
Am 10. Oktober ist der Welttag der psychischen Gesundheit – ein Thema, das auch im Spitzensport immer wichtiger wird. Das Bewusstsein für psychische Belastungen im Spitzensport ist gestiegen – doch vielerorts mangelt es noch immer an Aufklärung, Offenheit und entsprechenden Strukturen.
Ständiger Leistungsdruck, Verletzungen oder die Angst vor dem Rauswurf – der Alltag im Leistungssport ist von Strapazen und hohen Erwartungen geprägt. Das System verlangt seinen Sportlern alles ab – körperlich und geistig. Wer überleben will, muss funktionieren.
Hinter Medaillen, Bestzeiten und Podiumsplätzen stehen Menschen, die unter enormem Druck stehen. Namhafte Sportler sprechen zunehmend offen über psychischen Stress – ein Tabu, das lange Zeit unantastbar schien. Hochleistungssport, der auf Erfolg, Disziplin und Perfektion ausgerichtet ist, bringt nicht nur körperliche, sondern auch psychische Narben mit sich.
Der Druck des Systems: Wenn Stärke zur Pflicht wird
„Leistungssportler sind es gewohnt, an ihre Grenzen zu gehen und über ihre Grenzen zu gehen und manchmal gar nicht zu merken, wann ich eine Grenze überschritten habe, zum Beispiel auch im Hinblick auf psychische Belastungen?“sagt Marion Sulprizio, Diplom-Psychologin an der Deutschen Sporthochschule Köln und Projektleiterin von „MentalStärkt“, einer unabhängigen Netzwerkinitiative für psychische Gesundheit im Leistungssport.
Der ständige Leistungsdruck führt auch dazu, dass sich viele Sportler nicht trauen, über ihre psychischen Probleme zu sprechen. Zu groß ist die Angst, dass ihre Offenheit als Schwäche interpretiert werden könnte – mit möglichen negativen Folgen für ihre Karriere. Wer über Stress redet oder pausieren muss, riskiert im schlimmsten Fall, seinen Platz im Kader und damit auch seine finanzielle Unterstützung zu verlieren.
Studien zufolge unterscheidet sich die Häufigkeit psychischer Probleme im Spitzensport kaum von der in der Allgemeinbevölkerung. Dies gilt aber insbesondere für depressive Verstimmungen und Angststörungen. Psychische Erkrankungen im Zusammenhang mit Störungen des Körperbildes, etwa Essstörungen, kommen bei Spitzensportlern auffallend häufiger vor, erklärt Sulprizio.
Die Gründe dafür liegen in spezifischen Risikofaktoren, die im Leistungssport besonders ausgeprägt sind. Ständiger innerer und äußerer Leistungsdruck, der Umgang mit Extremsituationen, ständige Ersetzbarkeit, Druck durch die Öffentlichkeit und soziale Medien sowie das Karriereende können die psychische Gesundheit von Sportlern erheblich belasten.
Initiative drängt auf Veränderung
Léa Krüger und Ben Ellermann haben gemeinsam mit Sportlern aus Deutschland die Plattform „More than Muscles“ ins Leben gerufen. „Eine Initiative von Sportlern für Sportler“, heißt es auf ihrem Instagram-Kanal. Sie selbst sind mit dem Leistungssportsystem bestens vertraut. Krüger ist ein ehemaliger Säbelfechter und Ellermann ist Rugby-Nationalspieler.
Die ehemalige Säbelfechterin Léa Krüger
Sie wissen, was es bedeutet, mit der psychischen Gesundheit zu kämpfen und wie wichtig es ist, das Bewusstsein für das Problem zu schärfen. Ihre Idee: Eine unabhängige Sicherer RaumHier können Sportler psychische Probleme besprechen und Hilfe suchen. „Wir versuchen, das System zu der Überzeugung zu bringen, dass die psychische Gesundheit nicht nur etwas ist, auf das man sich konzentrieren muss, sondern dass echte Veränderungen stattfinden.“sagt Léa Krüger.
Träge Strukturen im Leistungssport
Den Trainern kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Ihr Führungsstil und ihre Einstellung zum Thema psychische Gesundheit prägen auch das Umfeld der Sportler. Fehlt es an Offenheit, Wissen oder Kenntnis von Unterstützungsangeboten, fällt es vor allem jungen Sportlern schwer, um Hilfe zu bitten.
