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Schüsse für Schutzgeld? Das Opfer kommt nur langsam mit der Wahrheit ans Licht

Ugur S. kann getrost als „unangenehmer“ Typ bezeichnet werden. Am Dienstag fiel der 28-Jährige auf der Anklagebank des Landgerichts Berlin vor allem mit seinen Faxen und übertriebenen Dehnübungen auf. Einmal mussten die Unteroffiziere sogar aufstehen, um nachzusehen, ob er sich nicht zum Entspannen auf die Bank gelegt hatte. S. grinste immer wieder und zwinkerte Familie und Freunden im Publikum zu, so dass der Eindruck entstand, dass ihn der Prozess um ihn herum nichts anging. Als sein Opfer Recep T. behauptete, er habe vor nichts Angst, lachte S. vielsagend. Aber ansonsten blieb er stumm.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 28-Jährigen versuchten Mord aus Arglist und schwere Körperverletzung vor. Am 30. Juni soll er versucht haben, den 40-jährigen T. auf offener Straße in Kreuzberg zu erschießen. Aufgrund einer Fehlfunktion der Waffe kam es jedoch zunächst zu keinem Schuss. Dem Geschädigten gelang daher die Flucht. S. soll die Verfolgung aufgenommen und weitere Schießversuche unternommen haben. Schließlich wurde ein Schuss abgefeuert, Recep T. wurde am Fuß getroffen und fiel zu Boden. Das Eintreffen der Polizei hinderte S. schließlich daran, einen weiteren Schuss abzugeben, und zwang ihn zur Flucht. Er sitzt jetzt in Untersuchungshaft.

Es dauerte zwei Stunden, bis das Opfer zugab, dass es um Schutzgelder erpresst worden war

Berlin erlebt derzeit eine Zunahme öffentlicher Schüsse. Sowohl Innensenatorin Iris Spranger (SPD) als auch Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel hatten vergangene Woche angekündigt, die polizeilichen Maßnahmen in der Stadt verstärken und gezielt gegen bekannte Akteure der organisierten Kriminalität vorgehen zu wollen. Der Prozess gegen Ugur S. am Dienstag machte deutlich, wie schwierig es sein kann, die tatsächlichen Motive hinter den Schüssen zu ermitteln.

Dem Vorsitzenden Richter fiel es schwer, Recep T. – schließlich Opfer eines Mordversuchs – die Hintergründe der Auseinandersetzung zu entlocken. In einer fast zweistündigen Erklärung ging seine Aussage von „Ich habe keine Ahnung, warum ich angegriffen wurde“ über persönliche Feindseligkeit bis hin zu dem, was die Staatsanwaltschaft letztendlich hören wollte: Schutzgeld. Auch wenn T. sich weigerte, es so zu nennen.

Ugur S. soll sein Opfer monatelang terrorisiert haben

S., angeblich ein Freund seines Schwagers und ehemaliger Mitarbeiter seiner Firma, habe ihn laut T. monatelang terrorisiert, sein Leben bedroht und Geld von ihm verlangt. Vor der Schießerei habe er seinen Schwager sowohl geschlagen als auch persönlich mit einem Messer angegriffen. „Sie haben hier niemanden, der Sie beschützen kann“, soll Ugur S. in Bezug auf die Frau und die Kinder seines mutmaßlichen Opfers gesagt haben.

Am Anfang ging es nur darum, kleinere Beträge zu leihen – nach freundlichem Nachfragen. Er gab ihm einmal 2.500 Euro. Allerdings verlangt S. in letzter Zeit immer höhere Beträge zwischen 10.000 und 12.000 Euro. Woher T., der Inhaber eines Paketdienstes, dieses Geld bekommen soll, blieb am Dienstag unklar.

Mehrere Mediationsgespräche vor dem Prozess

Allerdings wurde schnell klar, warum Recep T. vor Gericht so schüchtern war. Sowohl seine Familie als auch die des Angeklagten befanden sich im Raum. T. wirkte nervös und erzählte von mehreren Vermittlungsversuchen der Angehörigen von Ugur S. Sein Onkel – ein „angesehener Mann“ – soll erst am Montag darum gebeten haben, die Anzeige zurückzuziehen.

Die Frau von Recep T wiederum berichtete von deutlichen Anrufen von S.‘ Angehörige, die obszöne Gewaltandrohungen und Beleidigungen ausgesetzt waren. Am Dienstag verstrickte sie sich zudem in Widersprüche, die ihren Aussagen gegenüber der Polizei widersprachen. Das Paar machte oft den Eindruck, dass die Schüsse, Drohungen und Geldforderungen nur halb so wild waren. „In unseren Kreisen ist es normal, dass sich Leute Geld leihen“, sagte die Ehefrau des mutmaßlichen Opfers.

Während der Aussagen beobachtete Ugur S. den Raum ruhig von der Anklagebank aus. Zu den Vorgängen wollte er keine Angaben machen. Er weigerte sich auch, mit einem Experten zu sprechen. Allerdings übte er die Kommunikation durch seine Augen. Sein Bruder verstand das und gab ihm über den Unteroffizier zwei Zigaretten, die er in den Verhandlungspausen rauchen konnte. Für den Prozess sind sechs weitere Verhandlungstage vorgesehen.

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