Mann, sie sehen wunderschön aus. Die Diskuswerfer in der Pose des antiken Bildhauers Myron. Die kraftvollen Kugelstoßer in ihren engen Höschen. Die Turmspringer, so gefilmt, dass unter ihnen kein Wasserbecken zu sehen ist, als würden sie ziellos in den Himmel fliegen. Und doch stimmt mit diesen Bildern etwas nicht. Wie Leni Riefenstahl die Olympischen Spiele 1936 filmte, ist ein Akt der Ausgrenzung. Die kultische Übertreibung von Gesundheit, Stärke und Wettbewerb ist eine Absage an Mitgefühl, Solidarität und Menschlichkeit. Natürlich hat die Hitler-Filmemacherin dies zeitlebens geleugnet.
Andres Veiel hat den Nachlass von Leni Riefenstahl durchforstet, insgesamt 700 Kartons. Er fand ein Labyrinth aus Halbwahrheiten und Lügen, aus Manipulation und falscher Darstellung der Geschichte. Sein fast zweistündiger Dokumentarfilm ist kein wirkliches Porträt. Biografische Daten, die Person Riefenstahl interessieren ihn nicht. Es ist eher eine Untersuchung. Veiel tut, was die Nazi-Filmemacherin erschreckend gefunden hätte: Er dekonstruiert ihren Mythos. Er zerstört das Lügengebäude, das sie den größten Teil ihres Lebens aufgebaut hat.
Anführer-Groupie
Leni Riefenstahl schrieb zehn Jahre lang ihre Memoiren, gab immer wieder Interviews, zeichnete Telefongespräche auf, archivierte Filme, Fotos und Korrespondenzen. Sie geht juristisch gegen den Vorwurf vor, sie habe mit dem NS-Regime paktiert. Im Laufe ihres Lebens führte sie mehr als 50 Prozesse wegen Verleumdung und Verleumdung. Ein einziger Kampf. Dein Kampf. Riefenstahls Geschichte unterscheidet sich nicht sonderlich von den Ausreden vieler anderer Täter und Mitläufer im Nachkriegsdeutschland. Sie tat nur ihre Pflicht. Wusste nichts über die Nazi-Verbrechen. Ja, sie hätte im Auftrag von Roosevelt oder Stalin die gleichen Filme gemacht, sagt sie in einem Interview. Generell wurde für ihre Aufnahmen nichts vorbereitet, sondern nur dokumentiert. Sie hat nicht die schönen Körper bei den Olympischen Spielen geschaffen und auch nicht die Reden gehalten, die in ihrem Reichsparteitagsfilm „Triumph des Willens“ zu sehen sind. Sie interessierte sich nicht für Politik.
Um dies zu widerlegen, bedarf es keines Kommentars. Ein einziges Foto, auf dem die Filmemacherin ihren Führer anstrahlt, während er ihre Hände in seine beiden Hände nimmt, verrät alles. Riefenstahl gibt zu, dass die Nachricht von Hitlers Tod sie „zerstört“ habe. In einer Gesprächsaufzeichnung mit ihrem Verleger erklärt sie, Hitler habe sie „wie durch Magnetismus“ gefangen genommen. Leni Riefenstahl war keine Auftragsfilmerin, sie war ein Leader-Groupie. An Hitlers Geburtstag feiert Ihr olympischer Film Premiere. Er schickt ihr Rosen. Briefe an Hitler signiert sie mit „Eure treue Leni Riefenstahl“.
Gleich zu Beginn des Krieges erhielt sie den Auftrag, den Polenfeldzug durchzuführen. Bereits in den ersten Kriegstagen (am 12. September 1939) erlebte sie die Erschießung von 20 Juden. Das Entsetzen in ihrem Gesicht über die Morde ist auf Fotos festgehalten. Andres Veiel deutet sogar an, dass ihre Regieanweisung: „Die Juden müssen weg“ die Bluttat verursacht hat. Natürlich erinnert es uns nur: „Schüsse in der Ferne.“
Im Oktober 1940 standen ihr Sinti und Roma aus dem Zwangsarbeitslager Salzburg-Maxglan als Statisten für ihr Spielfilmprojekt „Tiefland“ zur Verfügung. Viele von ihnen sind Kinder. Die meisten werden später in Auschwitz ermordet.
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis verbindet sie sich wieder mit Albert Speer, der für Millionen mörderischer Zwangsarbeit verantwortlich ist; er zählt sie zu seinen besten Freunden. In Telefonmitschnitten unterhalten sich die beiden darüber, wie sie ihren Nazi-Ruhm optimal nutzen können. Wie viel kann man mit einem Interview verdienen, jedenfalls mit Memoiren?
Veiel stößt immer wieder auf Widersprüche. Riefenstahl behauptet, Goebbels kaum gekannt zu haben und nie in seine Wohnung eingeladen worden zu sein. Wiederum berichtet sie in Notizen, wie der Propagandaminister vor ihr kniete und versuchte, sie mit Nietzsche-Versen zu verführen. Später versuchte er zweimal, sie zu vergewaltigen.
Angebrachte Erinnerungen
Diese Episoden, die Andres Veiel im Riefenstahl-Nachlass entdeckte, tauchen in den veröffentlichten Memoiren nicht auf. Diese Memoiren wurden nicht zur Berichterstattung, sondern zur Vertuschung gedruckt. Die Nazi-Filmemacherin, die nach dem Krieg keine Aufträge mehr erhielt, schnitt ihr Leben wie einst am Schnittpult. In ihrem Haus im Schwarzwald sammelt sie Erinnerungen, setzt sie zusammen, schneidet weg, schneidet immer wieder weg.
In einem Interview wurde Riefenstahl einmal gefragt, ob sie auch Menschen mit Behinderungen gefilmt habe. Nein, antwortet sie, das sei nicht ihr Thema. Sie interessiert sich für den „Meistermann“, für Helden und Gewinner. Für erhobene Hände und fanatische Massen. Mit ihren Kamerafahrten und schwungvollen Schwenks machte sie es noch größer. Es hat die Schreie nach Heilung verstärkt, die militanten Paraden pompös werden lassen und dem Bösen die größtmögliche Wirkung verliehen. Sie hat nicht nur dargestellt.
In Interviews, in denen sie mit ihrem Beitrag zum Hitler-Regime konfrontiert wird, verliert sie regelmäßig die Fassung. Sie beschwert sich, tobt, sagt, sie lasse sich nicht „vergewaltigen“, bricht ab oder kommt gar nicht ins Studio und weigert sich, überhaupt zum Holocaust befragt zu werden. Man könne nicht die Wahrheit sagen, sagt sie. Dann werdet ihr „hingerichtet“. Ihre Wahrheit ist nicht unaussprechlich, sie ist unaussprechlich. Riefenstahl ist öffentlich besorgt über die Gräueltaten der Nazis. In Telefonaten mit Freunden und Followern spricht sie offener. Es wird ein bis zwei Generationen dauern. Dann würden die Menschen zu Moral und Anstand zurückkehren, sagt eine Person. Das deutsche Volk habe dafür die Veranlagung, sagt Riefenstahl.
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