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Sicherheitskräfte „chatten nur noch auf dem Handy“

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Die Sicherheitsanforderungen für Betreiber von Weihnachtsmärkten sind gestiegen. Ein Experte beklagt: Viele Menschen entscheiden sich für günstige Lösungen – auf Kosten der Sicherheit.

Berlin – Manchmal sind es Nuancen. Nach der Festnahme eines 22-jährigen Syrers in Berlin Anfang November, der einen Anschlag geplant haben soll, sagte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU): „Die Festnahme in Berlin zeigt einmal mehr, dass die Bedrohungslage in Deutschland durch Terrorismus abstrakt, aber immer noch hoch ist.“

Eine Formulierung, die der seit Jahrzehnten im Personenschutz und Bedrohungsmanagement tätige Sicherheitsexperte Stefan Bisanz so interpretiert: „Meiner Meinung nach bedeutet das: Man muss davon ausgehen, dass die Bedrohung etwas konkreter geworden ist“, sagte Bisanz im Interview mit dieser Redaktion. Nicht zuletzt könnten die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten auch hier die Gefahr von Anschlägen erhöhen.

Anti-Terror-Absperrungen gehören mittlerweile zum Standard auf Weihnachtsmärkten. © Heiko Rebsch/dpa

Ähnlich sieht es der Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler, Leiter des Berliner Projekts Gegenextremismus. Der radikale Islamismus ist weltweit wieder auf dem Vormarsch. In Westafrika etwa belagert die Terrorgruppe JNIM Malis Hauptstadt Bamako. Und auch der afghanische IS-Ableger „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ plant und verübt Anschläge außerhalb Afghanistans, etwa 2024 in Moskau. Im Irak und in Syrien gilt der IS militärisch als besiegt, doch: „Dort gab es in diesem Jahr mehr Anschläge als in Syrien im Jahr 2024, das ein Rekordjahr war“, sagt Schindler. „Der IS scheint auf der Erfolgsspur zu sein.“

Weihnachtsmärkte und Schutz vor Angriffen: „Mehrwert ist nur bedingt gegeben“

Die Weihnachtsmarktsaison naht in Deutschland und die ersten Märkte eröffnen bald. Klassische „weiche Ziele“, etwa für radikalisierte Einzeltäter, wie es in Sicherheitskreisen heißt. Seit den Anschlägen in Magdeburg 2016 und 2024 sowie der Messerattacke auf einem Stadtfest in Solingen im vergangenen Jahr sind die Sicherheitsanforderungen an Betreiber gestiegen. Beispielsweise müssen Zufahrtsstraßen durch Betonsteine ​​gesichert werden. „Es bleibt immer ein Restrisiko“, sagt Schindler. „Weihnachtsmärkte können und sollen keine Festungen sein.“

Sicherheitsexperte Stefan Bisanz hat Zweifel an der Wirksamkeit der Sicherheitsbemühungen. „Die weichen Ziele wurden in den letzten Jahren kaum verschärft“, sagt er. „Terroristische Absperrungen sind fast die einzige Maßnahme, die umgesetzt wird. Und die verhindert nur eine Angriffsart: ein Auto, das in eine Menschenmenge fährt.“ Motorräder konnten die Schranken jedoch weiterhin ungehindert passieren. „Die Barrieren sind teuer, aber der Mehrwert ist nur begrenzt.“

Tatsächlich streiten Betreiber und Kommunen regelmäßig über die Verteilung der Sicherheitskosten; Bisher lagen die Betreiber in der Verantwortung. In Nordrhein-Westfalen wurden Berichten zufolge die ersten Märkte wegen gestiegener Kosten komplett abgesagt. „Veranstalter von Weihnachtsmärkten wollen wirtschaftliche Erträge. Nach meiner Erfahrung haben viele die Einstellung: Es wird nichts passieren“, sagt Bisanz. Manche würden auf möglichst günstige Sicherheitslösungen setzen. „Sie beauftragen Sicherheitsdienste, deren Mitarbeiter für den Mindestlohn arbeiten.“ Nicht selten handelt es sich hierbei um kaum ausgebildetes Personal. „Wenn du Sicherheitsfachkraft werden willst, brauchst du nur eine Ausbildung bei der IHK. Das ist eine 40-Stunden-Lizenz, es gibt keine Prüfung. Dann kann dich der Unternehmer gebrauchen“, sagt Bisanz.

Auf den Märkten sehe er regelmäßig Sicherheitsleute, „die nur mit ihren Handys herumfummeln, anstatt aufzupassen“, sagt Bisanz. Er kritisiert auch die üblichen taktischen Konzepte. „Auf der Straße sind in der Regel Streifen in doppelter Uniform unterwegs, sodass potenzielle Kriminelle sofort erkennen können, wo es Lücken gibt.“ Besser wären zivile Patrouillen, die sich unter das Publikum mischen, das Geschehen im Auge behalten und teilweise mit einem Sprengstoffspürhund über den Platz laufen. „Es kann auch ein unauffälliger Dackel sein“, sagt Bisanz. Dafür bedarf es aber gut ausgebildeten Personals. Bisanz rechnet vor, dass dies die Veranstalter mit rund 33 Euro pro Stunde belastet, im Vergleich zu 25 Euro für Mindestlohnarbeiter: „Wenn es sicherer werden soll, müssen die Betreiber investieren oder die Kommunen die Kosten übernehmen.“ (Quellen: eigene Recherche, Expertengespräche, dpa)

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