Stand: 18.09.2024 18:02
Groovige Elektro-Folklore, Chanson mit analogen Synthesizern, portugiesischer Folk auf dem Sampler oder schwebende, beatbasierte Tanzmusik: Das Reeperbahn Festival begeistert noch bis Samstag mit allen Facetten der Popmusik. Als Geheimtipp wurde Ski Aggu enttarnt.
50.000 Besucher werden zum viertägigen Festival in den Clubs rund um den Kiez erwartet. Die Stilrichtung reicht von Pop über Heavy Metal bis hin zu Singer-Songwritern. Tagestickets gibt es ab 59 Euro.
Das Reeperbahn Festival ist ein wichtiger Treffpunkt der internationalen Kreativbranche. Im Fokus stehen in den nächsten Tagen Themen wie der Einsatz von KI in der Musik, faire Bezahlung beim Streaming und generell die ökonomisch prekäre Situation von Clubs und Festivals.
Kultursenator Carsten Brosda: „Livemusik-Clubs als wichtige Kulturstätten schützen“
Europas größtes Clubfestival kommt zum 19. Mal nach Hamburg. Gefördert wird es vom Bund und der Stadt. Kultursenator Carsten Brosda (SPD) sagte zum Auftakt: „Herzstück des Festivals sind bei aller Bedeutung der Branchentreffpunkte die zahlreichen Clubkonzerte, die in dieser Dichte nur rund um die Reeperbahn möglich sind.“ Sie machten deutlich, wie besonders Livemusik-Erlebnisse seien, so Brosda. „Deshalb setzen wir uns als Stadt weiter dafür ein, Livemusik-Clubs auch über das Festival hinaus als wichtige Kulturorte zu schützen.“
Ski „Friesenjung“ Aggu präsentiert sein neues Album
Nachdem Kraftklub und Bill Kaulitz 2022 mit einem Auftritt in Hamburg überraschten und die Berliner Hip-Hopper KIZ im vergangenen Jahr einen geheimen Gig beim Reeperbahn Festival spielten, gab die Festivalleitung am Montag bekannt, dass Ski Aggu beim Reeperbahn Festival 2024 als geheimer Act dabei sein wird. 2023 stürmte der Rapper mit einer Techno-Version von „Friesenjung“ die Charts. Ski Aggu verbindet Rap, Indie-Sounds und ironische Texte. Sein neues Album „Wilmersdorfer Kind“ wird er am Festivaldonnerstag in den Docks am Spielbudenplatz vorstellen.
Französin Zaho de Sagazan: Zwischen Chanson und Krautrock
Es gibt Künstler, die bringen eine enorme Aura auf die Bühne, die einen Sog entwickeln, dem man sich nicht entziehen kann. Zaho de Sagazan ist eine dieser Ausnahmen. Kein Musiker seit Carla Bruni oder Benjamin Biolay hat es geschafft, das ehrwürdige französische Chanson derart umzuackern und zu modernisieren. Zaho de Sagazan, hochaktuell in der Popkultur, wählt die Nostalgie, um eine neue Position zu schaffen: Analoge Synthesizer bilden die Basis ihres Sounds, deutsche Bands aus dem Krautrock der 70er Jahre und Kraftwerk.
Einer ihrer Hits: ein Cover von „99 Luftballons“. Zaho de Sagazan veröffentlichte ihr Debütalbum erst 2023. Nur wenige erreichten schneller vor ihr den europäischen Musikhimmel. Auf der Das Reeperbahn Festival findet am Freitag, 20. September ab 23.15 Uhr im Um Gruenspan zu erleben.
Dominique Fils-Aimé: Schillernder R’n’B mit doppeltem Boden
Unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen entstanden Musikgenres wie Blues, Jazz und Soul? Was sagen sie über unsere Gesellschaften aus? Die Kanadierin Dominique Fils-Aimé geht diesen großen Fragen in ihren Songs nach.
Ihre Alben haben immer einen theoretischen doppelten Boden. Auf ihrem Debütalbum „Nameless“ beschäftigte sie sich mit der Geschichte des Blues, oder auf „Stay Tuned!“ mit dem Echo der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Mit phantasievollen, schillernden Arrangements und einer hypnotischen Stimme bringt Fils-Aimé diese Botschaften so perfekt auf die Bühne, dass man sich ihr nicht entziehen kann. Am 19. September ab 18.30 Uhr gibt sie ein Konzert im Pauli Bahnhof.
Digitale Folkmusik von Ana Lua Caiano
Die triste Pandemiezeit wurde für die junge Portugiesin Ana Lua Caiano zum kreativen Hochgefühl. Nicht wie gewohnt in Jazzsessions oder mit ihren Bands spielen zu können, zwang sie dazu, ihre Musik neu zu denken. Die Pianistin Ana Lua Caiano begann, selbst zu produzieren, zu samplen und zu singen.
Sie erkannte, dass die Musik ihrer Kindheit, ihre Liebe zum Jazz und der Pop unserer Zeit keine getrennten Welten sein müssen. So entstand diese unverschämt groovige Elektro-Folklore, in der Flöten, Trommeln, Dudelsäcke und Synthesizer zusammenkommen. Ein funkelndes Kaleidoskop musikalischer Ideen. Sie spielt am 18. September um 23.40 Uhr im Kaiserliches Theater.
Virtuoses, unterhaltsames Klischee-Theater: Bulgarian Cartrader
„Ich glaube, dass der Westen eine Fantasie davon hat, wie der Balkan ist“, sagt Daniel Stoyanov, der sich selbst „bulgarischer Karthändler“ nennt. Er ist in Sofia geboren, in Süddeutschland aufgewachsen und lebt in Berlin. Sein Künstlername spielt mit Klischees und Zuschreibungen, spiegelt die Fantasien eines wilden Ostens, wie wir ihn aus Filmen und Witzen kennen. Dieses Rollenspiel ist intelligent und auf der Bühne ungemein unterhaltsam.
Auch der Cartrader liefert Musik, die vor Ideen strotzt und stilistisch kaum zu definieren ist. Mal Songs zur Gitarre, mal abstrakte elektronische Szenen, mal Lo-Fi-Grooves – ein ständig wechselnder Strom von Farben. Die Figur des schmierigen Gangsters bildet dazu einen wunderbaren Kontrast. Am 21. September spielt er im Pauli um 20 Uhr
Streichhaus mit Bässen aus Brokat: Kiasmos
Die edlen, dunklen Unendlichkeitsklänge des Isländers Ólafur Arnalds und die minimalistischen Beats des auf den Färöer-Inseln lebenden Janus Rasmussen: Als diese beiden Pole 2009 zum ersten Mal zusammentrafen, war es wie eine Kernschmelze. Mit ihrem Debüt 2014 schrieben Kiasmos, wie sich das Duo nennt, ihr eigenes Kapitel in der Geschichte der elektronischen Musik. Niemand zuvor hatte beatbasierte Tanzmusik geschaffen, die so ruhig, so schwebend und die Sinne eintauchend wirkte.
Streicher, Glocken und elegante Klaviere auf Bässen aus Brokat. Dieses Rezept konnten Kiasmos mit ihrem neuen Album „II“ zwar nicht neu erfinden, doch das Eintauchen in ihre Musik ist immer noch betörend. Am 21. September treten sie beim Reeperbahn Festival auf.
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