Die Botschaft war unmissverständlich: „Keine Inszenierer für Täter! Verpiss dich, Boateng!“ prangte auf einem riesigen Banner, das Bayern-Fans am vergangenen Wochenende direkt am Rande des Bundesliga-Duells zwischen dem FC Bayern München und Borussia Dortmund angebracht hatten.
Damit zeigten sie, was sie von dem Praktikumsangebot halten, das Bayern-Trainer Vincent Kompany kürzlich dem ehemaligen Nationalspieler Jérôme Boateng gemacht hatte. Weil Boateng offenbar ins Trainergeschäft einsteigen will, hat er laut „Sky“ bereits die B-Lizenz erworben, die A-Lizenz und der Fußballlehrer sollen nun folgen. Kompany, die er aus ihrer gemeinsamen Zeit beim HSV kennt, will ihm helfen.
Kompany und der FC Bayern ernteten für die Einladung viel Kritik. Zahlreiche Fans werfen dem Verein Heuchelei vor. Ihr Argument: Einerseits unterstützen die Bayern Boateng, der 2024 vom Landgericht München I wegen vorsätzlicher Körperverletzung einer Ex-Freundin für schuldig befunden und abgemahnt wurde. Andererseits wird die Allianz Arena im November orange beleuchtet, um ein Zeichen gegen Gewalt gegen Frauen zu setzen.
Mittlerweile gibt es auch eine Petition mit dem Titel „Grenzen gegen frauenfeindliche Gewalt setzen“, die von über 18.000 Menschen unterzeichnet wurde (Stand Dienstagmittag). In ihrem Forum „Miasanrot Kurve“ haben die Initiatoren der Petition Antworten auf Fragen aus dem Tagesspiel formuliert, die uns Patrick M. geschickt hat. Hintergrund der Petition sei nicht nur der Umgang mit Boateng, sondern auch, dass „dem systemischen Problem dieses Themas, der häuslichen Gewalt“, zu wenig Beachtung geschenkt werde.
„Für mich ist diese Petition erfolgreich, wenn sie diese Diskussion weiterhin am Leben hält“, sagt Patrick M.. „Ich glaube nicht, dass es so wichtig ist, ob es am Ende tatsächlich dazu kommt, dass Jérôme Boateng nicht sitzen darf, sondern vielmehr, unter welchen Bedingungen er das darf oder nicht.“
Die Bayern-Führung zeigt sich unbeeindruckt
Viele Fans schließen ein Praktikum nicht per se aus – solange Boateng öffentlich die Verantwortung für sein Verhalten übernimmt und die Bayern Stellung beziehen. „Es geht darum, dass jemandem, der vor Gericht als Täter verurteilt wurde und (…) keinerlei öffentliche Einsicht zeigt, ein Praktikum beim FCB gewährt wird, der als Verein nach außen unterschiedliche Werte vertritt“, kritisiert ein Fan. Ein anderer äußert sich besorgt darüber, „welche Botschaft es an junge männliche Fans und junge Spieler sendet, wenn man sein Verhalten einfach so akzeptiert.“
Die Führungsmannschaft des FC Bayern zeigt sich von den Protesten bislang unbeeindruckt. Das Thema sei „aus dem Nichts ganz groß“, sagte Sportdirektor Max Eberl am vergangenen Wochenende. „Es geht nur darum, Trainingseinheiten anzuschauen. Es geht um nichts weiter. Das würden wir gutheißen.“ Kompany sah das ähnlich: „Wir haben etwa 20 Leute im Jahr, die vorbeischauen. Es wird nicht mehr wertgeschätzt, als es ist.“
Nuancierter äußerte sich Vorstandsvorsitzender Jan-Christian Dreesen, der von einem „komplizierten Fall“ sprach, aber auch betonte, dass jeder Anspruch auf Rehabilitation habe.
Gemeinsames Foto mit Til Lindemann
Die meisten Fans, die derzeit Boatengs „Rückkehr“ kritisieren, leugnen das Recht auf Rehabilitation nicht. „Meiner Meinung nach hat jeder ein uneingeschränktes Recht auf Rehabilitation“, schreibt ein Bayern-Fan in der „Miasanrot Kurve“. „Aber ein nicht unwichtiger Teil einer erfolgreichen Rehabilitation ist ‚Reue‘ oder ‚Einsicht‘ – das kann ich bei Boateng beim besten Willen nicht sehen.“
In diesem Zusammenhang kritisieren er und andere Fans, dass Boateng erst im April auf einem Foto mit Rammstein-Sänger Til Lindemann posierte. Sie werfen ihm vor, „sich lustig zu machen“ und „Null-Komma-Null-Einsicht“ zu zeigen.
Im Kontext der „Resozialisierung“ stellt sich auch die Frage, ob es einen Zeitpunkt gab, an dem Boateng nicht wurde sozialisiert. Der Weltmeister von 2014 hatte in den letzten Jahren keine Schwierigkeiten, einen neuen Verein zu finden. Er stand bei Olympique Lyon, US Salernitana und zuletzt beim Linzer ASK unter Vertrag. Als der Prozess gegen Boateng noch lief, sah Lyons damaliger Sportdirektor Juninho das einzige Problem darin, dass sein Spieler aufgrund des Gerichtsverfahrens oft nach Deutschland fliegen musste und daher nicht im Training war.
Allerdings fühlen sich die Bayern-Fans von der Führung des eigenen Vereins nicht ernst genommen. Sie haben den Eindruck, dass sie sich nicht mit dem Thema auseinandergesetzt hat und bitten sie, Stellung zu beziehen. Aus ihrer Sicht sollte Bayern auch strukturelle Maßnahmen ergreifen und beispielsweise eine Anlaufstelle für häusliche Gewalt einrichten.