Reinhard Mey erlebt eine Überraschung
55 Jahre später ist dieses Lied plötzlich ein Hit
4. November 2025 – 10:42 UhrLesezeit: 2 Minuten
Ein Lied aus dem Jahr 1970 feiert ein überraschendes Comeback. Der Auslöser für den Erfolg von Reinhard Meys „In my Garden“ liegt ausgerechnet im Hip-Hop.
Die Netflix-Dokumentation „Babo – the Arrest Warrant Story“ hat ein längst vergessenes Lied in die Gegenwart geholt. Der ursprünglich 1970 veröffentlichte Song „In My Garden“ von Reinhard Mey stieg nach der Veröffentlichung des Films in die Streaming-Charts ein. Zu hören ist es in einer zentralen Szene des Films, in der der als Haftbefehl bekannte Rapper Aykut Anhan seine persönliche Krise offenlegt.
Der Film zeichnet ein komplexes Bild des Offenbacher Musikers. Gezeigt wird nicht nur sein kometenhafter Aufstieg, sondern auch sein jahrelanger Kampf mit psychischen Problemen und Drogenabhängigkeit. In einer besonders eindringlichen Passage sitzt Anhan mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze vor der Kamera. Er scrollt auf seinem Handy und sucht nach einem Lied. Dann erklingen die ersten Töne von Reinhard Meys Gitarre.
Der Songwriter singt von einem Garten, von Verfall und Hoffnung – und der Rapper stimmt mit zittriger Stimme ein: „In meinem Garten, in meinem Garten / blühte das Rittersporn blau…“ Was folgt, ist ein Moment ungewöhnlicher Offenheit. Anhan zeigt ein Foto seiner Kinder, sagt ihre Namen – Noah und Aliyah – und nennt sich selbst „Dreck“.
Die Wirkung der Szene geht weit über den Film hinaus. Der Moment wurde in den sozialen Netzwerken weithin aufgegriffen und Benutzer posteten Beiträge mit Meys Lied. Eine Lehrerin singt das Stück im Hochzeitskleid, junge Männer analysieren den Text, andere interpretieren es mit der Gitarre – ein Boxer denkt laut darüber nach, zu dem Lied in den Ring zu steigen. Die emotionale Kraft der Szene scheint insbesondere auf ein jüngeres Publikum zu wirken, das Reinhard Mey bisher nicht auf dem Schirm hatte.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass das Lied überhaupt im Film verwendet wurde. Der mittlerweile 83-jährige Songwriter ist eher zurückhaltend, wenn es um Anfragen zur Nutzung seiner Musik geht. In diesem Fall stimmte Mey jedoch zu – offenbar bewegt von der Darstellung. Haftbefehl bedankte sich später öffentlich auf Instagram bei mir: „Es erfüllt mich heute mit noch größerer Freude, dass Reinhard Mey nach dem Ansehen der Dokumentation mich persönlich gefunden, mir geschrieben und mir damit etwas gegeben hat, das über die Zustimmung hinausgeht – eine stille, ehrliche Bestätigung: dass man den Menschen hinter dem Bild, den Künstler hinter den Schlagzeilen wirklich verstehen sollte, bevor man ein Urteil fällt.“
Seit der Veröffentlichung der Dokumentation, die bei Netflix zeitweise Platz eins erreichte, ist der Song „In My Garden“ in den Top 50 bei Spotify vertreten. Eine bemerkenswerte Entwicklung für ein Lied, das mehr als fünf Jahrzehnte alt ist. Gleichzeitig ist es auch Ausdruck des enormen Erfolgs der Netflix-Produktion, denn neben Meys Song sind auch zahlreiche Haftbefehlslieder in eben diesen Charts zu finden: Allein von den ersten 15 Titeln stammen 7 aus der Feder des Rappers.
