Eine grüne Senatorin muss gehen, eine linke Senatorin verteidigt noch ihre Position: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zwei Bremer Behörden wegen des Verdachts der Untreue. Der Druck auf Oberbürgermeister Bovenschulte (SPD) wegen der rot-grün-roten Malaise steigt.
Für Bremens Oberbürgermeister lief eigentlich alles gut. Andreas Bovenschulte (SPD), seit Sommer 2019 Chef des kleinsten Bundeslandes, führte seine Stadt-Landes-Regierung, einen rot-grün-roten Senat, durch die Corona-Krise und die Wende. Anders als viele andere Bundesländer verzeichnete das notorisch finanzschwache Bremen zuletzt ein deutliches Wirtschaftswachstum: 2,9 Prozent im ersten Halbjahr, Platz eins im Bundesranking. Bovenschulte saß auch politisch fest im Sattel. Gegen den 60-Jährigen stellten sich weder aus der Opposition noch innerhalb der Partei ernsthafte Gegner.
Mit Bovenschultes zweitem Wahlsieg im Mai 2023 wuchs auch sein bundespolitischer Einfluss. Auf dem jüngsten SPD-Parteitag wurde er erstmals in den Parteivorstand befördert. Der Bundesratsvorsitz, der am 1. November dem Bremer Oberbürgermeister zufällt, hätte seine Position weiter festigen können, inklusive politisch vorteilhafter Schönwetterauftritte im In- und Ausland sowie Aussichten auf eine Wiederwahl im Frühjahr 2027. Doch dann kam die Staatsanwaltschaft.
Nicht persönlich in Bovenschultes Rathaus, sondern im Büro seiner langjährigen Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) – wegen des Verdachts der Untreue. Hintergrund: Vogt entließ im Herbst 2023 ihren langjährigen Staatsrat Sven Wiebe. Ermittler vermuten, dass sie bei der Begründung nicht die Wahrheit gesagt hat und dem Staatsrat so zu erheblichen finanziellen Vorteilen verholfen hat. Während Vogt zunächst öffentlich erklärte, dass Wiebe auf eigenen Wunsch aus der Wirtschaftsbehörde ausscheide, erfolgte seine Entlassung formal auf Betreiben des Senators. Der Unterschied: Im letzteren Fall hat der Staatsrat Anspruch auf umfassende Übergangs- und Altersversorgungsleistungen. Wäre Wiebe jedoch aus eigenem Antrieb zurückgetreten, wäre daraus nichts geworden.
Die Frage ist also, ob Wirtschaftssenatorin Vogt ihrer alten Staatsrätin rechtswidrig einen finanziellen Vorteil auf Kosten des Steuerzahlers verschafft hat – und natürlich auch, was Bremens Oberbürgermeister von diesen Vorfällen hält und welche Konsequenzen er daraus ziehen will. Zumal der Fall Wiebe/Vogt nicht der erste seiner Art ist. Ähnliche Vorwürfe wurden Anfang Oktober gegen Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf (Grüne) erhoben. Auch den Rücktritt ihrer Landesrätin Irene Strebl begründete sie zunächst mit ihren eigenen Wünschen, erklärte jedoch kurz darauf, die Trennung beruhe auf einem Vertrauensverlust. Auch in diesem Fall ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Anfangsverdachts der Untreue. Im Gegensatz zu Vogt ist Moosdorf nun zurückgetreten.
Oberbürgermeister Bovenschulte hat sich zum Inhalt beider Fälle bislang nicht geäußert. Sein Sprecher Christian Dohle verweist auf die laufenden Ermittlungen. „Der Oberbürgermeister erwartet von der Staatsanwaltschaft ein schnelles Ergebnis“, sagte Dohle gegenüber WELT. Zumindest bis dahin steckt Bovenschultes rot-grün-roter Senat in einer echten Krise.
