Kinder für den Kremlchef
Er spricht bereits von einem Kondomverbot
23. Oktober 2024 – 12:17 UhrLesezeit: 3 Minuten
Russland geht mit brutalen Methoden gegen die Kinderlosigkeit vor. Die Schüler mussten sich ein Video einer Abtreibung ansehen. Was plant der Kreml als nächstes?
Wenige Geburten und gleichzeitig sinkende Lebenserwartung: Schon vor dem Angriff auf die Ukraine waren russische Experten besorgt über die Entwicklung der eigenen Bevölkerung. Der Krieg beschleunigte den Bevölkerungsrückgang, wie neue Zahlen zeigen. Die Geburtenrate ist heute so niedrig wie zuletzt 1999, der turbulenten Zeit nach der Wiedervereinigung in Russland. Der Kreml hat das Problem erkannt und will ihm entgegenwirken – mit drastischen Maßnahmen.
Die russische Staatsduma hat nun in erster Lesung ein Gesetz verabschiedet, das „Propaganda der Kinderlosigkeit“ unter Strafe stellen soll. Wer öffentlich ein Leben ohne Kinder preist, muss künftig mit einer hohen Geldstrafe rechnen, Ausländern droht sogar eine Haftstrafe oder eine Ausweisung aus Russland. Die Vorsitzende des Russischen Föderationsrates, Valentina Matviyenko, bezeichnete die sogenannte kinderfreie Ideologie als eine „Degeneration des Feminismus“, die im Westen entstanden sei.
Ideologisch steht das neue Gesetz im Einklang mit dem langjährigen Verbot „homosexueller Propaganda“ und der Einstufung der „internationalen LGBT-Bewegung“ als extremistische Organisation durch den Obersten Gerichtshof im November 2023. Auch die Angst der Machthaber vor westlichen Einflüssen steht im Einklang Dies zeigt sich auch in der jüngsten Kampagne gegen „Furries“: Jugendliche, die sich als Tiere verkleiden und auf allen Vieren im Wald spielen. Russlands Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin bezeichnete den Trend unter jungen Menschen als ein „Projekt der Entmenschlichung“, das der Westen ins Leben gerufen habe, um die Kontrolle über die Welt zu behalten.
- Kinder in Militäruniformen: Verstörende Aufnahmen aus Russland sorgen für Aufsehen
Und nun treibt Duma-Chef Wolodin offenbar bereits das nächste Gesetz zur Erhöhung der Geburtenrate voran, wie die oppositionelle russische Plattform „Dekoder“ berichtet. Demnach wird im Parlament bereits über ein Verbot von Kondomen diskutiert: „Die Ausbreitung von Syphilis und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten wird die Gesellschaft natürlich noch viel weiter bringen“, kommentiert „Dekoder“ die Debatte ironisch. „In einem Land, in dem Hunderttausende Menschen das HIV-Virus in sich tragen, ist es natürlich oberste Priorität, Kondome abzuschaffen!“
Russland: Kinder werden gezwungen, Abtreibungsvideos anzuschauen
Wie grotesk die Fixierung auf das Nachwuchsproblem ist, zeigt auch eine Episode auf der Insel Sachalin im Osten Russlands. Alle Mädchen und Jungen einer Schule mussten sich ein Video ansehen, das eine Abtreibung zeigte. Dies soll Kinder davon abhalten, jemals ein Kind abzutreiben, berichtet „Dekoder“. Für die russischen Behörden war die Aktion wohl zu krass, sie untersuchten daraufhin, wie es zu dem Videovortrag kam. „Möchtest du überhaupt Kinder haben, nachdem du so etwas gesehen hast? Oder erreicht man mit solch schrecklichen Bildern nicht tatsächlich das Gegenteil von Zeugungsfreude?“ „Dekoder“ äußert sich weiter zu dem Vorfall.
Auch Kremlgegner sehen im Gesetz gegen „Propaganda der Kinderlosigkeit“ eine Parallele zur Sowjetzeit, als Menschen ohne Kinder eine Sondersteuer zahlen mussten. Es ist unklar, wie das vage formulierte Regelwerk tatsächlich angewendet werden soll. „Dekoder“ weist darauf hin, dass ein „Childfree“-Verbot im Extremfall keine Tat, sondern ein Unterlassen bestrafen würde: „Sollte jetzt jeder Kinderlose unter Generalverdacht stehen, einer imaginären Childfree-Bewegung anzugehören?“ schreibt das Oppositionsmagazin. Die Sorge ist groß, dass vor allem Frauen unter Druck gesetzt werden, Kinder zu bekommen.
Auch Kremlchef Putin meldet sich in der Debatte persönlich zu Wort. In einer Rede lobte er beispielsweise kinderreiche Familien und forderte Frauen dazu auf, acht Kinder zu bekommen – mindestens. Dafür bietet der Kreml auch finanzielle Anreize: Mütter mit zehn oder mehr Kindern erhalten vom Staat eine Einmalzahlung in Höhe von umgerechnet 11.000 Euro. Und seit 2022 wird auch wieder der Titel „Mutterheldin“ verliehen – auch das ist ein Relikt aus der Sowjetzeit. Allerdings scheint es unwahrscheinlich, dass die demografische Krise mit solchen Mitteln gelöst werden kann.
Die unabhängige Zeitung „Moscow Times“ berichtete kürzlich über eine russische Studie, wonach ein Drittel der Russen aufgrund des Krieges gegen die Ukraine auf die Geburt von Kindern verzichten oder diese aufschieben. Darüber hinaus wurden im Krieg bereits schätzungsweise eine halbe Million Russen getötet oder verwundet, während rund eine Million Menschen das Land verlassen haben, um dem Krieg zu entgehen. Dies spiegelt sich auch in der historisch niedrigen Geburtenrate der letzten Monate wider.
Im Juni wurden in dem Land mit rund 146 Millionen Einwohnern erstmals weniger als 100.000 Kinder in einem Monat geboren. Von Januar bis Juni gab es nach offiziellen Angaben insgesamt knapp 600.000 Babys – 16.500 weniger als im Vorjahreszeitraum und der niedrigste Stand seit 1999, wie aus einer Analyse der Nachrichtenagentur Reuters hervorgeht. Kremlsprecher Peskow kommentierte die Zahlen im Juli mit den Worten: „Das ist katastrophal für die Zukunft unserer Nation.“