Russland inszeniert in der Ostsee ein Spektakel: Seine Tanker tauchen auf und verschwinden wieder. Sogar ein U-Boot ist wieder im Einsatz. Putin sät Angst.
Berlin – Im „NATO-Meer“ tobt ein Schattenkrieg, schreibt Christiane Kühl. Ihrer Meinung nach ist die Ostsee zu einem Sicherheits-Hotspot geworden, wie die China-Expertin in der Wochenzeitung Das Parlament Marode Tanker, russische Kampfjets, Störmanöver, so die Liste. Gleichzeitig schreibt das Magazin Politico eine „Katastrophe, die nur darauf wartet, zu passieren“ – als Folge des Ukraine-Kriegs ist Wladimir Putin offenbar gezwungen, seine Schiffe durch die Ostsee zu schmuggeln, um unter dem Radar der Nato zu bleiben. Da braut sich etwas zusammen.
Derzeit scheinen drei Schiffe gleichzeitig die Aufmerksamkeit der Ostseeanrainerstaaten auf sich zu ziehen. Europäische Sicherheit und Technologie (ESUT) berichtet. Dem Magazin zufolge sorgen die russischen Tanker „Yaz“ und „General Skobelev“ erneut für Unruhe in internationalen Gewässern. Zudem kreuzte Ende August ein russisches U-Boot durch den Fehmarnbelt – bei dem Boot soll es sich um die „Novorossiysk“ gehandelt haben, wie ESUT berichtet. Der Zweck der Reise scheint unklar, Ziel ist die syrische Hafenstadt Tartus.
„Noworossijsk“ wieder im Einsatz: Putin schickt U-Boot nach Syrien
Bemerkenswert an der Sichtung ist, dass das Schiff offenbar wieder in Dienst gestellt wurde. Zuvor war das U-Boot zwei Jahre lang in Kronstad bei St. Petersburg überholt und modernisiert worden und nicht am Krieg in der Ukraine beteiligt gewesen. Die „Novorossiysk“ gehört zur Schwarzmeerflotte, die von der Ukraine erfolgreich aus dem Schwarzen Meer vertrieben wurde. Nun schließt sie sich offenbar wieder der Mittelmeer-Einsatzgruppe der russischen Marine an.
„Dort tanken sie, pumpen ihre Ladung auf hoher See von einem Schiff auf ein anderes – um die Herkunft des Öls zu verschleiern – oder dümpeln einfach nur herum. Schweden hat in seiner 200-Seemeilen-Wirtschaftszone Schattentanker beobachtet, die mit Kommunikationsgeräten ausgestattet sind, die normale Handelsschiffe überhaupt nicht benötigen.“
Seit März 2024 ist Schweden das neueste Mitglied der Nato, das Verteidigungsbündnis kontrolliert damit die Insel Gotland – das Sprungbrett zur Verteidigung des Baltikums gegen Russland. Deshalb scheint Moskau an der Insel besonders interessiert zu sein. Schweden beobachtet in seiner 200-Seemeilen-Wirtschaftszone Schattentanker, die mit Kommunikationsgeräten ausgestattet sind, die normale Handelsschiffe nicht brauchen, schreibt Christiane Kühl: „Sie tanken dort, pumpen ihre Ladung auf See von einem Schiff aufs andere – um die Herkunft des Öls zu verschleiern – oder dümpeln einfach nur herum.“
Experten gehen davon aus, dass die Frachter neben Öl auch Informationen transportieren – sie spionieren also. Im Grunde wurde die „Dark Fleet“ oder „Schattenflotte“ während des Ukraine-Kriegs gegründet, um europäische Sanktionen zu umgehen und russisches Öl nach Asien zu transportieren. Das Nachrichtenmagazin Spiegel Im Juli schätzte das Unternehmen, dass diese Flotte zwischen 600 und 1.400 Schiffe umfasste – basierend auf Angaben des Versicherers Allianz Commercial.
Unter falscher Flagge: Putins „Seelenverkäufer“ bedrohen die Schifffahrt
Neben dem militärischen Risiko der Spionage sehen Beobachter Risiken darin, dass die Flotte hauptsächlich aus „Seelenverkäufern“ besteht – einige unter ausländischer Flagge – „die außerhalb internationaler Vorschriften und oft ohne ausreichende Versicherung operieren“, wie die Spiegel So wird Justus Heinrich zitiert. Der Chef der Schiffsversicherungen in Deutschland und der Schweiz bei der Allianz Commercial berichtet von Dutzenden Vorfällen, „darunter Brände, Motorausfälle, Kollisionen, Kontrollverluste und Ölverschmutzungen“. Kosten, die im schlimmsten Fall auf die Regierung des Nachbarlandes abgewälzt würden.
Sollten die Schattenschiffe allerdings mit regulären Schiffen kollidieren, könnten auch diese Schiffe die Leidtragenden sein und für die Bergung haftbar gemacht werden. Elisabeth Braw sieht darin deshalb ein „Risiko für die globale maritime Ordnung“, wie sie für den Dünnschicht-Tank Atlantic Council schrieb. Leidtragende dieser Aktivitäten seien etwa Dänemark und Norwegen, die sich auf den Routen der Schattenschiffe befänden. Die Analystin zitiert einen Schiffsversicherer mit der Aussage, dass täglich allein zwölf Schattenschiffe durch norwegische Gewässer kreuzen.
