Renten sollen dazu dienen, Menschen im Alter abzusichern. Doch immer mehr Senioren in Deutschland beziehen Sozialhilfe. Rentenexperte Johannes Geyer erklärt, warum das so ist und was die Politik jetzt tun sollte.
35, 40 oder sogar 45 Jahre gearbeitet und am Ende reicht die Rente nicht aus, um sich einen ruhigen Ruhestand zu leisten. Viele Rentner sind daher auf die Beantragung von Sozialhilfe angewiesen, um über die Runden zu kommen. Und die Situation könnte noch schlimmer werden.
Die Lebenserwartung steigt, die große Gruppe der Babyboomer geht in den Ruhestand und es kommen immer weniger Beitragszahler nach. Der Generationenvertrag – die Jungen zahlen für die Alten – gerät zunehmend auf die Probe. Es ist höchste Zeit für die Politik, zu handeln. Vieles hat man schon gesehen, anderes ist zu lange liegen geblieben. Rentenexperte Johannes Geyer vom Deutschen Institut Das Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erklärt, wo die größten Baustellen liegen und ob Deutschland wirklich von einer Verarmungswelle im Rentenalter bedroht ist.
Laut einer Anfrage des BSW im Bundestag zusätzlich zu ihrer Rente Sozialhilfe betreffen. Was stimmt mit unserem nicht? Rentensystem, Herr Dr. Geyer?
Dr. Johannes Geyer: Ich kenne auch die Anfrage des BSW und die Situation ist nicht so einfach, wie der BSW es darstellt.

© DIW
Wie kommts?
Die Zahl wird durch zwei besondere Faktoren bestimmt, die normalerweise nicht zur Altersarmut gezählt werden. Da sind zum einen die Flüchtlinge aus der Ukraine. Von dort kommen auch ältere Menschen zu uns und erhalten dann Grundsicherung. Die Grundrente hingegen wurde 2021 beschlossen und 2022 ausgerollt. Dadurch erhalten mehr Menschen Grundsicherungsleistungen, weil sie von einem neuen Rentenfreibetrag profitieren. Diese sind nun zusätzliche Grundsicherungsempfänger, ihr Einkommen ist jedoch gestiegen.
Gibt es dann nicht so viele arme Rentner?
Der Anteil der Menschen, die im Alter Grundsicherung beziehen, ist in den letzten Jahren nicht oder kaum gestiegen. Noch liegt die Quote der Rentenbezüger bei unter drei Prozent.
„Mehr als die Hälfte der Berechtigten macht ihre Ansprüche nicht geltend.“
Und diese Zahl hat sich in letzter Zeit nicht geändert?
Es ist seit langem gestiegen, aber wir haben jetzt seit ein paar Jahren ein Plateau erreicht.
Wie ist das passiert?
Verschiedene Rentenreformen haben dazu beigetragen, der Altersarmut entgegenzuwirken: zum Beispiel die Mütterrente für Frauen. Auch die Invalidenrente wurde verbessert. Diese Menschen sind einem hohen Armutsrisiko ausgesetzt. Hier haben wir den höchsten Anteil armer Rentner. Darüber hinaus kam es über einen relativ langen Zeitraum zu hohen Rentenanpassungen.
Es gibt aber auch Menschen, die keine Grundsicherung erhalten, weil sie aus irgendeinem Grund nicht zur Arbeit gehen. Das DIW schätzt, dass mehr als die Hälfte der Anspruchsberechtigten ihre Ansprüche nicht geltend macht. Aber selbst dann läge die Quote nur bei etwa sechs Prozent.
Die Bitte von BSW und der damit einhergehende Vorwurf des Scheiterns der Ampelregierung nur politischer Scherz ist?
Ja. Ich verstehe, dass Sie damit Aufmerksamkeit erregen wollen, aber der BSW sollte es besser wissen und ich finde es schwierig, mit Altersarmut Stimmung zu machen, weil es eher verunsichert als aufklärt.
