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Protestarchitektur in Frankfurt: Bitte nicht abreißen!


Von Straßenbarrikaden in Paris bis zu Holzbaracken in Lützerath: Das Architekturmuseum in Frankfurt zeigt, wie Protest aufgebaut wird.

Verknotete Strukturen, improvisierte und durchdachte Architekturen: Baumhäuser im Hambacher Forst Foto: Tim Wagner

„Bitte nicht abreißen!“ Vor der geplanten Evakuierung des Protestcamps in der Braunkohlestadt Lützerath richtete Oliver Elser, Kurator am Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main, ein Amtshilfeersuchen an das Polizeipräsidium Aachen. Eine Holzhütte aus dem Lager soll in der kommenden Schau präsentiert werden.

Am Ende wurde das Gebäude namens „Robin“ trotzdem abgerissen. Aber Briefe und Fotografien haben es ins Museum geschafft – neben zahlreichen Devotionalien von diesem und anderen Orten: Schranktüren von den Protesten in Hongkong, die zu Schilden umfunktioniert wurden, Salatsiebe vom Maidan in Kiew, die zu Schutzhelmen umfunktioniert wurden.

Das DAM zeigt „Protest/Architektur“. Es ist wohl die erste Ausstellung überhaupt, die sich so umfassend mit dem Phänomen der temporären Bauten, aber auch den damit verbundenen Objekten, Einrichtungen und Infrastruktur befasst. Es reicht von den ersten Straßenbarrikaden in Paris im Jahr 1830 über Aufstände in Frankfurt, Wien und Berlin bis zu den 3.000 Wohnhütten der Bürgerrechtsbewegung Resurrection City, die 1968 wochenlang in Washington D.C. standen.

Für die Ausstellungsarchitektur wurde, abgesehen von Spanngurten, Kabelbindern und DIN-AO-Plakaten, wenig angeschafft, was Sie hier nachlesen können. Analog zum Protestcamp bestehen fast alle Gebäude des Museums aus Fundstücken. Außerdem sieht es fantastisch aus: kreuz und quer aufgestellte Gitterwände, festgezurrte Sperrholzwände, schiefe Ebenen, hängende Knoten aus Regenbogenband, alles steht unter guter Spannung. Sogar die Fensterbänke werden zu erweiterten Ausstellungsflächen mit horizontalen Plakatflächen.

Abstrakte Hommage an die Protestarchitektur

Eine Hängebrücke, die nur einzeln begehbar ist, fängt den oft abenteuerlichen Geist ein, der vielen Lagern innewohnt, und ist wohl einer der Gründe, warum sie so begehrenswert sind. Ansonsten handelt es sich eher um eine abstrakte Hommage an die Protestarchitektur als um eine Reproduktion.

„Protest/Architektur. Barrikaden, Lager, Sekundenkleber“: Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main. Bis zum 14. Januar. Katalog: 19 Euro

Persönliche Sympathie, erklärt das Kuratorenteam, sei kein Kriterium für die Auswahl einer Protestbewegung gewesen. Entscheidend ist, inwieweit architektonische Formen eine Rolle spielten. Darum dreht sich die Ausstellung phänomenologisch – politische Inhalte stehen weniger im Fokus, ebenso wie Gewalt von außen oder innerhalb der Protestlager. Man denke an die sexuellen Übergriffe und offenbar systematischen Vergewaltigungen auf dem Tahrir-Platz, über die Frauen berichteten und die als Beispiel dafür dienen könnten, wer an Protesten teilnehmen darf und wer nicht.

Ein Foto vom Tahrir-Platz in Ägypten und seinem Protestlager bei Nacht

Politische Inhalte stehen weniger im Fokus, ebenso Gewalt von außerhalb oder innerhalb der Lager Foto: Oleksandr Burlaka

Protestcamps sind nicht nur eine Gegenwelt, sondern immer auch Teil der Gesellschaft, in der sie stattfinden. Auf andere Weise wird dies bei der Räumung dieser Lager spürbar, worauf die Ausstellungsmacher am Beispiel der Anti-Atomkraft-Bewegung pointiert hinweisen: „Die Polizei (…) musste oft Konflikte lösen, die eigentlich politisch entschieden werden sollten.“ ”

Neben berühmten Lagern wie denen der Republik Freies Wendland oder den Occupy-Wall-Street-Protesten werden auch Beispiele aus jüngerer Zeit in Deutschland umfassend dokumentiert. Allein aus dem Hambacher Forst gibt es unzählige Baumhausmodelle, verknotete Strukturen, improvisierte und teilweise durchdachte Architekturen.

„Be Water“ statt fester Ort

Besonders hervorzuheben sind jedoch Lager, von denen man sonst kaum gehört hat: etwa die Indian Farmer’s Protests gegen die umstrittenen Agrarreformen in Indien, die mehr als ein Jahr und vier Monate lang stattfanden, vom deutschen Nachrichtengeschehen kaum beachtet wurden und letztlich gar nicht wahrgenommen wurden erfolgreich.

Spezifische Architekturen resultierten oft aus strategischer Notwendigkeit. Auch praktische Lösungen könnten symbolischen Charakter entwickeln. Dies war bei den Protesten in Hongkong der Fall, bei denen die Teilnehmer zunächst Haushaltsschirme gegen Wasserwerfer und Tränengas einsetzten.

Schwarz-Weiß-Foto eines Protestcamps in Washington DC Ende der 1960er Jahre.  Es zeigt zwei schwarze Kinder, Spielzeug und aufgehängte Wäsche

1968, Protestcamp Resurrection City, Washington, DC, USA Foto: Marion S. Trikosko

Später, aufgrund der immer heftigeren Repression, entfernten sich die Menschen von festen Standorten im Stadtraum und formulierten den Slogan „Be Water“ – seien Sie flüssig, um sich blitzschnell formieren und auseinandertreiben zu können. Ähnlich sieht es die brasilianische Obdachlosenbewegung Movimento dos Trabalhadores Sem Teto, kurz MTST. Innerhalb einer Nacht bauen ihre Anhänger Zeltstädte auf, die ausschließlich aus Planen, Bambusstäben und Schnüren bestehen, die sich direkt im Stadtraum entfalten und vor ihrer Evakuierung wieder verschwinden können.

Wasser wiederum spielte auch auf dem Maidan eine wichtige Rolle, wo sich damals eine breite Protestbewegung zusammenschloss: Als der Winter nahte, übergossen die Demonstranten ihre Barrikaden mit Wasser, das in der Kälte schnell gefror und so die provisorischen Gebäude stabilisierte.

Eine Kernthese dieser Schau ist, dass Architektur eine entscheidende Rolle bei der Erreichung der jeweiligen Protestziele spielt. Umgekehrt erfordert eine Behauptung im öffentlichen Raum zunächst ein gewisses Maß an politischer Artikulation. Es ist schwer vorstellbar, dass ein solches Protestlager derzeit in Nordkorea errichtet werden könnte.

Der Reichtum an Design, die Vielfalt der Protestarchitektur und der Wille, sein Lebensumfeld zu gestalten, sind nachhaltig beeindruckend. Auch temporäre Dinge können eine Lösung sein. Wenn man einfach immer daran denkt, dass eines Tages alles abgerissen wird, sagt ein Demonstrant im Ausstellungsfilm, dann wird man nie mit dem Bauen beginnen.

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