Altkanzler Gerhard Schröder und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán treffen sich in Wien zum „Friedensgipfel“. Sie reden über Europa, die USA und Kremlchef Wladimir Putin. Beide setzen darauf, dass Donald Trump den Krieg in der Ukraine beendet.
Es ist Halloween. Als Geister und Monster verkleidete Kinder rennen durch die Straßen Wiens. Und Viktor Orbán und Gerhard Schröder treffen sich in einem Hotel zum „Friedensgipfel“ der Schweizer Zeitung „Weltwoche“. Auf dem Cover der aktuellen Ausgabe ist Donald mit seiner Frau Melania abgebildet. Auf der Rückseite befindet sich eine ganzseitige Werbung für den Uhrenhersteller Omega.
Ich habe keine Ahnung, warum die „Weltwoche“ das in Wien macht und nicht in Zürich. Auf jeden Fall ist Orbán der Ministerpräsident Ungarns. Schröder ist der dienstfreie Bundeskanzler Deutschlands. Moderiert wird das Ganze von Roger Köppel, dem nationalkonservativen Anarcho-Punk aus der Schweiz und Chefredaktor der „Weltwoche“.
Um 16.15 Uhr betreten sie, flankiert von österreichischen Polizisten in Zivil, den großen Prunksaal. Schröder hat durchdringende blaue Augen und eine blau-weiß-rote Krawatte. Er hat rot gefärbte Augen. Und sein Gesicht sieht etwas aufgepumpt aus. Orbán trägt eine neonorangefarbene Krawatte. Schröder ist 80. Orbán ist 61. Schröder ist dünner als Orbán. Im gesamten Saal – unter der Stuckdecke – liegt das Durchschnittsalter vielleicht bei 64 Jahren.
Der Abend beginnt mit einer Wohlfühlfrage
Soyeon Schröder-Kim, die Frau von Gerhard Schröder, sitzt vorne rechts in der ersten Reihe. Sie trägt einen blauen Hosenanzug und unter ihrem Stuhl liegt ein A4-Blatt mit der Aufschrift „VIP“. Sie hat mit Schröder Instagram-Stories mit Bratpfannen gemacht. Sie nennt ihn „Gerd“ und auf YouTube gibt es eine Dokumentation, in der man erkennen kann, dass sie diejenige ist, die ihn antreibt.
Roger Köppel sagt, dass auch Viktor Orbáns Frau auf der anderen Seite sitzen solle. Aber ich habe sie noch nie zuvor gesehen. Links sehe ich nur eine Frau in einem Oberteil mit Leopardenmuster. Es handelt sich vermutlich um die 84-jährige russische Millionärin Ljuba Manz-Lurje.
Es geht gemütlich los. Der hauchdünne Moderator Roger Köppel fragt Schröder: „Was verbindet Sie mit Wien?“ Schröder sagt weltoffen: „Eine der schönsten europäischen Hauptstädte.“ Köppel fragt Orbán etwas. Doch weil die Simultanübersetzung stecken bleibt, kann man Orbán zunächst nicht verstehen. Dann funktioniert die Technik und Orbán hält einen langen Monolog. „Wenn man sagt, er sei der deutsche Bundeskanzler gewesen, stehen alle auf und zollen ihm Respekt. Es gibt zwei Dinge, die er getan hat, die niemand außer ihm getan hat, vielleicht können wir später darüber reden.“ Aha.
Orbán: „Man kann Europa nicht zutrauen, Frieden zu schaffen.“
Schröder sagt, dass er Orbán irgendwann zwischen 1998 und 1999 getroffen haben muss. Orbán erinnert sich an ein Abendessen im Jahr 1999. Dann sagt Moderator Köppel: „Einige von ihnen werden sehr hart kritisiert.“ Wie gehst du damit um?“
Tatsächlich ist Gerhard Schröder in Deutschland mittlerweile geächtet. Er ist isoliert, seit Russland die Ukraine angegriffen hat. 2022 distanzierte sich Bundeskanzler Olaf Scholz von Gerhard Schröder. 2023 war Schröder nicht zum Bundesparteitag der SPD eingeladen. Im Jahr 2024 entschied ein Gericht, dass Schröder keinen Anspruch auf ein Amt im Bundestag habe. Erst kürzlich, nach dem Rücktritt von Generalsekretär Kevin Kühnert, verkündete der neue SPD-Generalsekretär Mathias Miersch in einem Interview mit dem „Stern“, er könne die Lebensleistung von Gerhard Schröder „insgesamt würdigen“. Ralf Stegner, SPD-Politiker aus Schleswig-Holstein, pflichtete Miersch bei. Der „Süddeutschen Zeitung“ sagte er, Schröder sei schon lange im Ruhestand und habe keine politische Verantwortung für die SPD. Stegner sagte über Orbán, er sei ein „Verfechter der illiberalen Demokratie“. Orbán steht in der EU wegen der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten in der Kritik. Unter anderem wurde die kostenlose Information über sexuelle Vielfalt an ungarischen Schulen deutlich eingeschränkt.