In Kreisen der Union und der FDP Es ist immer die Rede davon, das Renteneintrittsalter auf 70 zu erhöhen. Würde das dem Rentensystem helfen?
Die Anhebung des Renteneintrittsalters in das Parteiprogramm aufzunehmen, stößt auf wenig Zuspruch. Man redet lieber über eine Flexibilisierung des Ruhestands oder verwendet andere nette Phrasen. Wenn Menschen länger arbeiten, entlastet das natürlich das Rentensystem. Der Rentenbezugszeitraum verkürzt sich und es zahlen mehr Menschen ein. Das ist aber nicht in jedem Beruf möglich.
„Wir machen es den Menschen schon jetzt sehr einfach, auch im Alter weiter zu arbeiten.“
Immer wieder ist von Anreizen die Rede, die Menschen zu einem längeren Erwerbsleben animieren sollen, etwa höhere Renten oder Steuervorteile. Halten Sie das für sinnvoll?
Ich bin bei so etwas eher skeptisch. Solche Anreize kosten Geld und werden auch von Menschen genutzt, die ohnehin länger gearbeitet hätten. Sie können auch einen Anreiz für eine vorzeitige Pensionierung darstellen.
Wie meinst du das?
Wir machen es den Menschen schon jetzt sehr einfach, auch im Alter weiter zu arbeiten. Beziehen sie beispielsweise eine vorgezogene Altersrente, können sie ohne Abzüge einfach weiterarbeiten. Sie erhalten also gleichzeitig Rente und Gehalt.
Haben Sie einen besseren Vorschlag?
Anreize, über die Altersgrenze hinaus zu arbeiten – zum Beispiel höhere Prämien. Sie können auch die Abzüge für den Vorruhestand erhöhen, wie es Österreich getan hat. Der größte Effekt wäre jedoch eine Anhebung des Rentenalters, was unpopulär ist.
In Schweden Mit steigender Lebenserwartung steigt auch das Rentenalter. Wäre das etwas? Deutschland?
Im schwedischen System gibt es einen Faktor, bei dem die Lebenserwartung maßgeblich dafür ist, wann Sie ohne Abzüge in den Ruhestand gehen können. Das bedeutet, dass das Risiko der Langlebigkeit sehr stark auf den einzelnen Versicherten abgewälzt wird. Doch in Schweden sind die sozialen Unterschiede nicht so groß wie in Deutschland. Nicht viele Menschen hier können es sich leisten, vorzeitig in Rente zu gehen. Und auch die Rabatte für den Vorruhestand sind in Schweden höher.
Frauen kommen häufiger vor Armut im Alter betroffen als Männer. Was muss sich hier ändern?
Der beste Weg, Altersarmut zu bekämpfen, ist eine stabile Erwerbskarriere. Frauen sind hier im Nachteil, weil sie oft Teilzeit arbeiten oder sich um die Kinder kümmern und auf den beruflichen Aufstieg verzichten. Kinderbetreuung ist hier ein wichtiger Faktor, aber auch ein Problem, da der Mangel an Fachkräften einen Ausbau dieser verhindert.
„Es ist eine große Sache, aber man könnte darüber nachdenken, nicht so viele Berufe zum Beamten zu machen.“
Die demografische Entwicklung zeigt, dass es immer weniger Beitragszahler geben wird und die Zahl der Rentenempfänger aufgrund der Babyboomer weiter steigen wird. Was muss jetzt getan werden, damit die Rentenbeiträge nicht ins Unermessliche steigen?
Das DIW geht davon aus, dass die Beitragssätze bis Ende der 1930er-Jahre auf über 22 Prozent steigen werden (derzeit liegt sie bei 18,6 Prozent) und wir eine rasch alternde Gesellschaft haben. Daher muss zunächst jedem klar sein, dass das Altern auch etwas kostet, wenn wir unseren Lebensstandard auch nur halbwegs halten wollen. Doch zunächst muss Konsens darüber herrschen, dass die Quote nicht bei 18,6 Prozent bleiben wird.
