
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat ein Industriestrategiepapier vorgelegt, Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat ein von der oppositionellen Union begrüßtes Wirtschaftswendepapier vorgelegt und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bereitet einen Industriepakt vor. Es gibt Krisensitzungen im Kanzleramt, hitzige Ausschusssitzungen der Parteien und Fraktionen und einen zweiten „Wirtschaftsgipfel“ bei der FDP. Auch wenn Scholz, Lindner und Habeck rote Linien ziehen, gibt es bei ihren Parteien dennoch Überschneidungen. Die Frage ist nur: Haben sie noch den guten Willen, zu regieren? Die Antwort des Koalitionsausschusses wird voraussichtlich am Mittwochabend vorliegen. Ein Überblick:
Lesen Sie danach mehr Werbung
Lesen Sie danach mehr Werbung
Die roten Linien
Rente, Sozialsystem: Die Sozialdemokraten ließen der Kanzlerin viele Freiheiten und unterstützten Entscheidungen im Interesse des Koalitionsfriedens, auch wenn dies dem linken Flügel der Partei schadete. Dazu gehören die Aufwertung und Änderungen beim Bürgergeld. Doch seit den verlorenen Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen ist diese Zurückhaltung vorbei. Parteichef Lars Klingbeil hat deutlich gemacht, dass die SPD keine von der FDP geforderten Kürzungen des vereinbarten Rentenpakets zur Stabilisierung des Rentenniveaus zulassen wird. Grundsätzlich will sich die SPD wieder stärker als Arbeiterpartei präsentieren.
Schuldenbremse: SPD und Grüne lassen nicht locker, doch Lindner hat die Schuldenbremse immer wieder für unantastbar erklärt. Auch der vieldiskutierten Lösung, die Schuldenregel durch neue Sondervermögen zu umgehen, macht er einen Riegel vor. Der FDP-Chef argumentiert mit den reformierten europäischen Fiskalregeln. Sie schränken die Staatsausgaben streng ein und bieten über die deutsche Schuldenbremse hinaus keinen weiteren finanziellen Spielraum. Daher fallen bei Lindner nur dann höhere Kosten an, wenn an anderer Stelle gespart wird.
Lesen Sie danach mehr Werbung
Lesen Sie danach mehr Werbung
Klimaschutz: Lindner stellt das deutsche Klimaziel in Frage, wonach der CO₂-Ausstoß bis 2045 auf netto Null sinken soll – fünf Jahre schneller als in der EU. Mit Blick auf den europäischen Emissionshandel nütze dies dem Klima wenig, schade aber der deutschen Wettbewerbsfähigkeit, argumentiert er. Außerdem will er Klimaschutzvorgaben wie den Termin für den Kohleausstieg und Flottenlimits für Automobilhersteller zurückziehen, die Subventionen für erneuerbare Energien streichen und den Klima- und Transformationsfonds auflösen. Dass sich ein grüner Klimaschutzminister aber auch hinter die Beschlüsse der bisherigen Unionsregierung stellt, gilt in der Öko-Partei als ausgeschlossen.
Warum die Ampel-Koalition auf der Kippe steht
Die Freude an der Zusammenarbeit ist in der Koalition längst verschwunden. Doch den Schritt hat bislang kein Partner gewagt.
Quelle: dpa
Die Kreuzungen
Bürokratie abbauen: Sie machte am Montag deutlich, wie wütend die SPD-Vorsitzende Saskia Esken auf Lindner ist. Zu ihrem wirtschaftlichen Übergangspapier sagte sie: „Ich habe dort keinen Vorschlag gefunden, der für die Umsetzung durch diese sozialdemokratisch geführte Regierung geeignet wäre.“ Ihr Co-Vorsitzender Klingbeil hatte zuvor den Bürokratieabbau erwähnt. Auch beim Lieferkettengesetz, das in der Wirtschaft heftig umstritten ist, könnte man sich einigen. Bundeskanzler Scholz sagte: „Es wird verschwinden. Dieses Jahr.“ Habeck will sogar „das Ganze wegschmeißen“. Die FDP wehrt sich seit langem gegen das Gesetz.
Energiekosten: Dass die Strompreise und Netzentgelte für deutsche Unternehmen zu hoch sind, ist einer der wenigen Punkte, die in der Ampel unumstritten sind. Kompliziert wird es, wenn es um die Frage geht, wie das Problem gelöst werden soll. Habeck hat bereits einen Industriestrompreis von 6 Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2023 ins Spiel gebracht und vorgeschlagen, energieintensiven Unternehmen die Differenz vorübergehend zu erstatten. Scholz ist nun auch zu dem Schluss gekommen, dass der Staat bei den Energiekosten noch stärker als bisher eingreifen muss. Es ist die Rede davon, dass der Bund zumindest einen Teil der Netzgebühren übernimmt.
SteuersenkungenSPIEGEL: Lindners Forderung nach einer vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags, den nur Unternehmen und Spitzenverdiener zahlen, wird von SPD und Grünen offiziell abgelehnt, doch beide Parteien wissen, dass der Solidaritätszuschlag bereits auf wackeligen Beinen steht. Eine Klage ist beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Darüber hinaus fordert Lindner für 2025 lediglich einen ersten Schritt, nämlich eine Senkung um 2,5 Punkte auf 3,0 Prozent, was 4,5 Milliarden Euro kosten würde. Auch bei der geforderten Senkung der Körperschaftsteuer von Kapitalgesellschaften um 2 Prozentpunkte auf 13 Prozent besteht hier eine Einigungsmöglichkeit, schließlich liegt Deutschland international an der Spitze, wenn es um die Belastung dieser Unternehmen geht.
Lesen Sie danach mehr Werbung
Lesen Sie danach mehr Werbung
Die Aussicht
Habeck taucht am Abend unerwartet vor den Kameras auf. „Die letzten Tage waren schlecht für Deutschland“, sagt er und warnt, dass die in der Koalition vereinbarte Wachstumsinitiative nun umgesetzt und der Haushalt „fertig“ werden müsse. Das ist machbar. Mit Blick auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine, die Wirtschaftslage in Deutschland und die US-Präsidentschaftswahl betont er, dass es „falsch“ sei, die Koalition aufzulösen. Natürlich befindet sich die Regierung in schwierigem Fahrwasser. Aber: „Dies ist der schlimmste Zeitpunkt für ein Scheitern der Regierung.“ Die Ampel steht vor der Tür. Jetzt wird klar, in welche Richtung sie den nächsten Schritt gehen wird. Habecks Appell an die Koalition: „Jeder geht einen halben Meter mehr, damit auch die anderen diesen halben Meter gehen können.“
https://www.haz.de/politik/ampel-krise-showdown-im-kanzleramt-finden-scholz-lindner-und-habeck-noch-zusammen-BJGR6ILEYZBQ5D2O3RQLUV3S6I.html