Die Finanzierungslücke der gesetzlichen Krankenkassen wird im nächsten Jahr voraussichtlich zwei bis vier Milliarden Euro betragen. Auch in der Pflegeversicherung stecken zwei Milliarden Euro drin, sagt Warken. Die Expertengruppe aus Regierung und GKV-Bundesverband will am Mittwoch ihre Prognose vorlegen. Dann kommt der Schwur: Welche Sparmaßnahme will die Koalition den Versicherten aufzwingen?
Die jüngsten Berechnungen seien ermutigend, sagte Warken kürzlich. Statt der befürchteten vier Milliarden Euro müssten die Krankenkassen nur einen Verlust von zwei Milliarden Euro verdauen. Letztlich ist mit einer Entspannung vom Arbeitsmarkt zu rechnen. Der AOK-Bundesverband entgegnet, Warken sei viel zu optimistisch. Er verweist auf einen aktuellen Bericht des Beratungsunternehmens Deloitte.
„Die Finanzierbarkeit des deutschen Gesundheitssystems ist auf Dauer nicht gewährleistet.“
Wirtschaftsprüfer von Deloitte
Mit Blick auf den Koalitionsvertrag sprechen die Experten von einem „dynamischen Ausgabenwachstum im Jahr 2026“. Im Klartext: Es wird immer mehr Geld ausgegeben. Als Beispiele nennt Deloitte die Aufhebung der Budgetgrenzen für Allgemeinmediziner und Änderungen im Medical Research Act. Demnach dürfen Pharmaunternehmen nun mit den Krankenkassen geheime Preise für ihre Medikamente aushandeln, mit der Folge, dass Ärzte nicht mehr das günstigste Medikament verschreiben können.
Unter anderem aufgrund solch teurer Geschenke an Leistungserbringer rechnen Experten mit einem Anstieg der Krankenversicherungsausgaben im nächsten Jahr um 5,5 Prozent. Sie befürchten aber, dass der Umsatz nur um 3,6 Prozent steigen wird. Unter dem Strich verbleibt im nächsten Jahr eine Lücke von 56 Milliarden Euro, die selbst der Steuerzuschuss des Bundes (14,5 Milliarden Euro im Jahr 2025) wohl nicht schließen kann. Die Zusatzbeiträge müssten demnach um durchschnittlich 0,4 Prozent steigen. Bei einem Bruttoeinkommen von 4.000 Euro wären das monatlich 20 Euro mehr, die Arbeitnehmer und Unternehmen jeweils zur Hälfte zahlen müssten.
28,7 Prozent Beitrag im Jahr 2050?
Derzeit laufe aufgrund des demografischen Wandels und suboptimaler Entscheidungen laut Deloitte alles auf Beiträge zwischen 24 und 28,7 Prozent im Jahr 2050 hinaus. Das bedeutet, dass ohne Steuerzuschüsse pro 4.000 Euro Lohn bis zu 1.148 Euro Krankenversicherungsbeiträge fällig würden. Will die Regierung dieses Szenario vermeiden, müsste sie das deutsche Gesundheitssystem neu ausrichten. Beispielsweise gibt es in der Prävention im Vergleich zu internationalen Standards noch viel Verbesserungspotenzial.
Davon ist im Moment kaum die Rede. Stattdessen wird eine ganze Reihe von Maßnahmen diskutiert, die den Krankenkassen schnell Erleichterung bringen sollen. Minister Warken will höhere Beiträge unbedingt vermeiden. Ihr Vorschlag: Die Zuzahlungen für Medikamente, Hilfsmittel und medizinische Leistungen sollen um 50 Prozent steigen. Das bedeutet, dass der Versicherte pro Rezept mindestens 7,50 Euro und maximal 15 Euro bezahlen würde.
Das Einsparpotenzial: knapp 1,9 Milliarden Euro. Zudem werden die Krankenhäuser im nächsten Jahr voraussichtlich 1,8 Milliarden Euro weniger in Rechnung stellen. Relativ kleine Beträge (je rund 100 Millionen Euro) will Warken von Kinderärzten, dem Innovationsfonds und den Krankenkassen erhalten. Über all das muss sich die Koalition nun einigen.
Unterdessen fordert der Ersatzkassenverband, die Branche in die Pflicht zu nehmen: Der sogenannte Herstellerrabatt für patentgeschützte Arzneimittel von derzeit sieben Prozent solle auf 17 Prozent erhöht werden, heißt es. „Dadurch würde sich die Belastung der GKV jährlich um bis zu drei Milliarden Euro verringern“, teilte der Verband mit.
Der Vorschlag der Arbeitgeber, die 2013 abgeschaffte Praxisgebühr wieder einzuführen, stieß vor einigen Wochen auf breite Kritik. Kurzfristig gesehen hat auch die Empfehlung von Kassenärztlichem Chef Andreas Gassen, die Regelungen zur Krankschreibung zu lockern, vergleichsweise wenig Aussicht auf Erfolg. Unternehmen sollten erst ab dem vierten Krankheitstag eine Bescheinigung verlangen, sagt Gassen.
Die Praxen würden dann von Patienten entlastet, die wegen leichterer Infekte in die Sprechstunde kommen. Für viele Mitarbeiter dürfte Gassen diesen Herzenswunsch erfüllen. Allerdings ist das angestrebte Einsparpotenzial begrenzt: Berichten zufolge rund 100 Millionen Euro.
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