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Reisners Blick auf die Front: „Trump scheint bereit zu sein, Russland Schmerz zuzufügen“

Reisners Blick von vorne


„Trump scheint bereit zu sein, Russland Schmerz zuzufügen“

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Wird sich US-Präsident Trump nach der vorübergehenden Befriedung des Gaza-Konflikts stärker auf die Seite der Ukraine engagieren? Oberst Markus Reisner sieht zumindest Anzeichen dafür – obwohl die von Putin angedrohten US-Marschflugkörper nur bedingt Sinn machen. Unterdessen gerät die Ukraine durch die russischen Luftangriffe zunehmend unter Druck und muss sechs Städte vor einer Einkesselung am Boden schützen.

ntv: Die Freilassung der israelischen Geiseln durch die Hamas signalisiert das vorläufige Ende der hitzigen Kämpfe in Gaza. Sind die Ereignisse im Nahen Osten auch für die Ukraine wichtig?

Markus Reisner: Ja. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat darauf hingewiesen, dass der Krieg in der Ukraine auf die gleiche Weise gelöst werden kann, wie er in Gaza gelöst wurde. Er sagt dies vor dem Hintergrund des offenbar reparierten Verhältnisses zu US-Präsident Donald Trump. Die beiden haben sich kürzlich telefonisch ausgetauscht und waren offenbar sehr freundlich.

Markus Reisner ist Historiker und Rechtswissenschaftler, Generalstabsoberst des Österreichischen Bundesheeres und Leiter des Instituts für Offiziersgrundausbildung an der Theresianischen Militärakademie. Zu seinen wissenschaftlichen Arbeiten gehört unter anderem der Einsatz von Drohnen in der modernen Kriegsführung. Jeden Montag beurteilt er für ntv.de die Lage an der Ukraine-Front.

(Foto: privat)

Die militärische Situation der Hamas und Russlands scheint kaum vergleichbar zu sein.
Richtig, die beiden Konflikte sind nur bedingt vergleichbar. Donald Trump hat Interesse an einer Befriedung des Gaza-Konflikts gezeigt, weil Israel ein sehr enger Verbündeter ist. Der US-Präsident ist nicht gleichermaßen an der Ukraine interessiert.

Umso überraschender sind US-Medienberichte, dass die Regierung der Ukraine seit Juli wichtige Geheimdienstdaten bereitgestellt habe, um Angriffe auf russische Infrastruktur tief im Land zu ermöglichen.

Ohne diese unverzichtbare Unterstützung der USA durch die Bereitstellung von Aufklärungsdaten hätte die Ukraine den Krieg von Anfang an verloren. Im Verlauf des Krieges gab es immer wieder Berichte und andere Informationen, die diese Unterstützung bestätigten. Nach dem öffentlichen Streit zwischen Selenskyj und Trump im Weißen Haus war von einer Trennung die Rede, doch dazu kam es nicht. Nachdem der Alaska-Gipfel mit Wladimir Putin zu keinem Ergebnis geführt hat, will Trump den Druck auf Russland aufrechterhalten: Die messbar wirksamen Angriffe auf Russlands Ölinfrastruktur wären bisher ohne die Unterstützung der USA nicht möglich gewesen.

Auf dem Flug nach Israel wiederholte US-Präsident Trump seine Drohungen an Putin, die Ukraine mit Tomahawk-Marschflugkörpern auszustatten.

Wir müssen abwarten und sehen. Die USA verfügen über Waffensysteme, die eine größere Reichweite haben und in größerer Zahl verfügbar sind als Tomahawk-Marschflugkörper. Tomahawks werden im Allgemeinen von US-Kreuzern und US-U-Booten abgefeuert, nicht vom Land aus. Für die Ukraine sind sie nur bedingt geeignet. Aber auch die Ankündigung einer Lieferung kann der Ukraine helfen.

Wie kommts?

Die Ukraine steht massiv unter Druck. Russland hat seinen strategischen Luftangriff gegen die kritische Infrastruktur der Ukraine wieder aufgenommen. Nach offiziellen Angaben waren im Oktober bis zu 60 Prozent der ukrainischen Gaslieferungen unterbrochen. Russland hat alle Wasserkraftwerke von Kiew bis Saporischschja mit Raketen und Drohnen angegriffen. Zwei große Wärmekraftwerke in Kiew wurden massiv getroffen. Auch ein großes Wärmekraftwerk in der Nähe von Krywyj Rih wurde von einem kombinierten Angriff getroffen. Diesen Druck muss die Ukraine an Russland zurückgeben. Dabei hilft Selenskyjs gutes Verhältnis zu Trump. Der US-Präsident hat in den vergangenen Tagen immer wieder darauf hingewiesen, dass Russland offenbar Schmerzen verspüren muss, um an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Trump scheint bereit zu sein, Russland Schmerz zuzufügen.

