Russlands Wirtschaft steht unter Druck: Reservisten werden im Ukraine-Krieg kritische Infrastruktur verteidigen – Selenskyjs Drohnen richteten verheerende Schäden an.
Moskau – Die ukrainischen Drohnenangriffe auf russische Raffinerien zwingen den Kreml-Chef zum Handeln: Nach den massiven Rekrutierungswellen der vergangenen Monate startet Wladimir Putin eine neue Taktik zum Schutz der russischen Wirtschaft.
Der Institut für Kriegsforschung (ISW) fasst die neue Rekrutierungsstrategie im Ukraine-Krieg zusammen: Reservisten werden mit finanziellen Anreizen und dem Versprechen, nur im Heimatland eingesetzt zu werden, zum Schutz der Raffinerien gelockt. Experten warnen jedoch: Der vermeintlich ruhige Dienst im russischen Hinterland dient nur dazu, die Voraussetzungen für eine spätere Mobilisierung an die Front zu schaffen.
Putins neue Taktik im Ukraine-Krieg: Reservisten im Fokus
Die russische Staatsduma hat kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das es den russischen Behörden ermöglicht, Mitglieder der aktiven Reserve Russlands zum Schutz kritischer Infrastruktur in Russland zu rekrutieren. Der Kreml scheint diese Pläne nun in die Tat umzusetzen. Das Oppositionsmedium Astra berichtete am 29. Oktober, dass die Behörden im Oblast Jaroslawl bereits offene Stellen ausgeschrieben hätten. Dort sollen Reservisten in mobilen Feuerwehrteams die Ölraffinerie Jaroslawl vor Drohnenangriffen schützen.
Um Rekruten für diese Aufgabe zu gewinnen, setzt Putin klare finanzielle Anreize: Während der reguläre Reservistendienst nur 3.000 Rubel (ca. 32 Euro) einbringt, werden für die Teilnahme an der Ausbildung 40.000 Rubel (ca. 428 Euro) vergütet. Besonders lukrativ: Für den Service in einer Raffinerie werden zusätzlich 50.000 Rubel (ca. 535 Euro) bezahlt. Zum Vergleich: Der durchschnittliche russische Monatslohn lag im Mai 2025 bei 103.183 Rubel (rund 1.105 Euro).
Der Präsident der Republik Karelien, Artur Parfenchikov, berichtete lautstark ISWDie Republik arbeitet daran, aus zurückkehrenden Wehrpflichtigen „Freiwilligentrupps“ zu bilden. Brisant: Diese Truppen sollen zusammen mit Grenzschutzbeamten entlang der Grenze zum Nato-Mitglied Finnland eingesetzt werden.
Russlands Doppelstrategie: Schutz und Mobilisierung vor Selenskyjs Drohnen
Der Einsatz umfasst eine 15-tägige Schulung, gefolgt von einem 45-tägigen Einsatz. In der Anzeige heißt es, dass die Reservisten nicht zum Kampf in die Ukraine geschickt werden. Damit wiederholt die Regierung eine bekannte Rekrutierungstaktik, bei der beispielsweise ein „ruhiger Dienst“ versprochen wurde.
Bereits am 24. Oktober berichtete der Militärkommissar der Region Nischni Nowgorod, Sergej Agafonow, dass eine Einheit der russischen Combat Army Reserve (BARS) für die Verteidigung lokaler Fabriken gegen Drohnenangriffe ausgebildet werde. Agafonow betont: Die Reservisten werden nicht in die Ukraine geschickt, sondern nur an der Heimatfront eingesetzt. Dies berichtete auch ein russischer Militärblogger ISWdass die Behörden in der Region Tambow Reservisten rekrutieren, um kritische Infrastrukturen vor möglichen Drohnenangriffen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu schützen.
Das US-Institut ISW wertet die lokalen Maßnahmen als Doppelstrategie des Kremls: Einerseits werde die Verteidigung der kritischen Infrastruktur im Hinterland gestärkt. Andererseits schafft der Einsatz aktiver Reservisten auch die Voraussetzungen für deren spätere Mobilisierung für künftige Kampfeinsätze – auch in der Ukraine.