„Syria Express“ unterwegs: Nato besorgt über Auftauchen russischer Kriegsschiffe
Die russischen Tanker „Yaz“ und „General Skobelev“ fahren auf dem „Syria Express“ und sind daher in dieser Region ein vertrauter Anblick. Auch dass sie zwischen Brest und Dover ein Rendezvous mit der Korvette „Stoikiy“ hatten und von dieser eskortiert wurden, ist normal. Aber: Damit habe sich „die Praxis verfestigt, dass russische hochkarätige Einheiten von Kriegsschiffen gedeckt werden“, schreibt ESUT„Die genauen Hintergründe dieser Bewegungen sind weiterhin unklar. Vor allem die Tatsache, dass sie von russischen Kriegsschiffen bewacht werden und weitere Merkmale machen uns misstrauisch.“
Das Magazin scheint auch auf den Spionageverdacht anzuspielen. Nach internationalen Schifffahrtsvorschriften tauschen Schiffe ihre nautischen Daten über das AIS (Automatic Identification System) aus. Wie ESUT Wie das „Magazin“ schreibt, ist die „General Skobelev“ Anfang Mai vom Radar verschwunden; das Schiff habe offenbar aufgehört, seine Identifikation zu übermitteln, so das Magazin. Der Vorfall ereignete sich auf einer Fahrt von Mitte April vom russischen Baltijsk in die ägyptische Hafenstadt Port Said. In der Straße von Sizilien verloren die Analysten sie offenbar plötzlich aus den Augen.
Hybridkrieg: Putin plant möglicherweise einen Krieg, den er nicht führen muss
Das ist typisch für Schiffe der „dunklen Flotte“: Manipulationen der Ortungssysteme erschweren die Bestimmung ihrer Routen. Das Verhalten der russischen Schiffe wird undurchsichtig, die Bedrohungslage für die NATO-Staaten steigt. Der Begriff „Schattenkrieg“ wurde erstmals öffentlich von der estnischen Ministerpräsidentin Kaja Kallas verwendet. Dies betrifft nicht nur die See, sondern auch die Luftfahrt. Ein riskanter Nebeneffekt des Krieges in der Ukraine sind die GPS-Eingriffe Russlands, die die zivile Luftfahrt bedrohen – wenn die Instrumente ausfallen, fliegen die Flugzeuge für diese Zeit blind.
Innerhalb der Nato besteht Konsens, diesen Störungen entschieden zu begegnen; auch Elisabeth Braw spricht von Provokationen. Die China-Expertin Christiane Kühl zitiert Minna Ålander mit der Aussage, dieser „Schattenkrieg“ könne zum Ersatz für einen echten militärischen Konflikt werden, den Russland mangels Kräften womöglich nie wieder führen könne. Ålander geht davon aus, dass Putin damit das nordatlantische Verteidigungsbündnis destabilisieren wolle.
Die Sicherheitsexpertin am Finnischen Institut für Internationale Angelegenheiten in Helsinki geht vielmehr davon aus, dass Russland einen Krieg gewinnen will, ohne ihn tatsächlich führen zu müssen. Anzeichen dafür sieht sie bereits „in Russlands vielfältiger hybrider Kriegsführung gegen viele europäische Länder“, sagte Ålander laut dem ParlamentNurlan Aliyev sieht für Russland in der Region keine andere Möglichkeit, einen hybriden Krieg zu vermeiden.
Der Sicherheitswissenschaftler des estnischen Thinktanks International Center for Defense and Security hält dies für den einzigen noch verbleibenden Ausweg, selbst wenn Russland die Ukraine militärisch in die Knie zwingen könne. „Es würde weiterhin ihre Gesellschaften, insbesondere ihre Wähler, ins Visier nehmen, um Druck auf die Regierungen auszuüben“, schreibt Alijew.
Der „Schattenkrieg“ ist im Gange: Putin offenbar auf Kurs für eine gezielte Provokation
Laut der Spiegel Dänemark prüft, inwieweit marode Öltanker von der Durchfahrt ausgeschlossen werden können. Eine Lösung sehen die Dänen allerdings nur auf internationaler Ebene. Auch Russland strebt möglicherweise genau eine solche Maßnahme an, um sich gegenüber der Welt in eine Abwehrhaltung gedrängt zu fühlen und entsprechend militärisch zu reagieren. Dann läge ein Atomschlag tatsächlich gefährlich nahe.
Für das Magazin Politico Die Schifffahrtsjournalistin Elisabeth Braw hat einen pragmatischen Ansatz versucht. Ihrer Meinung nach sollten die Regierungen, vor allem die der Anrainerstaaten, und die betroffenen Reedereien die Kosten dokumentieren, die ihnen durch die Schattenschiffe in Russlands Diensten entstanden sind. Sie geht davon aus, dass das Putin-Regime nach dem Ukraine-Krieg ohnehin zu Reparationszahlungen an die Ukraine herangezogen würde. Dann müssten auch die Rechnungen für die Kosten der Schattenschiffe fällig gestellt werden.
Für Braw ist das die einzige Lösung, „denn es wäre offensichtlich keine gute Idee, als Vergeltung marode Boote zu schicken, um in russischen Gewässern Chaos zu stiften.“