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Selenskyj ergreift Maßnahmen: Bürgermeister ausgebürgert

Odessa taz | Im vierten Jahr des russisch-ukrainischen Krieges dürfte in der Hafenstadt Odessa eine Militärverwaltung eingeführt werden. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Bürgermeister Hennadi Truchanow die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen. Damit verliert Truchanow sein Amt nach ukrainischem Recht. „Zu viele Sicherheitsprobleme in Odessa sind zu lange ungelöst geblieben“, sagte der ukrainische Präsident am Dienstagabend in einer Videobotschaft. Die Entscheidung war weder zufällig noch überraschend, da Truchanow eine abenteuerliche Biografie hat.

In den turbulenten 1990er Jahren leitete der gebürtige Odesser zunächst ein Sicherheitsdienstleistungsunternehmen. Italienische Strafverfolgungsbehörden bezeichneten ihn in einem Dokument aus dem Jahr 1998 als „mögliches Mitglied einer kriminellen Vereinigung“. Truchanow lehnte dies ab. Anschließend arbeitete der heute Sechzigjährige als Berater für Unternehmen und politische Institutionen und begann dann seine eigene politische Karriere.

Seit 2005 ist er Abgeordneter des Stadtrats von Odessa, seit 2010 Vorsitzender der Fraktion der prorussischen Partei der Regionen, die 2023 verboten wurde. 2012 zog er für diese Partei in das ukrainische Parlament ein. Seit 2014 wurde er dreimal zum Bürgermeister von Odessa gewählt, was unter anderem seinem Image als „starker Mann“, „Wirtschaftsexperte“ und „echter Offizier“ zu verdanken ist. Er verstand es, zwischen politischen Lagern zu vermitteln. Doch Truchanow gilt als einer der umstrittensten Bürgermeister der Ukraine.

Vor dem höchsten Antikorruptionsgericht der Ukraine wurden bereits zweimal Korruptionsfälle gegen ihn verhandelt. Es gab jedoch kein Ergebnis – Truchanow wurde gegen Kaution freigelassen. Nicht weniger skandalös: Als Russland 2014 die Krim und einen Teil des Donbass annektierte, war Truchanow offen pro-russisch. Er nahm an einschlägigen Demonstrationen teil und pflegte Kontakte zu inzwischen in Ungnade gefallenen prorussischen Politikern.

Schon damals hieß es, Truchanow besitze sowohl die ukrainische als auch die russische Staatsbürgerschaft. Dies ist nach ukrainischem Recht verboten. Einen offiziellen Beweis dafür gibt es bislang nicht. Erst diese Woche wurden die ukrainischen Sicherheitsbehörden fündig.

Kritik nach Überschwemmung mit zehn Toten

Zum Gesamtbild gehört jedoch auch, dass Truchanow die russische Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 nicht unterstützte und Russland als Aggressor bezeichnete. Doch nun jubeln die meisten ukrainischen Patrioten in Odessa: Ihr Erzfeind wird endlich abgesetzt. Die Zahl seiner Kritiker hat vor allem in den letzten Wochen zugenommen, nachdem heftige Regenfälle in der Stadt zu Überschwemmungen geführt hatten, bei denen zehn Menschen starben.

Allerdings warnen politische Analysten, dass es derzeit keinen Ersatz für Truchanow und sein Team gebe. Seine Anhänger hingegen glauben, dass die Vorwürfe einfach erfunden seien: Die als Beweis vorgelegten Screenshots weisen viele Ungereimtheiten auf, etwa ein unähnliches Foto und die falsche Schreibweise seines Namens.

Der in Ungnade gefallene Truchanow selbst sagte Medienvertretern, er habe nicht vor, die Ukraine zu verlassen und wolle beweisen, dass er kein russischer Staatsbürger sei. „Ich werde mich verteidigen, ich werde vor Gericht gehen, notfalls auch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte… Das ist extreme Willkür, die es nicht geben sollte“, zitierten ihn ukrainische Medien.

Aus dem Russischen übersetzt: Gaby Coldewey

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