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Skandal in der Ukraine: Selenskyj fällt auf die Beine, weil er die Korruptionsermittler entmachten wollte

Skandal in der UkraineSelenskyj ist beleidigt darüber, dass er die Korruptionsermittler entmachten wollte

11. November 2025, 18:04 Uhr Uhr Denis Trubetskoy
Gegen Präsident Selenskyj liegen keine Korruptionsvorwürfe vor, doch einer der Hauptbeschuldigten gehörte zu seinem Freundeskreis
Es gibt keine Korruptionsvorwürfe gegen Präsident Selenskyj, aber einer der Hauptbeschuldigten war einer seiner Freunde. (Foto: dpa)

Die Ukraine wird von einem Korruptionsskandal erschüttert. Einer der Hauptverdächtigen, ein Freund des ukrainischen Präsidenten, ist ins Ausland geflohen. Doch für Selenskyj ist das Thema aus einem anderen Grund unangenehm.

Es ist ein Erdbeben für die ukrainische Politik – und zumindest eine unangenehme Situation für Präsident Wolodymyr Selenskyj, der diesen Sommer erfolglos versucht hat, Antikorruptionsbehörden wie das Nationale Antikorruptionsbüro NABU und die Sonderstaatsanwaltschaft für Korruption SAP zu entmachten.

Am Montag gab der NABU die ersten Ergebnisse der „Operation Midas“ bekannt – benannt nach dem König aus einer griechischen Legende, der alles, was er berührte, in Gold verwandelte. Bei der „Operation Midas“ geht es um Korruptionsverdacht im ukrainischen Energiesektor. Neben vier aktuellen und ehemaligen Ministern soll auch der Geschäftsmann Tymur Minditsch beteiligt sein; Minditsch ist ein Freund des Präsidenten. Er ist unter anderem Mitinhaber der von Selenskyj gegründeten Fernsehproduktionsfirma Kwartal 95.

Den Ermittlungen zufolge könnten rund 100 Millionen US-Dollar unterschlagen worden sein. Der Umfang des Einsatzes sei enorm: Die Ermittlungen hätten 15 Monate gedauert, alle NABU-Ermittler seien beteiligt gewesen, heißt es. Rund 1.000 Gesprächsstunden wurden abgehört.

An der Spitze des Unternehmens soll ein „Karlsson“ gestanden haben

Im Fokus der Ermittlungen steht der staatliche Energiekonzern Energoatom, der die ukrainischen Atomkraftwerke betreibt. Angeblich mussten Auftragnehmer ihren Kunden bei Energoatom Bestechungsgelder in Höhe von 10 bis 15 Prozent zahlen, um eine Sperrung der Zahlungen für erbrachte Dienstleistungen oder den Verlust ihres Lieferantenstatus zu verhindern. Der NABU bezeichnet diese Praxis als „Barriere“.

In den veröffentlichten Aufnahmen geht es vor allem darum, wie Druck auf die Auftragnehmer ausgeübt werden könnte. Dabei geht es um konkrete Bestechungsbeträge, die die Beteiligten erhalten würden. Aufgrund der jüngsten Welle russischer Angriffe auf ukrainische Energieanlagen, die auch die Infrastruktur zweier westukrainischer Kernkraftwerke traf, sorgte in der Ukraine insbesondere eine Aufzeichnung über den Bau von Schutzanlagen für zwei Umspannwerke für Empörung. In der Aufnahme ist von „purer Geldverschwendung“ die Rede. Darüber hinaus beklagen die Beteiligten, dass sie im Rahmen eines früheren Vertrags weniger Geld erhalten hätten, als erhofft.

„Tatsächlich wurde ein System geschaffen, in dem ein strategisches Unternehmen mit einem Umsatz von über 200 Milliarden Griwna (umgerechnet etwas mehr als 4 Milliarden Euro) nicht von Spitzenmanagern des Aufsichtsrats oder des Staates als Eigentümer geführt wurde, sondern von einem Außenstehenden, der die Rolle eines Schattenmanagers ohne formelle Befugnisse einnahm“, heißt es im NABU. Obwohl das Antikorruptionsbüro den Namen des Mannes nicht direkt nennt und diesen nur als „Karlsson“ bezeichnet, wurde gegenüber den Medien inoffiziell bestätigt, dass es sich um Tymur Minditsch handelt. Minditsch bezeichnete sich im Rahmen des aufgedeckten Korruptionsplans offenbar selbst als „Karlsson“. Er soll Einfluss auf den ehemaligen Verteidigungsminister und jetzigen Sekretär des Sicherheitsrats Rustem Umerov ausgeübt haben.

