Russlands Mordpläne gegen Papperger zeigen Handlungsbedarf

Rheinmetall ist ein erwartetes Ziel russischer Angriffe. Auch andere Unternehmen sind betroffen. Doch nicht immer sind sie sich dieser Gefahr bewusst.

Potenziell kriegsentscheidend: ein Mitarbeiter in der Produktion von Artilleriegeschossen in einem deutschen Rheinmetall-Werk.

Potenziell kriegsentscheidend: ein Mitarbeiter in der Produktion von Artilleriegeschossen in einem deutschen Rheinmetall-Werk.

Hannibal Hanschke / EPA

Vielleicht muss Armin Papperger manchmal an Emilian Gebrew denken. Der Bulgare hat schon erlebt, was dem Chef des Rüstungskonzerns Rheinmetall möglicherweise passieren könnte: Er wurde Ziel eines von Russland inszenierten Attentats. Gebrew ist Waffenhändler und belieferte die Ukraine lange Zeit mit Munition für ihre alten Sowjetwaffen. 2015, kurz nach der russischen Besetzung des Donbass und der Krim, fiel er ins Koma.

Gebrev wurde mit einer chemischen Substanz vergiftet, die dem sowjetischen Nervengift Nowitschok ähnelt. Sie wurde offenbar unter eine Türklinke geschmiert, die der Bulgare berührte – ein ähnliches Vorgehen wie beim Attentat auf den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal, den der russische Geheimdienst 2018 in England ins Visier nahm. Zunächst bemerkte Gebrev nur ein Jucken in seinem Auge. Dann ging es schlagartig bergab. Doch Gebrev überlebte, ebenso wie Skripal.

Dem Chef droht die Krise – die Aktie bleibt stabil

Auch Papperger überlebte. Wie weit die Pläne für Anschläge auf europäische Rüstungschefs, über die CNN vor wenigen Tagen erstmals berichtete, tatsächlich gediehen waren, ist nicht bekannt. Der US-Geheimdienst tauschte Informationen mit seinen europäischen Verbündeten aus, um die Anschläge zu verhindern.

Dass Papperger ins Visier geraten ist, dürfte den 61-Jährigen nicht überraschen. Der Weg des Kremls nach Kiew führt über Rheinmetall. Vor allem westliche Waffenlieferungen halten die Front in der Ukraine stabil. Artillerie spielt im Stellungskrieg eine entscheidende Rolle.

Rheinmetall, sonst eher als Hersteller von Kampffahrzeugen bekannt, ist zum bedeutendsten europäischen Hersteller von Artilleriemunition aufgestiegen. Die Granaten sind hochprofitabel, der Düsseldorfer Rüstungskonzern investiert in neue Fabriken. Der Aktienkurs hat sich seit Kriegsbeginn mehr als verfünffacht, zwischen 2020 und 2026 könnte sich der Umsatz Analysten zufolge fast verdreifachen. In diesem Jahr soll die 10-Milliarden-Euro-Marke geknackt werden.

Armin Papperger ist seit 2013 Vorstandsvorsitzender von Rheinmetall.

Keystone

Dass Papperger nicht nur persönlich geschützt wird, sondern Rheinmetall wegen der Bedrohungslage auch in ständigem Kontakt mit der Bundesregierung steht, überrascht kaum. Dennoch ist die Überraschung in der Öffentlichkeit deutlich spürbar. Dass in Deutschland Wirtschaftsvertreter persönlich Ziel politisch motivierter Gewalt werden, kannte man schon von den Terroranschlägen der Roten Armee Fraktion (RAF) vor 50 Jahren – etwa von der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer im Jahr 1977.

Zwischen Russlands „hybridem Krieg“ gegen den Westen einerseits und dem Staatsterrorismus andererseits besteht kein großer Unterschied. Ein Ziel des Terrorismus ist es, ständige Unsicherheit und ein Gefühl der Verwundbarkeit zu erzeugen. Pappergers Ermordung hätte die Rüstungsproduktion des Konzerns nicht gestoppt, ebenso wenig wie die tödliche Schleyer-Entführung die Bundesrepublik abgeschafft hat. Der Aktienkurs von Rheinmetall reagierte nicht negativ auf die Nachricht des Anschlags.

Zwei Kriterien für die Risikoanalyse

Die erhoffte Botschaft: Russland kann Papperger mit seinen Raketen nicht erreichen, wohl aber mit seinen Agenten – und damit auch mit anderen Managern oder Ingenieuren eines kriegsnahen Unternehmens. Wenn dieses Gefühl der unmittelbaren Bedrohung im Zielland den Streit um die Unterstützung der Ukraine anheizt, kann das Moskau nur nützen. Ein Streit, den ironischerweise nur eine offene Gesellschaft zulässt, nicht die repressive russische.

Für manche europäischen Unternehmen ist ein auf Risikoanalysen basierender persönlicher Schutz wichtiger Mitarbeiter und ihrer Familien unerlässlich. Die beiden Kriterien lauten: Gibt es kriegsbedingte Bezüge zur Ukraine – oder gibt es Bezüge zur nationalen Sicherheit des eigenen Landes? Beides kann ein Unternehmen zur Zielscheibe machen.