Ein Umstand, den die Opposition natürlich für ihre Zwecke nutzen will. Die CDU etwa, die mit Abstand größte Oppositionspartei der Bremer Bürgerschaft, wertet das Schweigen des Senatsvorsitzenden als „unverantwortliches Ducken“ und fordert den sofortigen Rücktritt des Wirtschaftssenators. „Der Verdacht eines Goldenen-Handschlag-Systems lastet schwer auf Senat Bovenschulte“, sagte CDU-Fraktionschefin Wiebke Winter. „Wirtschaftssenatorin Vogt hat das Vertrauen verloren, sie sollte dem Beispiel von Senatorin Moosdorf folgen und sofort zurücktreten.“ Auch Vogt selbst wollte sich auf WELT-Anfrage nicht zu den Vorwürfen äußern.
Stattdessen veröffentlichte Vogt am Dienstag eine Erklärung ihres Anwalts, in der es hieß, die Vorwürfe der Untreue gegen sie seien „in keiner Weise begründet“. Die Versetzung ihres Staatsrates sei nicht auf seinen „eigenen Wunsch“ erfolgt, sondern seine „persönliche Entscheidung“, künftig mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen, habe dazu geführt, dass er aus Sicht des Senators „nicht mehr in dem Umfang zur Verfügung stehe, der für die Funktion eines Staatsrates aus persönlichen Gründen erforderlich sei und daher für dieses Amt aus persönlichen Gründen nicht mehr geeignet sei“.
Die Versetzung des Staatsrates in den Ruhestand sei daher sachlich notwendig und rechtlich nicht zu beanstanden; die Vorwürfe der Untreue seien daher unbegründet. Der Anwalt der Senatorin erklärte, dass Vogt ihre Schlussfolgerung vor zwei Jahren nicht öffentlich gemacht habe, und verwies auf den „persönlichen Schutz“ des Staatsrates.
Kommt ein Untersuchungsausschuss?
Die Staatsratskrise ist nicht die einzige Baustelle für Bovenschulte. Der überforderte Schulsenator Sascha Aulepp, eine ehemalige SPD-Landesvorsitzende, stolperte diesen Sommer auf Druck Bovenschultes aus dem Amt. Sie wurde durch den ehemaligen Berliner Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD) ersetzt.
Fast zeitgleich gab der langjährige Innensenator Ulrich Mäurer seinen Rücktritt zum Jahresende bekannt. In der Vergangenheit hatte er Bovenschulte im Bereich der inneren Sicherheit weitgehend aus Ärger herausgehalten. Ob Mäurers designierte Nachfolgerin, die ehemalige Wehrbeauftragte Eva Högl, Erfolg haben wird, bleibt vorerst unklar.
Von seiner ursprünglichen Idee, mitten in seiner zweiten Legislaturperiode nicht nur einzelne Senatoren, sondern möglicherweise auch Koalitionspartner auszutauschen, hat sich Bovenschulte längst verabschiedet. Spätestens mit dem Zusammenbruch der Ampelregierung in Berlin, dem darauf folgenden vorgezogenen Bundestagswahlkampf und dem Bundestagsskandal um das gemeinsame Abstimmungsverhalten von CDU/CSU und AfD zu einem Unionsvorschlag zur Migrationspolitik war die Option „Große Koalition“ in der Hansestadt vorbei.
Auch die Bremer CDU, die bislang offen für den Einzug in den Senat war, hat nun von solchen Gedankenspielchen Abstand genommen. Stattdessen erwägt sie die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der politisches Licht in die Bremer Staatsratsaffäre bringen soll. Das rechtskonservative Bündnis Deutschland, vertreten durch sechs Abgeordnete, will bereits am Mittwoch einen solchen Untersuchungsausschuss beantragen. Die FDP-Fraktion hat Akteneinsicht beantragt und will vor weiteren Entscheidungen eine Erklärung des Senators abwarten. Vogt soll am 7. November vor dem Haushalts- und Finanzausschuss des Bremer Bürgerrates die Hintergründe der Entlassung ihres Staatsrats erläutern.
Ulrich Exner ist politischer Korrespondent für WELT und berichtet vor allem aus den norddeutschen Bundesländern.