Anfang dieser Woche haben Analysten des US-Thinktanks The Institute for the Study of War (ISW) eine Einschätzung abgegeben, die für großes Aufsehen gesorgt hat. Wie die Geopolitikexperten in ihrem täglichen Lagebericht zum Ukraine-Krieg berichteten, zielten die jüngsten Maßnahmen Moskaus darauf ab: materielle und psychologische Voraussetzungen für einen neuen Krieg zu schaffen.
Dementsprechend hat Russland in den letzten Wochen und Monaten die Zahl seiner Sabotageoperationen gegen westliche Staaten sowie die Zahl gezielter Desinformationskampagnen deutlich erhöht. Darüber hinaus kommt es zu einer deutlichen Verschärfung russischer Luftraumverletzungen in NATO-Gebieten und Drohnenflügen in europäischen Ländern. Darin sehen die ISW-Analysten einen solchen Zusammenhang neue Phase der russischen Vorbereitungen für einen möglichen Krieg mit NATO-Staaten.
Das Land unter Kremlchef Wladimir Putin ist damit in die „Phase 0“ eingetreten. „Russland hat längerfristige Pläne aufgestellt, die Teil der sind Könnten Vorbereitungen für einen künftigen Krieg zwischen Russland und der NATO sein„, schreibt das ISW-Forschungsteam. Was sagen andere Experten zu dieser Annahme? Und was folgt auf „Phase 0“?
Was sagen Experten zur „Phase 0“-These?
Der Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien, Andreas Umland, sieht die Situation äußerst komplex. Er kritisiert, dass die Verschärfung des jüngsten Vorgehens Russlands als Vorbereitungsphase für einen möglichen Krieg mit NATO-Staaten interpretiert werde. „Aus rationaler außenpolitischer Sicht dies wäre ausgeschlossen, da die Kräfte zu ungleich sind“, sagt der Analyst auf Tagesspiegel-Anfrage.
Allerdings „könnteirrationale Impulse und innenpolitisches Kalkül „Das treibt die russische Führung zu weiterer Konfrontation“, fügt Umland hinzu. Darauf deuten viele aktuelle Anzeichen hin, so der Experte. Demnach seien russische Expansionserfolge zumindest der Stabilitätsanker für Putins Herrschaft.
Wenn der Kremlchef im Rahmen einer Beilegung des Ukraine-Krieges dauerhafte Vorteile für Russland erzielen würde, dann wäre das der Fall Gefahr weiterer Expansionsbemühungen. Laut Umland „könnte dann für Russland die Versuchung bestehen, die bereits militärisch stark mobilisierte russische Gesellschaft auf ein neues Ziel auszurichten.“
Der vom Erfolg berauschte Kreml könnte der Versuchung erliegen, die Entschlossenheit der NATO an der Grenze auf die Probe zu stellen.
Andreas UmgebungStockholmer Zentrum für Osteuropastudien
Der Geheimdienstexperte der Brunel University in London, Kevin Riehle, sieht die Situation weniger akut. Dem französischen Nachrichtensender „France 24“ sagte er, dass es bei der jüngsten Verschärfung Moskaus um mehr gehe um die NATO vor den möglichen Folgen einer Eskalation zu warnen. Anstatt konkret eine Offensive zu planen, biete Russland dem Westen lediglich eine Vorschau darauf, wie ein offener Konflikt mit Moskau aussehen könnte und welche Kosten er mit sich bringen könnte, mutmaßt der Experte.
Fazit zur „Phase 0“-These:
Rational gesehen ist ein möglicher Angriff Russlands auf NATO-Gebiete eher unwahrscheinlich, da die Kräfteverteilung zu unausgewogen ist. Andererseits ist Putin unberechenbar und getrieben von hohen Expansionsbestrebungen.
Ist das Vorgehen Russlands ein Hinweis auf Kriegsvorbereitungen?
Andreas Umland sieht die neuen Provokationen Russlands in Form von Drohnenflügen in Europa und Luftraumverletzungen von NATO-Gebieten basierend auf der aktuellen US-Politik. Europa kann sich nicht mehr „hundertprozentig“ auf die Unterstützung der USA verlassen. Zudem sei die Russlandpolitik unter US-Präsident Donald Trump teilweise „verwirrend“, sagte der Analyst. Russlands Luftraumverletzungen dienen Moskau als wirksames Mittel, um „Unsicherheit und Uneinigkeit in den Nato-Staaten zu schüren“, vermutet Umland.
