Russland-Sanktionen – Schattenflotte umgeht Öl-Embargo

Russland-Sanktionen – Schattenflotte umgeht Öl-Embargo


exklusiv

Stand: 24.09.2024 05:00 Uhr

Mehr als ein Dutzend Schiffe liefern trotz des Verbots russisches Rohöl direkt in europäische Häfen. Das zeigen Untersuchungen von Reportage MainzUmweltschützer warnen vor einer Ölpest in der Ostsee.

Von Nick Schader und Daniel Hoh, SWR

Nina Noelle sitzt in einem orangefarbenen Schlauchboot, das in der Ostsee treibt, rund 20 Kilometer vor der Küste der Halbinsel Darß. In der Hand hält sie eine etwa 50 Zentimeter breite Boje, die mit einer kleinen Flagge und einem GPS-Ortungsgerät ausgestattet ist. Langsam lässt sie die Boje in der Ostsee zu Wasser, weitere folgen ihr. Die Aktivistin der Umweltorganisation Greenpeace will herausfinden, in welche Richtung sich ein möglicher Ölteppich ausbreiten würde.

Laut Greenpeace steigt die Gefahr einer Ölkatastrophe in der Ostsee – vor allem, weil immer mehr Tanker mit russischem Rohöl durch die sogenannte Kadetrinne fahren. Diese Schifffahrtsstraße ist schmal und stark befahren und gilt deshalb als besonders gefährlich. Sie verläuft wenige Kilometer vor der deutschen Küste, von der Halbinsel Darß im Osten bis nach Fehmarn im Westen.

„Wir sind heute hier, um mit diesen Sendern zu sehen, welche Folgen und Auswirkungen ein Unfall hier in der Kadetrinne auf das Ökosystem in der Ostsee hätte“, erklärt Noelle. „Wohin würde sich das Öl verteilen, an welche Strände würde es gespült werden? Und wie stark wäre das Naturschutzgebiet, in dem wir uns gerade befinden, betroffen.“ Die Ergebnisse liegen wenige Tage später vor. Demnach wären von einem Ölunfall in der Kadetrinne vor allem Küstengebiete von Fehmarn bis Eckernförde betroffen.

Russland greift auf Schattenflotte zurück

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs fahren immer häufiger Tanker mit russischem Rohöl an Bord durch die Ostsee. Sie sind Teil der sogenannten Schattenflotte. Das sind Schiffe, die Russland beim Rohölexport helfen – teilweise illegal, indem sie EU-Sanktionen umgehen. Denn Russland kann seine eigenen Schiffe nicht mehr so ​​einfach einsetzen. Also greift es auf dubiose Tanker aus exotischen Ländern zurück, deren Eigentümer oft im Verborgenen bleiben.

Auch Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt ist besorgt über die vielen Tanker in der Ostsee. Doch als Landesminister kann er gegen die gefährliche Flotte nicht viel tun: „Letztendlich ist es Aufgabe der Nationalstaaten, Einfluss darauf zu nehmen, was in der Ostsee und in internationalen Gewässern passiert. Als Umweltminister ist es meine Hauptaufgabe, mögliche Ölunfälle zu bekämpfen und Vorsorge zu treffen.“

Immer mehr Öltanker in der Ostsee

Einer aktuellen Datenauswertung von Greenpeace zufolge passierten im vergangenen Jahr fast 1000 Öltanker die Ostsee – so viele wie nie zuvor. Für ihre Analyse nutzte die Umweltorganisation eigenen Angaben zufolge Daten der britischen Lloyd’s List Intelligence. Das Unternehmen gilt als Spezialist für die Überwachung und Analyse des internationalen Schiffsverkehrs.

Den Daten zufolge wurden in den ersten sieben Monaten des Jahres 2024 539 Tanker registriert, im gleichen Zeitraum 2021 waren es 290. Dass dort auch vermehrt alte Schiffe unterwegs sind, sei auch verständlich.

Öltanker verstoßen gegen EU-Sanktionen

Ein Teil der Flotte verstößt gegen bestehende EU-Sanktionen, wie Untersuchungen von Reportage Mainz Einige Schiffe, die mutmaßlich russisches Rohöl geladen hatten und aus russischen Ostseehäfen ausgelaufen waren, steuerten GPS-Daten zufolge gezielt Häfen in der EU an, um das Rohöl dort abzupumpen.

Die Tatsache, dass Tanker mit russischem Öl seit mehreren Wochen direkt Häfen in der EU ansteuern, könnte Reportage Mainz mehrfach dokumentiert. Dies verstößt gegen geltende EU-Sanktionen: Seit März 2023 sind russische Rohöltransporte per Schiff in die EU verboten. An den Transporten waren vor allem Schiffe griechischer Reedereien beteiligt, deren Schiffe teilweise zur Schattenflotte gezählt werden.

Reportage Mainz konnte etwa den Tanker „Calida“ im Ölhafen Augusta wenden. Er war am 23. August 2024 im russischen Ust-Luga in der Ostsee gestartet und am 11. September 2024 im italienischen Augusta angekommen. Satellitendaten zufolge hatte er nach seinem Zwischenstopp in Augusta 5,8 Meter weniger Tiefgang – ein Beleg dafür, dass er ganz oder teilweise leergepumpt worden war.

Besuchte europäische Häfen

Mithilfe von Satellitendaten konnten Reporter seit Juli 2024 rund 15 Tanker beobachten, die von den russischen Ostseehäfen Primorsk, Ust Luga und dem Ölhafen Noworossijsk im Schwarzen Meer direkt europäische Häfen ansteuerten.

Der Tiefgang zeigte, dass die Schiffe die russischen Ölhäfen voll mit Öl und schwer beladen verließen. Nach der Ankunft in den Zielhäfen verringerte sich der Tiefgang dieser Tanker ebenfalls um mehrere Meter. Die Schiffe sind rund 250 Meter lang und können jeweils mehr als 150 Millionen Liter Rohöl transportieren.

EU-Kommission sieht Verantwortung für Mitgliedstaaten

Im Visier waren vor allem italienische Häfen wie Triest und Augusta, vereinzelt auch Häfen in Kroatien, Frankreich und Spanien, wie die Recherchen ergaben. Die EU-Kommission wollte sich auf Anfrage nicht zu möglichen Sanktionsverstößen der beobachteten Reedereien und Tanker äußern und erklärte, die Überwachung der EU-Sanktionen liege in der Verantwortung der Mitgliedsstaaten. Die zuständige italienische Zollbehörde ließ mehrere Anfragen zu den Schiffsbeobachtungen unbeantwortet.

Auch die griechische Reederei TMS Tankers Ltd., deren Schiffe an mehreren Transporten russischen Rohöls beteiligt waren, ließ eine Anfrage zu möglichen Sanktionsverstößen unbeantwortet. Die Reederei war in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen des Transports russischen Öls in die Kritik geraten, unter anderem von ukrainischen Sanktionsexperten.

Bundesregierung will weitere Öltanker sanktionieren

Ende Juni hatten die EU-Staaten in ihrem 14. Sanktionspaket gegen Russland erstmals Sanktionen gegen einzelne Öltanker beschlossen. Auf Ersuchen von Reportage Mainz Das Auswärtige Amt teilt mit, dass künftig weitere Schiffe auf die Sanktionsliste gesetzt werden sollen. Dazu befinde sich das Ministerium derzeit in enger Abstimmung mit den G7- und EU-Partnern. Dem Ministerium liegen Informationen über mögliche Verstöße gegen Importbeschränkungen für russisches Rohöl und Rohölprodukte vor.

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