
Aufständische Gruppen in Syrien haben das Assad-Regime mit einer Offensive überrascht. Steht der Diktator jetzt vor dem Aussterben? Oder kann er wieder auf die Hilfe Russlands und Irans zählen?
Sie haben Baschar al-Assad völlig auf dem falschen Fuß erwischt. Seit vergangenem Mittwoch schreitet eine Offensive aufständischer Gruppen gegen das Regime des syrischen Machthabers mit großen Schritten voran. Innerhalb weniger Tage gelang es der Opposition, die Stadt Aleppo im Norden Syriens zu erobern. Die Regimetruppen überließen das Gebiet nahezu widerstandslos ihren Gegnern. Und schon bald könnte die nächste strategisch wichtige Stadt folgen.
Die Lage in Syrien, wo seit 2011 ein blutiger Bürgerkrieg tobt, ist komplex. Während das Assad-Regime von internationalen Mächten wie Russland und Iran sowie der Hisbollah-Miliz im Libanon unterstützt wird, stehen auf der Seite der Opposition mehrere Akteure mit unterschiedlichen Interessen. Sie eint vor allem das Ziel, die Herrschaft Assads zu stürzen. Der Moment könnte dafür reif sein.
Assad zeigt sich weiterhin kämpferisch und kündigte am Sonntag an, er werde den „Terrorismus“ in seinem Land „zerstören“. Aber seine Truppen und seine Anhänger scheinen zumindest geschwächt zu sein. Steht das Assad-Regime in Syrien nun vor dem Zusammenbruch? Wie könnte sich die Situation in den nächsten Wochen entwickeln?
Auch der Militärexperte Ralph Thiele stellte fest, dass Assads Soldaten vom Vormarsch der Opposition „völlig überrascht“ seien. Im Interview mit t-online sagt er: „Die Regierungstruppen waren darauf kaum vorbereitet.“

Ralph Thiele (*1953) ist Oberst im Ruhestand. D. der Bundeswehr und Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft. Thiele ist außerdem Leiter der deutschen Niederlassung des Think Tanks Eurodefense und des Beratungsunternehmens Stratbyrd Consulting. Zuvor war der Militärexperte unter anderem im Planungsstab des Bundesverteidigungsministers und im Büro des NATO-Oberbefehlshabers tätig.
Innerhalb weniger Tage gelang es den Milizen unter Führung der islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Shram (HTS), Aleppo zu erobern. Die Gruppe ging aus dem Al-Qaida-Ableger Nusra-Front hervor, löste sich jedoch vor sieben Jahren von diesem. HTS war zuletzt in den Regionen Idlib und Aleppo aktiv – was wohl auch der Grund dafür ist, dass es seine Offensive in der gleichnamigen Stadt gut vorbereiten konnte. Eine Übersicht über die Fraktionen im syrischen Bürgerkrieg können Sie hier lesen.
Mehrere Fragen werden für die Entwicklung in den kommenden Wochen entscheidend sein, sagt Thiele: „Können Assad und seine Anhänger die Aufständischen schnell zurückschlagen? Wie weit sind die Vorbereitungen der Aufständischen? Und wer hat sie so weit bewaffnet, dass es zu dieser Offensive kommt.“ überhaupt so erfolgreich sein könnte?“
Die wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes sind Russland und der Iran. Beide Mächte hielten es erst am Leben, als im syrischen Bürgerkrieg bereits große Teile des Landes an Oppositionsgruppen gefallen waren. Insbesondere massive russische Luftangriffe, die auch Aleppo weitgehend zerstörten, halfen Assad, an der Macht zu bleiben. Sein Regime kontrolliert derzeit gut zwei Drittel des Landes.
Nach der Eroberung von Aleppo haben die Aufständischen bereits das nächste Ziel im Visier: Hama. Im Jahr 2011 war die 500.000-Einwohner-Stadt das Zentrum des Arabischen Frühlings in Syrien, der den Bürgerkrieg auslöste. Neben dieser symbolischen Bedeutung verfügt Hama auch über eine Zufahrtsstraße zum Mittelmeer, die die Aufständischen dem Assad-Regime entreißen wollen. Der Weg führt auch nach Latakia, wo große Teile der alevitischen Regimeelite herkommen.

„Das nächste Ziel wäre Homs“, sagt Thiele. Dies ist die letzte Zufahrtsstraße zum Mittelmeer und Homs ist auch die letzte größere Stadt auf dem Weg zur Hauptstadt Damaskus. Doch derzeit sehe es so aus, als würde das Regime seine Truppen von Hama nach Homs zurückziehen, „um einen Gegenangriff vorzubereiten“, erklärt der Militärexperte. „Wie schwerwiegend dies sein wird, hängt vor allem vom Ausmaß der Unterstützung des Regimes durch Russland und Iran ab.“ Beide Länder müssten nun strategische Entscheidungen treffen.
Russland und Iran haben diese Interessen in Syrien
Laut Thiele hat Iran großes Interesse an Syrien: „Der einzige Landweg zur Versorgung der Hisbollah-Miliz im Libanon führt über Syrien.“ Der Iran ist derzeit durch die jüngsten Auseinandersetzungen mit Israel stark geschwächt, dennoch könnte das Mullah-Regime die Unterstützung für seinen Verbündeten Assad verstärken. „Möglicherweise könnte der Iran Syrien mit Drohnenlieferungen helfen, wie er es bereits mit Russland in der Ukraine getan hat.“