-Politiker warfen dem CDU-Vorsitzenden daraufhin rassistische und ausgrenzende Einstellungen vor. Nun hat sich auch Heidi Reichinnek, Linken-Fraktionschefin im Bundestag, mit einem wütenden Video der Kritik angeschlossen.
„Was stellst du dir eigentlich vor?“ Reichinnek eröffnet ihren Kommentar auf Instagram, den sie mit „Rant“ betitelt. „Diese widerliche Aussage offenbart eine zutiefst menschenverachtende Weltanschauung. Für ihn gehören Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur nicht dazu, sie sind auch ein Störfaktor – allein schon wegen ihres Aussehens.“ Es sei ein „Schlag ins Gesicht von Millionen Menschen“, die in diesem Land arbeiten und Steuern zahlen.
„Es ist kein Ausrutscher, es ist eine Methode.“
Ihrer Auffassung nach hätte Merz unmittelbar nach seiner Aussage um Verzeihung bitten müssen. Stattdessen erklärte er hinterher: „Das habe ich nicht als Kanzler gesagt, sondern als Parteivorsitzender.“ Reichinnek wollte nicht, dass „die Kanzlerin oder der Vorsitzende einer Partei, die sich selbst als ‚demokratisch‘ bezeichnet, solche rassistischen Äußerungen macht“.
Sie sei verärgert darüber, dass in der Debatte von einer „Entgleisung“ die Rede sei. „Es ist ohnehin keine Entgleisung, wenn der Zug die ganze Zeit scharf nach rechts fährt“, sagte der Linken-Politiker in Richtung CDU und CSU. „Unter Friedrich Merz entwickelt sich die Union immer mehr zu einer Frontorganisation der extremen Rechten. Das ist kein Ausrutscher, das hat Methode. Dem müssen wir entgegentreten.“
„Tinder in einer Debatte, die hell brennt“
Ähnlich empört reagiert auch Rasha Nasr, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Sachsen: „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein“, sagt sie in einem Video auf Instagram. „Das klingt nach politischem Bullshit-Bingo, nur dass es wirklich nicht lustig ist.“ Sie warf Friedrich Merz vor, die Macht der Worte zu unterschätzen. „Solche Worte – und das muss auch die Kanzlerin wissen – sind Zunder in einer Debatte, die ohnehin schon heiß brennt“, beklagte sie sichtlich. „Wer an der Spitze eines Landes steht, sollte die Brände nicht weiter anfachen, sondern löschen.“
Im Vergleich zu Reichinnek und Nasr äußerte sich Janine Wissler gemäßigter. „Es gibt auch Konservative, die keine gefährlichen Aussagen zu Migration und ‚Stadtbild‘ machen“, schrieb der frühere Linken-Chef auf Plattform nicht.“
„Jetzt müssen auch die Ausländer aus dem Stadtbild verschwinden“
„Hier ist richtig Scheiße los“, kritisierte auch Gilda Sahebi mit scharfen Worten. Die Kanzlerin scheiterte mit ihrem Anspruch, die AfD zu halbieren. „Jetzt reicht es nicht mehr, die Zahl der Asylbewerber zu reduzieren, sondern jetzt müssen die Ausländer aus dem Stadtbild verschwinden“, erklärte der deutsch-iranische Journalist, der unter anderem für den WDR und den „Spiegel“ arbeitet. „Die AfD wird nicht kleiner, wenn man ständig sagt: Du hast recht, du hast recht, du hast recht, AfD.“ Merz‘ Koalitionspartner von der SPD machten „fröhlich“ mit.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn hatte bereits Friedrich Merz verteidigt: „Aber nur so lässt sich Frust abbauen und Vertrauen zurückgewinnen.“ Gegenüber „Bild“ sagte er nun: „Sehen Sie sich einen Hauptbahnhof an, in Duisburg, in Hamburg, in Frankfurt. Vernachlässigung, Drogendealer, junge Männer, meist mit Migrationshintergrund, meist Osteuropa oder arabisch-muslimischer Kulturraum.“
Das habe „auch mit irregulärer Migration zu tun, wie sie in unseren Innenstädten und auf den Marktplätzen aussieht.“ Friedrich Merz habe „eigentlich etwas gesagt, was jeder sieht, wenn er durch Duisburg geht, aber auch, wenn er durch einige mittelgroße deutsche Städte läuft“, betonte der CDU-Politiker.
Spahn warf den Kritikern von Friedrich Merz Realitätsverweigerung vor: „Wenn jetzt wieder alle empört sind über das, was die Kanzlerin gesagt hat, dann kann ich den Leuten nur sagen: Verlasst eure bürgerlichen Kieze öfter. Fahrt hier ein Stück durch Berlin und dann werdet ihr die Konsequenzen sehen. Macht die Augen auf!“