Die Pflicht zur Risikobeurteilung gilt auch für die Schweiz und ihre Unternehmen: Die vielbeschworene Neutralität ist kein Grund, auf diese Analyse zu verzichten. Definitionen von Neutralität und die Frage, welche völkerrechtlichen Kriterien die Schweiz erfüllt, um diese Neutralität zu erfüllen, interessieren Russland nicht. Der Kreml hat bereits erklärt, dass er die Schweiz nicht als neutral betrachtet.

Eine Risikoabwägung ist übrigens auch unabhängig von Kriegen notwendig: Um seine Sicherheit zu erhöhen, erhielt Larry Fink, Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, im vergangenen Jahr über 500.000 Dollar, um sein eigenes Haus zu modernisieren. Blackrock wird von rechten Kreisen wegen einer an Nachhaltigkeitszielen ausgerichteten Anlagepolitik kritisiert. Disney gab 1,2 Millionen Dollar für den Personenschutz von CEO Bob Iger aus, berichtete die Financial Times. Iger wird wegen „woke“ Programmentscheidungen angegriffen.

Infrastruktur ist entscheidend – auch virtuell

Emilian Gebrew beklagte die schleppenden Ermittlungen der bulgarischen Behörden.

Reuters

Der Personenschutz ist vielleicht die offensichtlichste, aber nicht die gravierendste Herausforderung. Diese liegt im Schutz des Eigentums. Zunächst die unmittelbare: Im vergangenen Jahr gingen in Bulgarien Munitionsdepots des Magnaten Gebrev in Flammen auf – unmittelbar nachdem das Land angekündigt hatte, sich an der Belieferung der Ukraine zu beteiligen. Seit 2011 kam es dort zu mindestens neun Explosionen in Rüstungsanlagen, die mit dem russischen Auslandsgeheimdienst GRU in Verbindung stehen.

In Berlin zerstörte im Frühjahr ein Brand ein Werk des Rüstungskonzerns Diehl. Das Unternehmen produziert das Flugabwehrsystem Iris-T, das auch in die Ukraine geliefert wurde. Das oben erwähnte Diehl-Werk war allerdings nicht in der Rüstungsproduktion tätig, sondern stellte Metallkomponenten für die Automobilindustrie her (ein zweites Standbein, wie Rheinmetall).

Offiziell nennt Diehl einen technischen Defekt als Brandursache; Medien berichten allerdings von Geheimdienstberichten, die auf russische Täter hinweisen. Wie so oft könnten die Gründe vielfältig sein: gezieltes Schüren von Unsicherheit, eine Verwechslung des Standortes durch den russischen Geheimdienst oder unerfahrene Handlanger, deren Einsatz die Spur nach Russland verwischen soll.

Mindestens ebenso wichtig ist der Schutz des virtuellen Raums. Auch hier sind Unternehmen gefordert, denn im hybriden Krieg kann die kritische Infrastruktur eines Landes zum Angriffsziel werden – und diese wird von Unternehmen unterhalten. Die Steuerung etwa von Kraftwerken, Stromnetzen, Telekommunikation und Mobilfunk sowie der Eisenbahn kann aus dem digitalen Raum sabotiert werden.

Die IRA darf nicht Recht haben

Es findet ein Wettlauf gegen Hacker aller Art statt – seien sie krimineller oder staatlicher Natur. Zu Beginn des Krieges sei es entscheidend gewesen, die Infrastrukturdaten und -programme der Ukraine in die sichereren Cloudsysteme westlicher Anbieter zu verlagern, heißt es in einem Bericht der Denkfabrik Atlantic Council vom Herbst 2023. Die Experten kritisieren, dass selbst die USA nicht über die nötigen Kooperationsmechanismen zwischen Staat und Wirtschaft verfügten, um den Privatsektor in Kriegszeiten vor Angriffen zu schützen.

Ein solches Risikobewusstsein sollte auch in der Schweiz vorherrschen. Denn um eine Gesellschaft zu schockieren, braucht es nicht unbedingt ein Missmanagement der kritischen Infrastruktur – etwa einen Zugunfall aufgrund einer Manipulation des Leitstellensystems in der Cloud. Derart drastische Eingriffe werden durch weitere Barrieren erschwert. Um einen Schock auszulösen, reicht es, die sicherheitsrelevante Abschaltung des Systems zu erreichen: Wenn landesweit alle Züge eine Stunde lang stillstehen, ist das ein starkes Signal.

Das Ziel der Unternehmen muss es sein, durch ihre Weitsicht und Kooperation zu verhindern, dass die irische Terrorgruppe IRA Recht behält. Nach dem gescheiterten Bombenanschlag auf Margaret Thatcher im Jahr 1984 sagte die IRA dem britischen Premierminister: „Wir müssen nur einmal Glück haben. Man muss immer Glück haben.“

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