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SPD-Forderung gegen Bürgergeld nimmt Gestalt an – Politik

Auf jeden Fall blieb sie sich selbst treu. Franziska Drohsel wechselte nicht wie andere ehemalige Juso-Vorsitzende in das Lager der regierungstreuen Pragmatiker. Einer, Björn Böhning, ist jetzt Staatssekretär von Vizekanzler und SPD-Chef Lars Klingbeil. Drohsel hingegen will in diesem Herbst eines der zentralen Reformvorhaben der schwarz-roten Koalition zunichtemachen, die Verschärfung des Bürgergeldes. Und die erste Etappe ist nun gemeistert.

Der Anwalt aus Berlin, der von 2007 bis 2010 die SPD-Jugendorganisation leitete, ist einer der Initiatoren des entsprechenden Mitgliedsantrags. Ihren Angaben zufolge wurden über 4.000 Unterschriften gesammelt, also über ein Prozent der Mitglieder – was die Grundvoraussetzung für das Starten eines Mitgliedsantrags darstellt. An diesem Montag will Drohsel um 14 Uhr die Unterschriften bei der Parteispitze im Willy-Brandt-Haus einreichen und damit den Antrag offiziell beantragen.

Allerdings sieht die SPD-Satzung vor, dass die Unterschriften über eine eigene SPD-Plattform gesammelt werden müssen; Anschließend müssen sich alle Mitglieder erneut mit ihrer Mitgliedsnummer über ein spezielles, sicheres Portal verifizieren. Erst wenn dort wieder das Quorum von einem Prozent erreicht ist, geht es offiziell mit dem Mitgliederbegehren los – zuletzt hatte die SPD rund 357.000 Mitglieder, sie braucht also rund 3.570 Unterschriften. Drohsel sieht darin kein Problem; die Unterschriften würden dann einfach wieder auf der Plattform eingegeben.

„Wenn das geschafft ist, haben wir noch drei Monate Zeit, die 20 Prozent Unterstützer in die Mitgliederliste zu bekommen, damit es ein Erfolg wird“, sagt sie im Interview mit Süddeutsche Zeitung. Dann wäre die große Frage, wie der Vorstand damit umgeht. Sanktionsverschärfungen oder Leistungskürzungen lehnt der Antrag ab. Reformen sind für die Union von zentraler Bedeutung. Ein SPD-Bundestagsabgeordneter stuft den Antrag deshalb als „gefährlich“ ein, auch wenn die Erfolgsaussichten eher gering seien, da die breite Mitgliederschaft die Reform eher befürworte. Allerdings wird eingeräumt, dass die Anfrage aufgrund des allgemeinen Vorgehens der Union und von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auch zum Ventil für Frust werden könnte.

Zunächst wollte die SPD mit Bürgergeldern „Hartz IV überwinden“, dann stellte sich das Vorhaben als großes Problem heraus; Auch Gerhard Schröder warf seiner Partei vor, zu einer Partei der Sozialhilfeempfänger geworden zu sein. Mit der Union einigte man sich schließlich auf eine Rückkehr zu strengeren Regeln, mehr Kontrolle, und das Geld der Bürger solle künftig Grundsicherung heißen. Die Co-Vorsitzende der SPD, Bärbel Bas, ist als Arbeits- und Sozialministerin für die Reform verantwortlich.

Im neuen ZDF-Politbarometer halten 74 Prozent der Befragten die geplanten Verschärfungen und mögliche Kürzungen der Bürgerleistungen und Unterbringungskosten bei Ablehnung von Stellenangeboten für richtig. Bei den Unionsanhängern sind es 96 Prozent, bei der AfD 90 Prozent, aber auch bei der SPD 74 Prozent. Bei den Grünen hingegen nur 47 Prozent und bei den Linken 19 Prozent.

Mittlerweile ist es 22 Jahre her, dass Drohsel auf einer Regionalkonferenz in Potsdam beinahe aus dem Saal geworfen wurde, als sie mit Transparent und Trillerpfeife gegen Gerhard Schröder und seine Pläne für eine Agenda 2010 demonstrierte. Doch sie kämpfte für das Rederecht.

Ich bin sehr optimistisch, dass wir am Ende erfolgreich sein werden

Franziska Drohsel

Schröder war einst Juso-Vorsitzender und engagierte sich dann politisch. Auch damals gab es einen Mitgliederantrag, der scheiterte. Drohsel ist bis heute links geblieben; Schon während ihrer Schulzeit besuchte sie sonntags Lesekreise der SPD und las „Das Kapital“ von Karl Marx. So etwas gab es früher. „Ich bin sehr optimistisch, dass wir am Ende Erfolg haben werden“, sagt sie nun über den Plan, die Bürgergeldreform zu kippen. „Sonst hätten wir es nicht gemacht.“

Vor allem die Verschärfung der Sanktionen findet sie untragbar, insbesondere die Senkung der Kosten für Unterkunft und Heizung. Darüber hinaus soll die Zuzahlung an die Krankenkassen gesenkt, die Wartezeit auf Schutzgelder abgeschafft und das Schutzguthaben deutlich reduziert werden.

Konfrontiert man sie mit den Umfragen, die jährliche Kosten von rund 50 Milliarden Euro belegen, und den Berichten über missbräuchliche Leistungsverwendung, sagt sie, dass ihr der ganze Diskurs zu schaffen macht. Nach dem Motto sind Arbeitslose faul und daher selbst schuld an ihrer Arbeitslosigkeit. „Wir halten es für falsch, dass die SPD diesen Diskurs nicht offensiv angeht, sondern unterstützt. Im Übrigen liegen dazu keine Zahlen vor, die Zahl der tatsächlich verhängten Sanktionen ist äußerst gering.“ Auch den gesamten Flüchtlingsdiskurs empfindet sie als höchst problematisch, „manchmal sogar rassistisch“.

Die Stimmung bei der Agenda 2010 sei ganz ähnlich gewesen, erinnert sich Drohsel. „Es herrschte damals ein neoliberales Klima und dieses neoliberale Narrativ, dass es die Schuld des Volkes sei, das Volk sei zu faul, jeder mache sein eigenes Glück, das hat sich durchgesetzt“, betont sie. „Ich denke, das war damals falsch, ist heute falsch, und die SPD sollte eine der Kräfte sein, die in solchen Zeiten die Solidarität in den Mittelpunkt stellt und klar sagt, dass es nicht darum geht, Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen.“

Sie wünscht sich, dass die SPD wieder mutiger und offensiver wird. Es ist auch nicht falsch, radikale Forderungen zu stellen. „Ich glaube, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Meinung ist, dass die Dinge nicht fair sind. Und ich verstehe nicht, warum die Vermögensteuer nicht wieder eingeführt wird.“ Die Vermögensteuer gab es schon unter Helmut Kohl, „und wir haben hier auch nicht im Sozialismus gelebt.“ Es braucht eine Umverteilung durch Vermögens- und Erbschaftssteuern, gute öffentliche Dienstleistungen, für die Geld benötigt wird, sowie deutlich mehr Sozialwohnungen.

Und was wäre, wenn der Antrag Erfolg haben könnte und sich die SPD-Spitze dann von den vereinbarten Reformplänen distanzieren müsste? Das könnte zum Bruch der Koalition führen. „Falsche Projekte bleiben falsch“, sagt Drohsel. „Sie bringen nichts Gutes hervor, selbst auf die Gefahr hin, das Bündnis weiter zu schwächen.“

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