„Sicherer Dienst“: Lockmittel für russische Reservisten
Die russische Strategie ist nicht neu: Bereits Anfang Oktober häuften sich Berichte über die neue Rhetorik von Putins Rekrutierungsbemühungen. Statt hoher Prämien wurde in der Werbung nun vor allem versprochen, dass ein Fronteinsatz nicht nötig sei. „Die neue Kampagne stützt sich zunehmend auf irreführende Versprechungen von ‚sicheren‘ oder umgekehrten Positionen – Positionen, die kein einzelner Werbetreibender tatsächlich garantieren kann“, sagte Sviatoslav Hnizdovskyi, CEO von OpenMinds Newsweek.
Das ukrainische Unternehmen OpenMinds (spezialisiert auf kognitive Verteidigungstechnologien) untersuchte den massiven Anstieg von Anzeigen für russische Soldaten in sozialen Medien. Das Ergebnis: Im ersten Halbjahr 2025 stieg die Zahl der Werbeaktivitäten, insbesondere im VK-Netzwerk, im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent. Die Werbeaktivitäten auf VK zeigten zwei Höhepunkte: Der erste fand im September 2024 nach der ukrainischen Gegenoffensive in der Region Kursk statt, als sich die Registrierungsprämien mehr als verdoppelten. Der zweite Höhepunkt erfolgte im Februar 2025 vor dem Hintergrund der Friedensverhandlungen, da viele auf Auszahlungen und ein mögliches Kriegsende hofften.
In den Anzeigen wurden Militärverträge für Positionen beworben, die als „sicherer“ dargestellt wurden. 20 Prozent der Anzeigen enthalten häufig Begriffe wie „Keine Angriffseinheiten“, „Rückwärtige Einheiten“, „Ruhedienst“, „Leichteinsatz“ und „Keine Frontlinie“. OpenMinds analysierte, dass das Ziel darin besteht, die Russen zur Unterzeichnung zu bewegen, indem das Risiko eines Krieges heruntergespielt wird. Dieses Vorgehen wäre auch eine Entlastung für Russlands Wirtschaft. Dieses leidet unter Sanktionen, hoher Inflation und stagnierendem Wachstum.
Putins „verdeckte Mobilisierung“: Quantität statt Qualität im Ukraine-Krieg
Der Kiewer Post befasste sich auch mit den irreführenden Versprechungen Moskaus, das zunehmend über soziale Medien nach Fahrern sucht. Die Zeitung sieht darin eine Falle: Die ausgeschriebenen vermeintlich sicheren Aufgaben dienen lediglich als Köder, um Rekruten in Sicherheit zu wiegen. Das eigentliche Ziel besteht darin, die Männer später an die Front zu verlegen.
Russlands zentrale Strategie zur Wiederauffüllung der eigenen Reihen ist die Rekrutierung sogenannter „Kontaktniki“ (Vertragssoldaten): Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bezeichnet dies als verdeckte Mobilisierung. Sie erklärt: „Anders als bei der Militärreform von 2008 zielt die Rekrutierung von ‚Kontaktniki‘ seit 2022 nicht mehr in erster Linie auf eine qualitative Professionalisierung der Streitkräfte ab, sondern darum, möglichst schnell möglichst viele Soldaten für die Front zu rekrutieren.“
Diese Strategie basiert auf der Berechnung, dass der Ersatz von Verlusten durch „verdeckte Mobilisierung“ weitaus weniger Proteste hervorrufen wird als eine offizielle. Klein betont: „Schließlich handelt es sich formal um Freiwillige, auch wenn sie oft unter Ausnutzung von Machtverhältnissen, durch Täuschung und Zwang rekrutiert werden.“
Seit Juli 2025: Putin kann mehr Soldaten rekrutieren als die Bundeswehr insgesamt
Anfang Oktober erschien ein Bericht von… ISW Für Aufregung: Unter Berufung auf eine russische Quelle gab das Institut an, dass das russische Verteidigungsministerium seit Juli 2025 rund 292.000 Menschen einstellen konnte. Zum Vergleich: Die Bundeswehr hat derzeit rund 260.000 Angehörige – aber nur 182.984 in Uniform und 80.602 Zivilisten.
Das russische Militär rekrutiert zweimal im Jahr Wehrpflichtige, die eine Ausbildung absolvieren und in der Regel ein Jahr dienen. Nach ihrer Ausbildung und ihrem Dienst werden Wehrpflichtige Teil der russischen inaktiven Reserve (auch bekannt als „Zapas“). (Quellen: ISW, Astra, Newsweek, SWP, Kiewer Postdpa, AFP, vorherige Berichterstattung) (kox)