Roger Köppel stellt Orbán und Schröder immer noch Fragen zu Freiheit und europäischen Werten. Köppel trägt eine gelbe Uhr, die verdächtig nach Swatch aussieht, aber auf jeden Fall sehr teuer ist. Er fragt: „Wie groß ist die Chance, dass dieser Krieg in absehbarer Zeit endet?“ Er meint den Ukraine-Krieg, den Russland unter Bruch des Völkerrechts begonnen hat.
Der ungarische Regierungschef antwortet: „Ich folge dem, was Bundeskanzler Schröder normalerweise sagt.“ Aus zwei Gründen schätze ich Bundeskanzler Schröder besonders. Emmanuel Macron spricht heute über die strategische Unabhängigkeit Europas. Gerhard Schröder hat das vor 20 Jahren getan.“ Das macht wenig Sinn. Aber natürlich ist es nur das Deutsch, das ein Übersetzer ins Mikrofon diktiert.
Dann sagt Orbán: „Ich folge Herrn Schröder in geopolitischen Fragen immer.“ Orbán hält inne. Er sagt: „Ich bin kein Optimist. Man kann Europa nicht zutrauen, Frieden zu schaffen. Europa kann heute Krieg schaffen, aber keinen Frieden.“ Er erwähnt Waffenlieferungen. Er erwähnt Amerika, Deutschland und Frankreich. Orbán sagt, im Jahr 2022 wäre fast Frieden gekommen.
Schröder sagt, er habe auf Wunsch der Ukraine Frieden mit Putin ausgehandelt. Doch die Verhandlungen scheiterten dann. Dies kann nicht überprüft werden. Aber im Prunksaal hier in Wien klingt es natürlich gut.
Und dann plädiert Schröder für Friedensverhandlungen
Orbán hält schließlich eine Grundsatzrede. Schließlich sei Europa ein „christliches Europa“, sagt er. Bewundernd sagt er zu Russland: „Slawen sind wirklich rau. Gute Soldaten. Aber ungefähr.“ Er sagt, andere europäische Politiker hätten ihn „um Rat“ gefragt, wie der Krieg beendet werden könne. Er nennt keine Namen. Orbán sagt: „Ich möchte sie nicht der Verfolgung durch die Presse aussetzen.“ Es klingt, als wäre die Presse für Orbán kein Garant für Freiheit, sondern eine Zumutung. Ungarn hat derzeit die rotierende EU-Ratspräsidentschaft inne.
Der Applaus für Orbán und Schröder ist immer groß. Sie werden gefeiert wie Helden eines alten Europas, die vergoldet auf einem weißen Pferd über den Olymp reiten. Es ist auch interessant, was sie sagen. Orbán ist schließlich der amtierende Ministerpräsident, Schröder der ehemalige Kanzler der größten Volkswirtschaft Europas. Egal, was Sie von diesen beiden halten, ihr Wort hat Gewicht.
Schröder befürwortet Friedensverhandlungen. „Was gibt es Schöneres, als zu investieren (in Verhandlungen, Anm. d. Red.) und nicht zu wissen, ob man gewinnt oder nicht. Das Risiko ist geringer als ein Krieg mit einer Atommacht.“ Darum geht es hier nicht. Es geht um Krieg und Frieden. Atomkrieg. Bombenregen. Und die USA.
Nach einer Stunde ist klar: Die Welt gehört harten Männern. Orbán sagt: „Die Russen sprechen die Sprache der Stärke.“ Man spürt dafür eine homoerotische Bewunderung. Orbán sagt: „Wir waren unglücklich. In Amerika war Trump nicht Präsident und in Deutschland gab es einen neuen Kanzler.“ Tragen also Olaf Scholz und Joe Biden die Schuld am Ukraine-Krieg?
Viktor Orbán setzt, wie er mehrfach sagt, auf einen Sieg von Donald Trump. Er nennt Amerika das Land „jenseits des großen Wassers“. Orbán sagt: „Es besteht kein Interesse der USA daran, Waffen und Geld zu schicken.“ Er behauptet, dass die Republikaner kein „Interesse“ an der Ukraine hätten. Er sagt, wenn Trump gewinnt, werde er sich „in kürzester Zeit zusammensetzen und mit dem russischen Präsidenten verhandeln“.
Dann pure Apokalypse: „Wir sind zum Tode verurteilt.“ Die Europäische Union kann so nicht existieren.“ Es stehen viele Spekulationen im Raum. Und wenig Faktizität.
Schröder sagt, Trump sei eigentlich derjenige, der helfen wolle, die Kämpfe zu beenden. „Dass ich ihn noch einmal loben würde…“
Nach neunzig Minuten ist alles vorbei. Köppel ruft zum Applaus auf. Schröder verbeugt sich. Er und Orbán geben sich gegenseitig ein High-Five. Das Zimmer ist begeistert. Der 84-jährige Millionär feiert. Der Wiener Abend ist jung. Frieden wurde nicht geschaffen. Aber es war definitiv ein Gipfeltreffen.