Wie groß ist der Schmerz jetzt?

Der Druck auf Russland ist messbar: Die russische Ölförderung soll durch ukrainische Angriffe um 25 Prozent eingebrochen sein. Dies hat jedoch bislang nicht zu Versorgungsengpässen bei den russischen Streitkräften geführt.

Zumindest gab es zuletzt keine weiteren russischen Provokationen im Nato-Luftraum, mit denen Russland zuvor auf die erfolgreichen Angriffe im eigenen Hinterland reagiert hatte. Ist das ein Erfolg der geschlossenen Reaktion?

Ich denke, dass sich der russische Druck gerade verlagert: Am Wochenende wurden an der estnischen Grenze grüne Männer – russische Uniformen ohne Ausweis – gesichtet. Allein die Anwesenheit dieser Soldaten, die dort zusätzliche Stellungen bezogen haben, ist Teil der hybriden Kriegsführung und soll Ängste auslösen. Wir werden sehen, was die nächsten Wochen bringen. Fakt ist: Der Krieg verschärft sich und breitet sich über die Ukraine hinaus aus.

Weil Russland den Konflikt an die NATO-Grenzen und in die NATO-Staaten trägt?

Auf der anderen Seite sehen wir zunehmend Staaten, die direkt an den Kämpfen beteiligt sind: die USA, die offenbar durch operative Planung und Auswertung direkt an ukrainischen Angriffen tief im russischen Territorium beteiligt sind, ebenso wie Nordkorea und China auf der Seite Russlands. Meiner Ansicht nach ist Nordkorea eine Kriegspartei. China unterstützt Russland massiv. Bedenken Sie Berichte, wonach nach einem russischen Angriff auf Lemberg chinesische Satelliten über die westukrainische Stadt geflogen seien – offenbar um Aufklärungsdaten zu generieren und mit Russland zu teilen. Im vierten Jahr hat der Krieg immer größere Ausmaße angenommen. Statt Entspannung sehen wir eine zunehmende Einbindung der Kriegsparteien auf beiden Seiten.

Schauen wir uns den Krieg in der Ostukraine an. Die Kämpfe gehen mit hoher Intensität weiter. Wird die Schlammsaison dieses Jahr später kommen?

Ja. Die Höhepunktphase der gescheiterten russischen Sommeroffensive wird aufgrund des anhaltend guten Wetters in der Ostukraine verlängert. Bis das trübe Wetter einsetzt, wird Russland weiterhin versuchen, zumindest einen symbolischen Erfolg zu erzielen. Auch wenn Russland in diesem Sommer kein operativer Durchbruch gelungen ist, hat sich Russland in einigen Frontbereichen deutlich besser aufgestellt.

An welchen Stellen auf der Vorderseite?

Sechs Städte sind von russischer Seite massiv bedroht. Ausgehend von Norden sind dies Kupjansk, Lyman, Siversk, Kostjantyniwka, Pokrowsk und Nowopawliwka. Es sieht so aus, als würde Pokrowsk früher oder später fallen. Siversk liegt in einer sehr exponierten Lage und könnte ebenfalls fallen. Gleiches gilt für Kupjansk. Russland hat es geschafft, sich in die Lage zu versetzen, über den Winter hinweg die nächste Frühjahrsoffensive zu planen.

Der Krieg geht weiter wie bisher?

Kürzlich fand im Haus von Wladimir Putin ein bemerkenswertes Treffen hochrangiger Vertreter des Verteidigungsministeriums und des Generalstabs statt. Anwesend waren alle Kommandeure der einzelnen Einsatzgruppen, vom Verteidigungsminister bis zum Generalstabschef. Bei diesem Treffen nannte Generalstabschef Gerasimov vor den Kameras deutlich die nächsten militärischen Ziele. Die russische Seite zeigt keine Anzeichen eines Nachgebens, sondern verfolgt stoisch ihre Ziele.

Sebastian Huld sprach mit Markus Reisner

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