Am Rosenmontag soll ein Mann durch die Mannheimer Fußgängerzone gerast sein. Bei dem Vorfall kamen zwei Menschen ums Leben und 14 weitere wurden verletzt. Nun beginnt der Prozess – im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Motiv.
Knapp acht Monate nach dem tödlichen Amoklauf durch die Mannheimer Innenstadt am Rosenmontag hat am Freitagmorgen am Landgericht Mannheim der Prozess gegen Alexander S. begonnen. Bei der Verlesung der Anklage betonte der Staatsanwalt, dass der 40-jährige Angeklagte seit vielen Jahren an einer psychischen Erkrankung leide. Er habe mit der Absicht gehandelt, „einen Unfall herbeizuführen“. Der Vorsitzende Richter sagte: Chamber wird prüfen müssen, ob Alexander S. in einer psychiatrischen Klinik untergebracht wird.
Prozessauftakt: Alexander S. äußert sich über den Anwalt zur Tat
Zu Beginn des Prozesses verlas der Verteidiger des Angeklagten, Uwe Kosmala, was Alexander S. selbst zu der Tat sagte. Er leugnet nichts und erkennt an, was er getan hat. Alexander S. dachte am Samstag vor Rosenmontag erstmals darüber nach, einen Amoklauf zu unternehmen. Es war ein spontaner, aufdringlicher Gedanke, den er nicht länger unterdrücken konnte. Alexander S. verspürte starke Wut und wollte sich während der Fahrt das Leben nehmen. Denn: Er habe in kurzer Zeit ein beträchtliches Erbe aufgebraucht, heißt es weiter. Tatsächlich, so Verteidiger Uwe Kosmala, habe sein Mandant den Amoklauf in Offenbach geplant. Dort lebt der Vater des Mannes.
Amoklauf in Mannheim: Prozess vor dem Landgericht beginnt
Vor der Tat ging er zunächst zum Friseur und fuhr dann nach Mannheim. Die Idee, sich in die Bretter zu verwandeln, kam mir spontan. Während der Fahrt bemerkte Alexander S. nicht mehr, was geschah. Er traf keine geplante Entscheidung zum Töten.
Alexander S. sagte nur sehr wenige Worte zu sich selbst. Er nahm ruhig an der Anhörung am Freitagmorgen teil. Der Angeklagte schaute sich die Videoaufzeichnungen seiner Tat aufmerksam, aber wenig bewegt an. Nach Angaben des Verteidigers wird sich Alexander S. im Prozess nicht weiter äußern.
Bei einem Amoklauf am Rosenmontag kamen zwei Menschen ums Leben
Am 3. März – Rosenmontag – fuhr er mit einem Kleinwagen durch die belebte Einkaufsstraße in den Plätzen, die Mannheimer Planken. Der Angeklagte bog am sogenannten Plankenkopf, direkt gegenüber dem Mannheimer Wasserturm, ab und raste anschließend mit bis zu 80 Stundenkilometern durch die Fußgängerzone. An diesem Tag starben zwei Menschen, ein 54-jähriger Mann und eine 83-jährige Frau. Insgesamt wurden 14 Menschen teils schwer verletzt.
Anklage: Mord und versuchter Mord
Die Staatsanwaltschaft Mannheim wirft dem zur Tatzeit 40-jährigen Angeklagten Doppelmord und mehrfachen Mordversuch vor. Der deutsche Tatverdächtige äußerte sich vor dem Prozess offenbar nicht zu der Tat und den Hintergründen. Die Ermittlungen hätten „keine Hinweise auf ein politisches Motiv ergeben“, hieß es. Deshalb geht die Staatsanwaltschaft zu Beginn des Prozesses davon aus, „dass Alexander S. seit vielen Jahren an einer psychischen Erkrankung leidet.“
Für den Prozess bedeutet das, dass es in den nächsten 13 Verhandlungstagen um die Frage gehen wird, was den Angeklagten zu seiner Tat getrieben hat. Ein zentraler Aspekt des Verfahrens dürfte die Frage der Schuld sein. Was ging Alexander S. im Moment der Tat durch den Kopf? Experten werden Antworten auf diese Frage suchen und geben.