Es gebe auch eine gewisse Trägheit in den Vereinsstrukturen, sagt Ben Ellermann. Ein System, das lange funktioniert und sportliche Erfolge hervorgebracht hat, lässt sich nur schwer ändern. Doch genau das sei notwendig, betont Ellermannn: „Macht das, was getan wird, wirklich Sinn? Oder ist es einfach ein System, das irgendwie so lange funktioniert hat, bis es nicht mehr funktioniert und Änderungen erfordert?“
Rugby-Nationalspieler Ben Ellermann
Während die sportmedizinische Versorgung längst selbstverständlich ist, mangelt es im Bereich der Sportpsychologie noch immer an einer breiten, strukturellen Unterstützung. Finanzielle Ressourcen fließen in der Regel in die Optimierung der körperlichen Leistungsfähigkeit – psychische Aspekte werden noch wenig berücksichtigt.
Die öffentliche Förderung orientiert sich in der Regel an messbaren Leistungs- und Medaillenerwartungen – wenn das Budget gekürzt wird, ist oft zuerst die psychologische Betreuung betroffen. Psychische Gesundheit spielt als Voraussetzung für nachhaltigen Erfolg kaum eine Rolle. Allerdings erkennen immer mehr Organisationen, dass sportlicher Erfolg untrennbar mit der psychischen Gesundheit verbunden ist.
Verschiedene Kontaktpunkte
Die psychische Gesundheit im Leistungssport wird zunehmend entstigmatisiert. Vor allem, weil immer mehr Sportler offen über ihre psychischen Probleme sprechen. So wie Tennisprofi Alexander Zverev, der nach seinem Erstrunden-Aus in Wimbledon im Sommer sagte, er fühle sich wohl „ziemlich allein in seinem Leben“.
Mittlerweile gibt es verschiedene Anlaufstellen, an die sich Sportler wenden können. In einigen Vereinen sind bereits Verbandspsychologen tätig. Darüber hinaus bieten Projekte wie „MentalStärkt“ ein Expertennetzwerk und unterstützen Betroffene sportpsychologisch oder therapeutisch.
Die Arbeit der Initiative zielt zum einen auf die Aufklärung und Sensibilisierung zum Thema psychische Gesundheit im Leistungssport ab „Sportlern, die unter psychischen Erkrankungen leiden, frühzeitig Hilfe anzubieten oder sogar Therapieplätze zu vermitteln“erklärt Projektleiterin Marion Sulprizio. Bei schwerwiegenderen psychiatrischen Erkrankungen muss jedoch psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen werden.
Prävention als Schlüssel zur mentalen Stärke
In Nordrhein-Westfalen gibt es bereits ein Netzwerk namens „mentaltalent“, das junge Leistungssportler sportpsychologisch betreut und von der Sportstiftung NRW gefördert wird. Wünschenswert wäre es, bundesweit ähnliche, flächendeckend geförderte Projekte zu haben, die präventiv an der psychischen Gesundheit junger Sportler arbeiten.
Ziel ist es zunächst, präventiv zu wirken – bevor Stress zur Krise wird. Besonders im Nachwuchssport und in der Talentförderung kommt der Prävention eine große Bedeutung zu. „Mit frühzeitigen präventiven sportpsychologischen Maßnahmen wie Umgang mit Druck, Umgang mit Niederlagen, Kommunikation mit dem Trainer, Erholungsstressmanagement“ Die psychische Gesundheit soll gestärkt werden, sagt Marion Sulprizio. Es ist wichtig, bereits in den unteren Kadern anzusetzen und in den Landeskadern eine sportpsychologische Betreuung zu leisten, um zu verhindern, dass junge Talente aufgrund psychischer Belastungen den Leistungssport zu früh verlassen.
Finanzielle Unterstützung und öffentliche Sichtbarkeit
All dies seien bereits wichtige Schritte – unterstützt durch einen Generationen- und Kulturwandel, bei dem offene Kommunikation und menschenfreundliche Interaktionen wichtiger würden, betont Sulprizio, es gebe aber noch viel Raum für Verbesserungen.
Um Sportler mental zu unterstützen, bedarf es mehr unabhängiger und neutraler Institutionen, die außerhalb von Verbänden, Vereinen und Trainerstrukturen arbeiten. Entscheidend ist auch ein niedrigschwelliger Zugang für Sportler. Darin sind sich alle Experten einig. Allerdings müssten solche Angebote bekannter werden: Sie bräuchten finanzielle Unterstützung und öffentliche Sichtbarkeit.