Minditsch ist im Ausland

Es dürfte kein Zufall sein, dass Minditsch die Ukraine kurz vor der Veröffentlichung der Ermittlungsergebnisse verließ. Es wird vermutet, dass er von einem hochrangigen SAP-Mitarbeiter gewarnt wurde, dem eine gewisse Nähe zum ukrainischen Präsidialamt nachgesagt wird.

Im politischen Kiew wurde seit Monaten über die Existenz von „Minditschs Aufnahmen“ spekuliert, die möglicherweise in seiner Wohnung im Regierungsviertel im selben Gebäude entstanden waren, in dem Selenskyj vor dem Krieg lebte. Nun scheinen sich die Gerüchte bestätigt zu haben. Brisant an der Geschichte ist unter anderem, dass die illegal erworbenen Gelder über ein Büro im Zentrum von Kiew gewaschen worden sein sollen, das der Familie des ehemaligen Abgeordneten Andrij Derkach gehört. Derkatsch lebt heute in Russland und ist Mitglied des Russischen Föderationsrates. Aus einer weiteren Aufzeichnung geht hervor, dass die Beteiligten einen Teil der Gelder nach Moskau überweisen mussten.

Im Machtsystem Selenskyjs war Minditsch lange Zeit die zweite Figur neben Andrij Jermak, dem weitaus bekannteren und einflussreicheren Chef des Präsidialamtes. Minditsch war wie Selenskyj ursprünglich in der Medienbranche tätig; Er galt als Weggefährte des in Ungnade gefallenen Oligarchen Ihor Kolomojsky – eines ehemaligen Selenskyj-Anhängers, der seit Jahren in Untersuchungshaft sitzt. Minditsch kam einst als eine Art „Aufseher“ für Kolomojskyj zu Kwartal 95. Zelensky ist nicht mehr am Unternehmen beteiligt.

Minditsch wurde zum Vordenker

Doch während Kolomoiskyj keinen Einfluss mehr auf die ukrainische Politik hat, stieg Minditsch zu einem wichtigen Vordenker auf, der offenbar direkte Anweisungen an Minister wie den ehemaligen Energie- und heutigen Justizminister Herman Halushchenko erteilte, der nach wie vor großen Einfluss auf die Energiebranche hat. Anders als Andrij Jermak konzentrierte sich Minditsch nicht auf die Innenpolitik, sondern auf Wirtschaftsfragen und vor allem auf den Energiesektor. Spannend ist auch seine angebliche Verbindung zur ukrainischen Verteidigungsindustrie.

Minditsch ist auch mit der Firma Fire Point verbunden, dem größten Auftragnehmer in der Drohnenproduktion und Entwickler der mittlerweile international bekannten Flamingo-Rakete. Im August 2025 berichtete der Kyiv Independent, dass der NABU die Aktivitäten von Fire Point aufgrund möglicherweise überhöhter Drohnenpreise und einer vermuteten Verbindung zu Minditsch prüfe. Nach Angaben des Chefdesigners von Fire Point, Denys Stilerman, hat Minditsch keinen Einfluss und ist kein Miteigentümer des Unternehmens, obwohl er Berichten zufolge Anteilseigner werden wollte. Dies wurde jedoch vom Unternehmen abgelehnt. Unabhängigen Beobachtern zufolge gelten die Drohnen von Fire Point jedoch als effektiv.

Für Wolodymyr Selenskyj ist das alles eine unangenehme Situation, zumal der gescheiterte Versuch, NABU und SAP ihrer Unabhängigkeit zu berauben, mit dem Fall Minditsch zusammenhängt. Es ist daher zu erwarten, dass Selenskyj und sein Team die Ermittlungen zumindest rhetorisch unterstützen werden. „Alle wirksamen Maßnahmen gegen Korruption sind unerlässlich. Konsequente Bestrafung ist unerlässlich“, betonte Selenskyj in seiner gestrigen Abendrede. Allerdings scheint es vorerst unwahrscheinlich, dass in den Skandal verwickelte Minister wie Haluschtschenko oder die in den Aufzeichnungen ebenfalls namentlich genannte derzeitige Energieministerin Switlana Hrintschuk bald ihre Ämter räumen müssen.

Quelle: ntv.de

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