Schuld oder Unfähigkeit – und was daraus folgen kann
In Deutschland kommt es nur dann zu einer strafrechtlichen Verurteilung, wenn der Täter einer rechtswidrigen Tat bei der Begehung schuldhaft gehandelt hat. Eine Tat, die ein Täter ohne Schuld begeht, ist für den Betroffenen nicht weniger rechtswidrig und nicht weniger schwerwiegend. Es gilt aber der Grundsatz, dass selbst die schwerste Straftat nur dann strafbar ist, wenn dem Täter eine persönliche Schuld an der Begehung zugeschrieben werden kann. Im Gesetz heißt es: „Wer bei der Begehung der Tat nicht in der Lage ist, das Unrecht der Tat zu erkennen oder auf der Grundlage dieser Einsicht zu handeln, handelt ohne Schuld wegen einer krankhaften Geistesstörung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, einer verminderten Intelligenz oder einer schwerwiegenden anderen psychischen Störung.“ Der entscheidende Zeitpunkt für die Schuldfrage ist daher der Zeitpunkt der Tat. Die Schuldfähigkeit kann entweder völlig fehlen – man spricht dann von Handlungsunfähigkeit –, vermindert oder vollständig vorhanden sein. Liegt eine völlige Schuldlosigkeit vor, kann ein Täter nicht strafrechtlich verurteilt werden. Er müsste also freigesprochen werden. Möglicherweise bleiben dann weitere Maßnahmen, etwa die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik. War die Schuld zur Tatzeit erheblich gemindert, kann das Gericht die Strafe herabsetzen. Anstelle einer lebenslangen Haftstrafe (die bei Mord vorgesehen ist) käme dann eine Freiheitsstrafe zwischen drei und 15 Jahren in Betracht. Das Gericht muss diese Milderung nicht immer vornehmen, sondern im Rahmen einer Gesamtbeurteilung prüfen, wie erheblich die Minderung des Verschuldens war und dann feststellen, ob sich der Strafrahmen tatsächlich verringert. In der Regel sollte dies jedoch der Fall sein. War ein Täter zur Tatzeit voll verantwortlich, kann er ohne Einschränkungen bestraft werden. Bei („vollständiger“) Unfähigkeit sowie bei verminderter Schuldfähigkeit muss das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, wenn die Gesamtbeurteilung des Täters und seiner Tat ergibt, dass er aufgrund seiner psychischen Störung weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Letzteres ist daher eine zusätzliche Anforderung. Ist diese erfüllt, muss eine Unterbringung bestellt werden. Dies wird als „Maßnahme der Korrektur und Sicherheit“ bezeichnet – nicht als Strafe.
Psychische Erkrankung oder rechtsextreme Einstellungen?
Hinweise auf eine psychische Erkrankung gab es bereits bei der Pressekonferenz am Abend des 3. März. Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass Alexander S. rechtsextreme Ansichten haben könnte. Tatsächlich fanden die Ermittler laut SWR-Recherchen mehrere Zeugen und Hinweise darauf, dass sich S. für nationalsozialistische Musik interessierte. Auch S. ist wegen der Veröffentlichung eines Nazi-Slogans im Internet vorbestraft. Darum wird es auch im Verfahren gegen den Mann gehen, der zuletzt als Landschaftsgärtner arbeitete, in Ludwigshafen lebte, im Rhein-Neckar-Kreis aufwuchs und in den letzten Jahren in psychiatrischen Kliniken behandelt wurde.
Videoüberwachung: Auch relevant bei Messerangriffen auf Polizisten
Wie sich der Tattag abspielte, lässt sich auch dank der dichten Videoüberwachung in der Mannheimer Innenstadt nachvollziehen. Das wurde jüngst im Staatsschutzverfahren wegen der tödlichen Messerattacke des Islamisten Sulaiman A. auf dem Mannheimer Marktplatz deutlich. Im Sekundentakt geben Videobilder Aufschluss über die Lage in dieser Stadt. Sie werden dann in Prozessen sichtbar. Ebenso wie die Messerattacke in Mannheim hat die Schießerei noch immer Auswirkungen auf die Stadt. Fast zwei Wochen lang kümmerten sich Pfarrer in der Innenstadt um Menschen, die nach Antworten suchten. Als Notfallseelsorger war Ulrich Nellen im Einsatz. Er sagt, die Menschen müssten über ihre Ängste sprechen. Viele waren Zeugen des Verbrechens.
Wenn einem klar wird, dass man eine Katastrophe nur knapp verpasst hat, kommen diese Ängste wieder hoch.
Ulrich Nellen, Notfallpfarrer
In den Stunden und Tagen nach der Schießerei trugen zahlreiche Falschmeldungen zur Verunsicherung vieler Menschen bei. Nur wenige Stunden nach der Tat sprach der Leiter des Landeskriminalamts (LKA) Baden-Württemberg, Andreas Stenger, von der „Stunde der Multimedia-Forensik“.
Der tapfere Taxifahrer stellte sich dem Schützen in den Weg
Ein Taxifahrer, der dem Schützen mit seinem Fahrzeug den Weg versperrte, hätte möglicherweise Schlimmeres verhindern können. Laut Anklage habe Alexander S. daraufhin mit einer Schreckschusspistole einen Schuss in die Luft abgefeuert, um den Taxifahrer einzuschüchtern. S. flüchtete daraufhin.
Er schoss sich mit der Schreckschusspistole in den Mund, um sich das Leben zu nehmen. Was ihm nicht gelang. Die Beamten konnten ihn festnehmen. Der Taxifahrer tritt in dem Verfahren als Nebenklägerin auf, ebenso wie weitere Frauen, die bei der Schießerei teilweise schwer verletzt wurden. Mit einem Urteil wird kurz vor Weihnachten gerechnet.
Ausstrahlung am Freitag, 31. Oktober 2025, 12:30 Uhr, SWR4 BW Studio Mannheim
