Trotz internationaler Verurteilung setzt Russland in der Ukraine Giftgas ein. Ukrainische Experten konnten bislang keine neue Chemiewaffe identifizieren.
Russland soll allein in diesem Jahr mehr als 4.000 Mal Gas gegen die Ukraine eingesetzt haben, doch eine neue Waffe gibt der Ukraine Rätsel auf. Nach ukrainischen Angaben wurden in der Vergangenheit überwiegend tränengashaltige Granaten eingesetzt. Der Einsatz chemischer Waffen gilt als Kriegsverbrechen – darunter auch die Verbindung Chlorbenzylidenmalonitril, die die Russen vermutlich einsetzen.
Mittlerweile ist Tränengas in der Ukraine eine ziemlich bekannte Größe – verletzte Soldaten und Zivilisten können schnell und effektiv behandelt werden. Doch nun setzt Russland offenbar ein neues, der Ukraine bisher unbekanntes Gas ein, das ähnliche Symptome hervorruft wie klassisches Tränengas. Kiew steht vor einem Rätsel, wie der „Kyiv Independent“ berichtet.
Es seien zahlreiche weitere russische Chemiewaffen identifiziert worden, erklärt der ukrainische Oberst Artem Vlasiuk, ein Experte für Chemiewaffen. Doch in diesem Fall ist es anders: Nur 15 der 323 Angriffe im Oktober konnten auf ein oder mehrere Gase zurückgeführt werden – bei den restlichen 308 ist die Situation unklar.
Es wird erwartet, dass Russland den neuen Wirkstoff vor allem in der russischen Region Kursk einsetzen wird, wo ukrainische Truppen Moskau seit Monaten Probleme bereiten. Dort litten kürzlich mehrere Soldaten unter Symptomen eines Giftgasangriffs, ohne dass ukrainische Systeme dieses Gas erkannten. Der „Kyiv Independent“ schreibt von 2.100 verletzten ukrainischen Soldaten bei Gasangriffen, erklärt aber nicht, wie lange dieser Zeitraum gedauert hat.
Die Idee hinter den Chemieangriffen ist ohnehin eine andere – egal, ob es sich um konventionelle Tränengasgranaten handelt oder um die neue, unbekannte Variante: Russische Drohnen werfen Granaten mit Giftgas in die ukrainischen Schützengräben, nicht um sie dort zu töten, sondern um sie zu vertreiben ins freie Feld. Dort sind Ukrainer eine leichte Beute für russische Drohnenangriffe.
Eigentlich sei es nicht schwer, das Gas zu identifizieren, sagt Vlasiuk. Doch in der Ukraine fehlte die entsprechende Ausrüstung, die pro Stück einen Preis im sechsstelligen Dollarbereich haben würde und eine zusätzliche Ausbildung durch Spezialisten erfordern würde. Ohne diese Geräte wäre es für die Ukrainer schwierig, den Einsatz chemischer Waffen durch die Russen nachzuweisen – insbesondere gegenüber internationalen Partnern. Auch die Behandlung der Symptome ist ohne dieses Wissen eine Herausforderung.
Dass Russland seit langem Chemiewaffen gegen die Ukraine einsetzt, ist auch im Westen kein Geheimnis: Unter anderem die USA und das Vereinigte Königreich haben Sanktionen gegen eine Reihe russischer Unternehmen und Forschungslabore verhängt. Der britische Chemiewaffenexperte Hamish de Bretton-Gordon schätzt, dass fast jeder dritte ukrainische Soldat bereits Opfer russischer Gasangriffe geworden ist.
Nach ukrainischen Angaben setzt Russland derzeit etwas weniger Chemiewaffen ein als zuletzt, produziert aber wieder verstärkt RG-Vo-Gasgranaten – mit unbekanntem Inhalt.
