Eines Morgens im August fährt Lehrer Tristan Härter zum ersten Schultag nach den langen Ferien durch die grünen Hügel des Kölner Umlandes. Er ist auf dem Weg in sein neues Leben, diese Reise durch die milde Spätsommerluft ist für ihn Flucht und Neuanfang zugleich. Mit jedem Kilometer, den er seiner neuen Schule näherkommt, entfernt er sich weiter von seiner alten, vor der er fliehen musste.
Tristan Härter: ein Bärenmensch, 34 Jahre alt, fast zwei Meter groß, gutmütig, freundlich. Die vergangenen Monate, sagt er, hätten sich wie eine Jagd angefühlt. Er war die Beute, allein und ohne Unterstützung. Härter, härter, aber sie haben offenbar auch ihn niedergeschlagen, die Entmutigten, die Schweigen und vor allem: die Rechtsextremisten.
Jetzt lebt er in Nordrhein-Westfalen, Supermarkt, Volksbank, Ernsting’s Family. Wo genau er es geheim halten und den Frieden so lange wie möglich bewahren möchte.
Härter wendet sich auf das Schulgelände, parkt, schnappt sich die Tüte mit der Regenbogenfahne. Sie haben neben dem Haupteingang eine Tafel angebracht: „Schule ohne Rassismus – Schule mit Mut“.
Härter, derjenige, der entkommen ist. Er blickte hinab in den Abgrund, der sich in den Schulen dieser Republik auftat und beinahe daran zerfiel. Er ist betroffen von einer Entwicklung, die Klassenräume und Schulhöfe mit einer Heftigkeit und Geschwindigkeit erfasst hat, die einem den Atem rauben kann. Der Rechtsextremismus an deutschen Schulen hat im Osten wie im Westen und über alle Schularten hinweg beispiellose Ausmaße erreicht.
Tristan Härter saß alle paar Wochen beim Schulleiter, weil sich die Eltern über ihn beschwert hatten © stern-Montage: Foto: RTL
Ein Team von Stern Und dazu recherchiert RTL seit dem Frühjahr. Die Reporter sprachen mit Lehrern, die von Rechtsextremisten bedroht werden, mit Schulleitungen, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen, mit Schülern, die menschenverachtendes Verhalten erleben, und mit Eltern, die Hassreden ausgesetzt sind. Das Team ermittelte aktuelle Zahlen zu rechtsextremen Vorfällen an Schulen und stellte fest, dass in einigen Bundesländern das Problem größer ist, als die Polizeistatistiken vermuten lassen – in anderen gibt es kein genaues Lagebild.
Eine weitere Erkenntnis: Die AfD ist nicht nur Nutznießerin dieser Entwicklung, sondern auch Akteurin. Parteipolitiker stellen missliebige Schüler und Lehrer an den Pranger und setzen Schulen öffentlich unter Druck, im Parlament und in den sozialen Medien. Die Partei scheint das Neutralitätsgebot des Staates systematisch für ihre Zwecke auszulegen und es so gegen die Schulen und teilweise auch gegen die Werte des Grundgesetzes zu positionieren.
Besser Atomkraft als ein Flüchtlingsstrom
Aufkleber im Klassenzimmer
Wie alltäglich Rechtsextremismus geworden ist, erlebten zwei Reporter im Frühjahr, als sie in drei Schulen verdeckt ermittelten.
