Nachrichtenportal Deutschland

Segula steigt aus: Die Geheimnisse der legendären Teststrecke von Opel

Alles begann mit einem Missverständnis. Als der Rüsselsheimer Automobilhersteller Opel Anfang der 1960er-Jahre ankündigte, in der Region rund um seinen Hauptsitz eine Teststrecke errichten zu wollen – das Gelände rund um die Autofabrik war zu klein geworden –, bewarben sich zahlreiche Gemeinden um das lukrative Projekt. Schließlich standen nicht nur die Erlöse aus einem Immobilienverkauf in Aussicht, sondern auch 200 Arbeitsplätze für die Stadt.

Doch nur eine Handvoll Kommunen sollen die damaligen Kriterien des Unternehmens erfüllt haben, darunter auch die Stadt Dudenhofen bei Speyer. Allerdings sagen wir nun aufgrund eines Versehens der Post, dass der Brief von Opel nicht in der Pfalz, sondern in der gleichnamigen Gemeinde in Hessen im Kreis Offenbach gelandet ist. Der damalige Bürgermeister Ludwig Kratz nutzte die Gelegenheit und bot dem Automobilhersteller ein Grundstück im Wald seiner Stadt an. Den Zuschlag bekam er tatsächlich: 1964 wurde der Kaufvertrag unterzeichnet, zwei Jahre später wurde die Versuchsanlage unweit des Hauptsitzes in Rüsselsheim eröffnet.

Autowelt 1967: Männer sitzen hinter dem Lenkrad, Frauen posieren vor dem glänzenden Auto. So präsentierte Opel den neuen Commodore.Picture Alliance

Fast sechs Jahrzehnte später ist die Zukunft des Testgeländes, auf dem seitdem Hunderte von Fahrzeugen tausende Kilometer zurückgelegt haben, ungewiss: Diese Woche gab der Betreiber des Geländes, Opel-Partner Segula, bekannt, den Betrieb der Motoren- und Fahrzeugstände in Rüsselsheim und auf der Teststrecke in Rodgau-Dudenhofen mit sofortiger Wirkung einzustellen. Das Werk, das seit 2019 von den Franzosen betrieben wird, ist noch immer im Besitz von Opel. Der Autobauer gab diese Woche bekannt, dass er die Testanlage ab dem 1. November vorübergehend schließen werde. Allerdings laufen Verhandlungen mit potenziellen künftigen Betreibern.

Fast zu cool für diese Welt: Ein Opel GT fährt in den 1970er-Jahren in Dudenhofen einen Hang hinunter.
Fast zu cool für diese Welt: Ein Opel GT fährt in den 1970er-Jahren in Dudenhofen einen Hang hinunter.Picture Alliance

Bei seiner Eröffnung am 1. April 1966 war das Testgelände das modernste seiner Art in Europa. Damals demonstrierte Opel nicht nur das enorme Gelände, sondern auch ein Auto, das in den folgenden Jahren große Berühmtheit erlangen sollte: Der legendäre Opel GT, der erst zwei Jahre später auf den Markt kam, drehte am Tag seiner Einweihung seine ersten Runden auf der Rennstrecke.

Insgesamt wurden 32 Kilometer Straßen in die 260 Hektar bzw. 360 Fußballfelder große Fläche eingebettet. Beim Bau der Anlage, schrieb die firmeneigene Zeitschrift „Opel-Post“ anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Eröffnung, sei es eine besonders große Herausforderung gewesen, neue Straßen in bewusst schlechter Qualität zu bauen. Sie waren aber notwendig, um den Verschleiß der Fahrzeuge erhöhen zu können. „Das Entstehen von Unebenheiten wie Schlaglöchern, Kuppen, Senken, Wellen, Unebenheiten usw. beim Bau der Asphaltstraßen fühlte sich manchmal so an, als würden wir keinen Straßenbau betreiben, sondern abstrakte Kunst in Bitumen und Asphalt“, schrieben die Opel-Medien in einem Bericht.

Im Wald verstecktes Autoparadies: Luftaufnahme der gesamten Anlagedpa

Dass der Wald bei Dudenhofen ideal für das Testfeld war und Opel versuchte, möglichst wenige Bäume zu fällen, hatte nichts allein mit Umweltschutz zu tun. Dabei ging es wohl vor allem darum, den Blick möglicher Konkurrenten von den Autos fernzuhalten. Der damalige Darmstädter Regierungspräsident Günter Wetzel sagte bei der Eröffnung, das Gelände sei so in die Landschaft integriert worden, dass es vollständig mit ihr verschmelze. Zunächst sei man schockiert gewesen, dass ein riesiges Waldgebiet für Autotests erschlossen werde, andererseits gehe es aber auch um die Sicherheit der Fahrzeuge, argumentierte Wetzel. Und es wurden nicht so viele Bäume gefällt.

Drillinge: Drei Opel Insignia rasen 2012 über die vierspurige Opel-Teststrecke.Picture Alliance

Das Herzstück der Straßen im Wald ist ein knapp fünf Kilometer langer, beleuchteter Rundkurs, auf dem die Testfahrer auf vier Spuren querkraftfrei auf 250 km/h beschleunigen können: Die Steilkurven mit einer Neigung von 40 Grad können ohne Korrekturen am Lenkrad bewältigt werden.

Wassermärsche: Ein Opel-Rekord auf einem verregneten Streckenabschnitt im damaligen Opel-Testzentrum.dpa

Die anderen Teststrecken haben unterschiedliche Qualitäten: Auf der sogenannten Folterstrecke beispielsweise werden die Autos einer solchen Belastung ausgesetzt, dass dort in kurzer Zeit das gesamte Fahrzeugleben absolviert werden kann. Wo Querschienen, Schlaglöcher und holprige Gleise den Fahrzeugen zu schaffen machen, beschleunigen sie den Alterungsprozess: Ein gefahrener Kilometer auf diesen Straßen entspricht unter normalen Bedingungen 75 Kilometern.

Auf der Bergstrecke werden bei Anstiegen und Abfahrten mit Neigungswinkeln zwischen acht und 30 Prozent vor allem Getriebe und Bremsen überprüft, aber auch Traktionshilfen und Handbremsen. Und der sogenannte Performance-Bereich kann geflutet werden, sodass Reifen unter verschiedenen Bedingungen getestet werden können.

Seit vielen Jahren wird in das Testgelände investiert; 2012 wurden knapp 30 Millionen Euro unter anderem für eine neue Messstrecke für Vorbeifahrgeräusche freigegeben. Mittlerweile waren rund 200 Männer und Frauen im Dudenhofener Forst beschäftigt. Wie es mit dem Testzentrum und den verbliebenen 82 Mitarbeitern weitergeht, ist Stand dieser Woche unklar.

Die mobile Version verlassen