Dies untermauert die These des ISW, wonach die westlichen Bundesländer durch eine regelrechte Flut an Falschmeldungen in Umlauf gebracht werden sollen „Die Gefahr von Anschlägen ist in ganz Europa allgegenwärtig.“ Das ISW und der Osteuropaforscher Umland sind sich einig, dass Moskau mit seinem jüngsten Vorgehen die Aufmerksamkeit des Westens sowie europäische Ressourcen und geplante Hilfen von der Ukraine ablenken will.
Andere Experten vermuten, dass sich die Desinformationskampagnen Moskaus nicht nur gegen Europäer, sondern auch gegen die russische Bevölkerung richten. Der russische Propagandaspezialist an der Universität Kopenhagen, Jewgeni Golowtschenko, sagte gegenüber France 24: „Ziel ist es, den Eindruck zu erwecken, dass eine unmittelbare Bedrohung besteht – zum Beispiel durch einen Angriff auf Russen oder Versuche des Westens, Russland zu destabilisieren.“ was wiederum eine Reaktion erfordert.“ Moskau wolle deutlich machen, dass es sich der Gefahr stellen müsse – „nicht morgen, sondern heute“, sagte Golowtschenko.
Russland behauptet immer, in der Defensive zu sein. Es sind immer die anderen, die angefangen haben.
Jewgeni Golowtschenko, Universität Kopenhagen
Ähnlich beurteilt der Geheimdienstexperte der Brunel University in London, Kevin Riehle, die Lage. Dementsprechend lässt sich das Vorgehen Moskaus auch darauf zurückführen, dass „Russland immer in der Defensive ist und.“ Am Ende kann man immer sagen, dass die andere Seite – in diesem Fall die NATO – den Anfang gemacht hat„, sagte er gegenüber France 24.
Fazit zur Beweislage:
Die Verschärfung von Drohnenflügen und Luftraumverletzungen durch Russland soll vor allem die Verunsicherung in den NATO-Staaten schüren und die weitere Unterstützung für die Ukraine verringern. In unserem eigenen Land sollen die Desinformationskampagnen jedoch den Rückhalt in der eigenen Bevölkerung stärken und das Bild Russlands als Verteidiger (und nicht als Angreifer) etablieren. Moskaus jüngste Aktionen Sie schüren nicht nur die Ängste Europas vor einer Eskalation, sondern bestärken auch den Wunsch Russlands nach einer Eskalationvermutet Andreas Umland.
Was könnte laut Experten auf „Phase 0“ folgen?
„Russland erweckt zumindest den Eindruck, dass es zu einem Anschlag kommen könnte“, berichtet Umland dem Tagesspiegel. Laut dem Analysten Putin will sich die Option wohl offen haltenhybride militärische Mittel gegen NATO-Staaten einzusetzen.
Irrationale Impulse und innenpolitisches Kalkül könnten die russische Führung zu einer weiteren Konfrontation drängen.
Andreas UmgebungStockholmer Zentrum für Osteuropastudien
Für die Umgebung ist es hier verfügbar zwei Möglichkeiten:
- Sollte Putin den Ukraine-Krieg nicht gewinnen oder andauern, dann „scheint ein Angriff auf einen NATO-Staat unwahrscheinlich.“ Der Experte erklärt, dass dieses Szenario „einen Zweifrontenkrieg für Russland bedeuten würde“.
- Sollte es jedoch zu einem „russischen Siegfrieden“ in der Ukraine kommen, dann werde die Gefahr einer Eskalation steigen, so Umland – zunächst vor allem im Baltikum. „Erfolgstrunken und militärisch stark mobilisiert könnte der Kreml der Versuchung erliegen, die Entschlossenheit der NATO an der estnischen oder litauischen Grenze auf die Probe zu stellen“, mutmaßt der Analyst.
Fazit: Wie geht es weiter?
Sollte Moskau den Ukraine-Krieg gewinnen oder im Rahmen eines Friedensabkommens ukrainische Gebiete gewinnen, droht ein russischer Angriff auf Nato-Gebiete. Eine solche Eskalation kann nur abgewendet werden, wenn Putin gestoppt wird. Den Expansionsdrang des Kremlchefs kann laut Andreas Umland nur eines nachhaltig gedämpft werden: „Eine sichtbare russische Niederlage in der Ukraine gepaart mit einer internen sozioökonomischen Krise.“