Zwanzig Minuten lang war der FC Bayern auf dem Weg nach London zum Champions-League-Finale, einer Wiederholung des Finales 2013 gegen Borussia Dortmund. Doch dann kam Real Madrid zurück, drehte das Spiel und gewann dieses Halbfinal-Rückspiel am Mittwoch im Bernabéu-Stadion mit 2:1, was ausreichte, um Münchens Traum nach dem 2:2-Unentschieden im Hinspiel etwas mehr als eine Woche zu zerstören vor.
Genau genommen waren die Spanier die bessere, aktivere Mannschaft, bis Alphonso Davies in München die Führung übernahm. Doch an diesem Abend musste der FC Bayern, wie zuvor RB Leipzig und Manchester City, erkennen, dass Real Madrid immer eine Antwort parat hatte, auch in einem Spiel, in dem es lange Zeit an Effektivität gefehlt hatte. Zwei späte Joker-Tore von Joselu beendeten die Hoffnungen der Münchner, Borussia Dortmund ins Finale zu folgen und am 1. Juni im Wembley-Stadion um den Spitzenplatz zu kämpfen.
Wenige Stunden vor Spielbeginn herrschte in Madrid reges Treiben auf dem Weg zum Cibeles-Brunnen, wo Real traditionell mit seinen Fans den Titel feiert. Doch es waren nicht die Madridistas, die den Weg zur Göttin Kybele blockierten, sondern Demonstranten. Für viele Madrilenen ging es am Tag des Halbfinales nicht nur um Fußball, sondern auch um den Erhalt des öffentlichen Schulsystems.
Doch wenn es neben der Meisterfeier Anfang Juni vielleicht noch einen zweiten Titel zu feiern gibt, den des Champions-League-Siegers, dürften Proteste kein Problem mehr sein, da der Platz rund um den berühmten Brunnen fest sein wird in den Händen von Real und den Fans liegen. In München hingegen müssen Rathausmitarbeiter in diesem Jahr nicht am Wochenende arbeiten und es gibt keinen Empfang auf dem Balkon.
Überraschende persönliche Details
Den Dortmunder Erfolg im ersten Halbfinale am Vortag dürften die Bayern mit sehr gemischten Gefühlen beurteilt haben. Einerseits wäre eine Neuauflage des Finales von 2013 eine tolle Sache, andererseits ist der Druck auf die Münchner etwas gestiegen. In den vergangenen elf Jahren lagen sie gegen den zuvor kurzzeitig rebellischen Rivalen aus Dortmund immer vorne – und das soll bitte auch so bleiben.
Schon beim Abschlusstraining am Dienstag in München war klar, dass es einige überraschende personelle Veränderungen geben würde. Tuchel entschied sich, nicht wie im Hinspiel Konrad Laimer, sondern den jungen Aleksandar Pavlovic an die Seite von Leon Goretzka zu stellen. „Wir brauchen viel Mut in den Lücken, insbesondere im zentralen Mittelfeld. Das ist genau seine Charakteristik“, begründete der Bayern-Trainer den Wechsel gegenüber DAZN. Im Angriff stand Serge Gnabry anstelle von Thomas Müller in der Startelf, um „auf den Flügeln etwas aggressiver agieren zu können“.
Allerdings musste Tuchel nach knapp einer halben Stunde zumindest seinen Flügelspieler-Plan aufgeben, weil Gnabry verletzt war. Alphonso Davies kam ins Spiel. Zuvor hatte sich Gnabry nur ein einziges Mal ins Rampenlicht rücken können; Sein Schuss aus halblinker Position war die erste Chance für München (8.). Der Ball landete jedoch knapp neben dem Tor.
Real bestimmt das Spiel
Davor und danach waren die Spanier in dieser ersten Halbzeit jedoch näher an der Führung. Erstmals sorgte ein Querpass von Dani Carvajal vor dem Tor für Gefahr, doch Rodrygo verfehlte den Ball nur knapp (6.).
Und weil das Tor-Aluminium den deutschen Mannschaften in diesem Champions-League-Halbfinale offensichtlich sehr viel bedeutet, landete ein Schuss von Vinicius Junior in der 13. Minute am Pfosten und nicht im Tor. Rodrygos Nachschuss wurde von Manuel Neuer gefesselt. Auch die dritte gute Chance von Real vor der Pause vereitelte der Münchner Torwart, als er einen Schuss von Vinicius abwehrte.
Und der FC Bayern? Der von der Real-Abwehr gut gehütete Harry Kane versuchte es nach einer halben Stunde mit einem Distanzschuss, doch auch Neuers Kollege Andriy Lunin war aufmerksam und lenkte den Ball mit den Fingerspitzen Richtung Ecke.
Die Mannschaft von Carlo Ancelotti dominierte das Spiel anders als vor einer Woche, ohne den Gegner jedoch völlig zu dominieren. Bis dahin hatten die Münchner wenig Fehler gemacht, spielten geduldig, konnten sich aber nur selten befreien. „Man muss akzeptieren, dass Madrid manchmal eine Torchance hat“, sagte Tuchel vor dem Spiel. „Das wird vorübergehen, wenn wir klug bleiben.“
Aber auch in der zweiten Halbzeit ließ es nicht nach. Und immer wieder kam Vinicius Junior gefährlich in die Münchner Hälfte. Eric Dier klärte einmal, Matthijs de Ligt wenige Minuten später. Real hatte nun mehr Chancen auf ein Tor, doch anders als im Hinspiel mangelte es den Königlichen dieses Mal an Effektivität. Wenn ein Münchner Spieler nicht klären konnte, half der Pfosten beim Direktpass von Rodrygo, so auch in der 55. Minute.
Dann passierte es, wie es manchmal passiert, wenn man seine besten Chancen nicht nutzt. Der FC Bayern startete einen seiner seltenen Vorstöße und ging in Führung. Alphonso Davies nutzte die Räume auf der linken Seite und erhöhte auf 1:0 (68.).
Ancelotti nahm nun Toni Kroos aus dem Spiel und ersetzte ihn durch Luka Modric. Der Kroate war erst wenige Minuten auf dem Platz, als der Ball im Tor der Bayern landete. Nach einer Ecke prallte der Ball von Davies ab. Doch weil Nacho Joshua Kimmich zuvor mit seinen Händen ins Gesicht gefasst hatte, griff der VAR ein – und Schiedsrichter Szymon Marciniak aus Polen hob das Tor unter den Pfiffen der wütenden Real-Fans auf.
Fast verzweifelt belagerte Madrid halb München und rannte wütend los. Ein Fehler von Neuer brachte die Spanier zurück ins Spiel. Der Ball rutschte nach Vinicius‘ Schuss durch die Arme des Bayern-Kapitäns, der eingewechselte Joselu schaltete schnell um und traf zum 1:1 (88.).
Und nur zwei Minuten später drehte Real die Partie. Die Bayern hatten sich vom Schock des Ausgleichs noch nicht erholt, waren bei einer Ecke nicht gut positioniert und plötzlich war Joselu frei und traf zum 2:1 (90.). Der deutsche Rekordmeister hatte kaum noch die Kraft, wieder aufzustehen. In der 13. Minute der Nachspielzeit traf de Ligt erneut für die Bayern, doch der Schiedsrichter hatte schon früh abgepfiffen und entschieden: kein Tor – und damit keine Finalteilnahme für den FC Bayern München.