Anschließend muss ein Konsens darüber gefunden werden, welche Maßnahmen zur Bewältigung dieser höheren Kosten ergriffen werden. Hier kommt beispielsweise wieder die Frauenerwerbstätigkeit ins Spiel. Mehr Frauen in gut bezahlten Jobs bedeuten auch mehr Beitragszahler. Es besteht aber auch Bedarf an mehr Rentenversicherten, etwa Selbstständigen.
Oder Beamte?
Das ist eine große Sache, aber man könnte darüber nachdenken, so viele Berufe nicht offiziell zu machen. Und wenn man das alles nach und nach umsetzen würde, könnte man die Belastung des Beitragssatzes über Jahre hinweg spürbar reduzieren.
Gefällt mir Österreich hat es vor 20 Jahren gemacht?
Selbstständige zahlen in die Rentenversicherung ein, Beamte nicht. Ihre Dienste wurden einfach gleich behandelt, was letztendlich dem Staat Geld sparte.
Viele Kritiker der Idee, dass auch Beamte in die gesetzliche Rente einzahlen sollen, halten es für ein Nullsummenspiel. Mehr Einleger, aber auch mehr Empfänger. Manche gehen sogar davon aus, dass der Staat wegen der hohen Beamtenpensionen massiv mehr zahlen müsste.
Das Argument des „Nullsummenspiels“ ist aus zwei Gründen falsch. Erstens weiß heute niemand, wie die Welt aussehen wird, wenn diese Beamten ihre Rente bekommen. Die Linderung würde sehr lange anhalten, über mehr als 40 Jahre. Zweitens würde die Reform auch Leistungskürzungen mit sich bringen. Wie hoch sie sind, müsste diskutiert werden.
Der schwierige politische Punkt ist, dass Beamte dann in die Sozialversicherung einzahlen müssten. Dies würde plötzlich zu einem starken Anstieg des Bruttoarbeitgebereinkommens der Länder oder Gemeinden führen, die die meisten Beamten beschäftigen. Das wollen sie natürlich nicht.
Was ist die Aufgabe der Politik in den nächsten Jahren?
Ein klar formuliertes Ziel wäre sinnvoll. Wie kann der Staat – je nach Modell – das Ziel des Versichertenschutzes unterstützen bzw. organisieren? Wir haben in Deutschland ein Mehrsäulensystem. Ergänzend zu den gesetzlichen Regelungen könnten betriebliche und private Vorsorge auf eine solide Basis gestellt werden. Beide werden eher stiefmütterlich behandelt. Sie könnten ein Pflichtprodukt mit möglichst geringen Kosten und hoher Rentabilität einführen. Das Ganze soll von einer Non-Profit-Agentur gemanagt werden. Auch andere Länder wie Schweden oder Großbritannien machen es so. Noch immer gibt es einen erheblichen Teil der Bevölkerung, der nicht privat versichert ist und die Möglichkeiten nicht kennt.
Die gesetzliche Rente muss stabilisiert werden. Das funktioniert vor allem dann, wenn man die Zahl der Versicherten erhöht und die Beschäftigung hoch hält. Andernfalls kommt es zu spürbaren Leistungskürzungen. Das wird besonders schwierig, weil wir auch mit Beitragserhöhungen in anderen Sozialversicherungen rechnen müssen.
Zur Person
- Johannes Geyer ist stellvertretender Leiter der Regierungsabteilung am DIW Berlin. Er promovierte 2012 im Rahmen des DIW-Graduiertenzentrums der FU Berlin zum Thema „Empirische Studien zu wirtschaftlichen Risiken, demografischem Wandel und öffentlicher Ordnung“. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Fragen der sozialen Sicherung im demografischen Wandel. Dazu nutzt er empirische Methoden der Mikroökonometrie und Mikrosimulation.


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