Nach Ansicht des SPD-Politikers Danial Ilkhanipour treibt die Kompromisslosigkeit der sozialen Linken die Union in die Arme der AfD. Währenddessen lachten Weidel und Chrupalla wohl schallend, als sie an Lenin dachten, der einst von „nützlichen Idioten“ sprach.
In einigen Umfragen liegt die AfD bereits vor der Union, weshalb einflussreiche Politiker von CDU und CSU einen Kurswechsel im Umgang mit der AfD fordern. Aus Sicht des SPD-Politikers Danial Ilkhanipour sollte jedoch auch die politische und gesellschaftliche Linke ihre bisherige Strategie überdenken. „Während konservative Demokraten – etwa bei der Wahl zum Bundesverfassungsgericht oder durch die migrationspolitischen Äußerungen von Friedrich Merz – regelmäßig auf die Provokationen und Narrative der AfD hereinfallen, diese teilweise übernehmen und damit zur Spaltung der Gesellschaft beitragen, spielen auch linke Kräfte wie die Grünen, die Linke, Teile der Medien und Aktivisten das Spiel der AfD mit, wenn auch unbewusst“, sagt der Sozialdemokrat im Gespräch mit WELT.
Es ist erschreckend, wie hilflos und reflexartig demokratische Kräfte auf strategisch vorbereitete Schritte der AfD reagierten und die veränderte politische Lage nicht realistisch einschätzten. „Die Wirkungslosigkeit der Verteidigung ist ebenso alarmierend wie das fehlende strategische Verständnis für die neue Situation“, sagt Ilkhanipour, der seit 2015 für die SPD im Hamburger Landtag sitzt.
Am Rande der zweitägigen CDU-Präsidentschaftsklausur betonte Bundeskanzler Friedrich Merz, die AfD wolle die CDU zerstören und grundsätzlich ein „anderes Land“ wollen. Das Argument, CDU und AfD könnten gemeinsam viel erreichen, hält er für falsch. Die Partei hinterfragt nicht nur die Politik der letzten zehn Jahre, sondern auch grundlegende deutsche Entscheidungen seit 1949. Zuvor hatten sich der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber und der ehemalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) für eine Öffnung der CDU nach rechts ausgesprochen.
Laut Ilkhanipour nützt die relative Stärke der AfD in Umfragen und Wahlergebnissen wenig, solange sie keinen potenziellen Koalitionspartner hat. „Selbst wenn der Widerstand innerhalb der Union gegen eine Zusammenarbeit – die sogenannte Brandmauer – bröckelt, wird es für die Partei schwer werden, eine Koalition mit der AfD durchzusetzen“, betont der Hamburger Genosse – und fügt hinzu: „Weder das innerparteiliche Gefüge der Union noch ihre Wählerschaft würden dies unterstützen – zumindest solange es noch alternative Machtoptionen gibt, wie die aktuelle große Koalition mit der SPD.“
Das Strategiepapier der AfD macht deutlich, dass die Partei um ihre Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla durch Kulturkriegsdebatten gezielt Druck auf die Union ausüben will. Damit dieser Plan aufgeht, braucht die AfD indirekte Unterstützung sozial linker Kräfte. Ilkhanipour erklärt: „Die AfD rechnet damit, dass die SPD von Mitte-Links-Kräften als potenzieller Regierungspartner diskreditiert wird.“ Der ständige Druck, die kompromisslose Kritik und der Mangel an strategischer Unterstützung sollten die SPD zermürben – bis sie entweder die Koalition verlässt oder, was wahrscheinlicher ist, immer mehr fordert, ihr Gesicht zu wahren.
Die Folge: Irgendwann könnte sich die Stimmung in der Union ändern. „In beiden Szenarien scheint das, was heute noch undenkbar ist – eine Koalition zwischen CDU und AfD – die einzig verbleibende Option zu sein.“ Laut Ilkhanipour ist das Land genau auf diesem Weg. „Sie kann nur gestoppt werden, wenn neben der politischen auch eine gesellschaftliche Große Koalition entsteht – eine Koalition, die Kompromisse nicht reflexartig diskreditiert, sondern sie als notwendige Grundlage demokratischer Verständigung sieht“, sagte der SPD-Politiker.
Warum Weidel und Chrupalla sich auslachen
Von seiner Partei wird derzeit jedoch erwartet, dass sie 100 Prozent sozialdemokratische Inhalte umsetzt – oft von denselben Kräften, die ihr zuvor ein schwaches Mandat verliehen haben. Jeder Kompromiss wird als Verrat gebrandmarkt. „Wir befinden uns in einer außen- und innenpolitischen Ausnahmesituation. Das parteipolitische Schuldzuweisungsspiel, das längst von gesellschaftlichen Lagern übernommen wurde, ist äußerst gefährlich“, sagte Ilkhanipour, der 1981 als Sohn iranischer Einwanderer in Schleswig-Holstein geboren wurde und im Hamburger Stadtteil Stellingen aufwuchs.
Das Fazit des Parlamentariers: „Demokraten müssen lernen, strategisch auf die AfD zu reagieren, die strategisch agiert – das wurde in den letzten Jahren vernachlässigt. Die soziale Linke ist hier besonders gefragt, da sie dringend Antworten finden muss.“ Die Unfähigkeit, die Situation ganzheitlich zu erfassen, und die reflexartige Ablehnung jedes Kompromisses schufen die Grundlage für eine mögliche Machtübernahme der AfD. „Die soziale Linke wird dieser Verantwortung derzeit nicht gerecht – und ist, ohne es zu merken, die stärkste Karte im Spiel der AfD.“
Was einst politische Kurzsichtigkeit war, ist laut Ilkhanipour heute eine Gefahr für die Demokratie insgesamt. Und mit bitterer Ironie: „Denn die AfD braucht für ihre Strategie den Input linker Kräfte – und erhält ihn derzeit unbewusst. Während Weidel und Chrupalla sich ins Fäustchen lachen und vielleicht an Lenin denken, der einst von ‚nützlichen Idioten‘ sprach.“
Aus diesem Grund müsse die derzeitige Bundesregierung laut Ilkhanipour funktionieren. Der Erfolg dieser Koalition entscheidet nicht nur über die parteipolitischen Ergebnisse von CDU und SPD, sondern auch darüber, ob die AfD mit ihrer Strategie durchkommt. „Man könnte sagen: Der Erfolg der GroKo ist die letzte Verteidigungslinie gegen die AfD.“ Schließlich gibt es derzeit keine alternativen Mehrheiten ohne die Beteiligung der AfD. Diese Realität wird jedoch in der politischen Debatte, insbesondere wenn es um Kompromisse geht, oft ignoriert.
„Kompromisse werden nicht mehr als demokratische Errungenschaft gewertet. Unser gesamtes System – vom Verhältniswahlrecht bis zum Föderalismus – basiert auf der Fähigkeit zum Kompromiss“, sagt Ilkhanipour – und fügt hinzu: „Aber in hitzigen Debatten, oft angeheizt durch die AfD, wird eine Einigung als Niederlage gewertet. Unter diesem Maßstab ist jede Koalition zum Scheitern verurteilt, weil sie per Definition enttäuschen muss.“ Der Druck von außen führt zu einer sinkenden Kompromissbereitschaft und öffentlichen Auseinandersetzungen statt einer konstruktiven Suche nach Lösungen.